Senthuran Varatharajah erzählt feinfühlig von Flucht
Senthuran Varatharajah ist der zweite Gast des Chamisso-Preisträgers Michael Stavaric beim Hausacher Leselenz. Stavaric unterhält sich mit dem Chamisso-Förderpreis-Träger 2017 bei der »Lesung für Alle« am 12. Juli.
»Alter Hase trifft Newcomer« könnte man das Gespräch von Michael Stavaric mit Senthuran Varatharajah beim Hausacher Leselenz am 12. Juli salopp überschreiben. Die beiden teilen ein gemeinsames Erlebnis: Sie waren Chamisso-Förderpreisträger. Stavaric 2008, Varatharajah 2017. Doch während Michael Stavaric inzwischen der besagte »alte Hase« im Literaturbetrieb ist und gerade einen weiteren Roman – »Gotland« – veröffentlicht hat, ist Senthuran Varatharajah ein fast unbeschriebenes Blatt.
Dennoch hat der Doktorand der Philosophie bereits für Aufsehen gesorgt. 2014 stellte er sich einer der strengsten Jurys – der beim Ingeborg-Bachmann-Wettbewerb in Klagenfurt. In der Tasche hatte er nichts weiter als ein paar Seiten eines Manuskripts von »Vor der Zunahme der Zeichen«, seines jetzigen Debütromans.
Lob und Kritik
Zuvor hatte Varatharajah nichts veröffentlicht. Niemand kannte ihn. Doch er hielt die Kommentare aus, die zwischen überschwänglichem Lob und abwertender Kritik schwankten. Die einen bewunderten die sprachliche Feinfühligkeit, die ihm in Klagenfurt den 3SAT-Preis einbrachte, die anderen schmähten sie als »artifiziell« und »aufgeblasen«.
»Vor der Zunahme der Zeichen« ist einer von vielen Flucht-Romanen, der Plot quasi eine Neuauflage von »E-Mail für dich«. Nur, dass sich die Protagonisten Senthil Vasutheran, ein Tamile, und Valmira Surroi, eine junge Frau aus dem Kosovo, diesmal über Facebook austauschen. Beide sind Flüchtlinge, beide haben den üblichen Weg eines Asylbewerbers durchlaufen und versuchen nun einen neuen Anfang in einer völlig neuen Welt.
Die Form des Briefromans, die ohne allwissenden Erzähler auskommt, kann das, was die Protagonisten fühlen und verarbeiten müssen, unmittelbarer weitergeben. Und damit anders berühren. Etwa durch Anekdoten.
Der Roman erzählt von Herkunft und Ankunft, von Erinnerung, die verblasst, von Erlebnissen, die mit niemandem mehr geteilt werden können. Vor allem aber von Sprache, über die man die Erinnerung bewahren könnte, die verblasst.
Verhältnis zur Sprache
Was den 2016 erschienenen Roman auszeichnet, ist der Umgang mit Sprache. Er habe einen Text schreiben wollen, der sich wie Prosa verhalte, aber mit den Mitteln der Lyrik arbeite, erläuterte Vanatharajah. Er habe nach »unserem Verhältnis zur Sprache als Medium der Erkenntnis« fragen wollen.
Senthuran Vanatharajah, 1984 in Jaffna im Inselstaat Sri Lanka geboren, floh mit seiner Familie in den 80er-Jahren vor dem Bürgerkrieg nach Deutschland, wo er Philosophie, Theologie und Kulturwissenschaft studierte. Er erhielt diverse Stipendien, neben dem Chamisso-Förderpreis 2017 auch den Förderpreis zum Bremer Literaturpreis und den Rauriser Literaturpreis sowie 2016 den Kranichsteiner Literaturförderpreis.
Senthuran Varatharajah, Vor der Zunahme der Zeichen, S. Fischer Verlag, 19,99 Euro.