Kultur

Was Schwarzwalduhren erzählen

Jutta Hagedorn
Lesezeit 5 Minuten
Jetzt Artikel teilen:
25. November 2008
Foto: Ulrich Marx - Berthold Schaaf und seine Schätze: Links eine Figurenuhr (Lackschild), rechts eine Schwarzwalduhr für den englischen Markt.

(Bild 1/2) Foto: Ulrich Marx - Berthold Schaaf und seine Schätze: Links eine Figurenuhr (Lackschild), rechts eine Schwarzwalduhr für den englischen Markt.

Berthold Schaaf, Experte für antike Schwarzwalduhren, hat nun eine erweiterte Ausgabe seines Buches »Schwarzwalduhren« herausgebracht. Das Standardwerk verführt nicht nur Fachleute zum Schmökern und Studieren.

Gegenbach. »Tick-tack, tick-tack, tick-tack…« Ein vielstimmiger Uhrenchor begrüßt den Besucher in Berthold Schaafs penibel aufgeräumter Werkstatt in Gengenbach. »Wenn alle ticken, stört das nicht. Aber wehe, eine hört auf«, sagt der Experte in Sachen antiker Schwarzwalduhren schmunzelnd. In der Tat, dieses unnachahmliche Geräusch ist kolossal beruhigend.
Antike Gegenstände haben ihn schon früh begeistert. 1982 hat der ehemalige Lehrer sich dann ganz auf sein bisheriges Hobby besonnen – die antiken Schwarzwalduhren –, ist Händler und Restaurator geworden. Durch und durch Fachmann. Ganz leicht sei ihm die Umstellung nicht gefallen, aber man spürt, dass sein Herz im Takt der Uhren schlägt.
»Naiv, aber stimmig«
»Da gehen einem die Augen über«, sagt Schaaf irgendwann im Laufe des Gesprächs – und so geht’s auch dem Besucher. Majestätisch, groß, vornehm die dunkle Uhr, wie sie die Engländer bevorzugten, fröhlich bunt, wie sie nach Frankreich ging im 19. Jahrhundert, etwas dezenter mit rot-rosa Apfelrosen auf weißlichem Schild die Examplare, wie sie in Deutschland vorherrschten. Diese »schönen, geschmackvollen Lackschilduhren« sind Schaafs Lieblinge. »Sie sind naiv, aber stimmig.« Zumindest gibt er ihnen den Vorzug gegenüber den feineren Metalluhren. Dazwischen hängen lustige Augenwender-Uhren oder solche, bei denen statt des Kuckucks ein Mönch beim Angelus-Läuten erscheint.
Jede Uhr ist nicht nur ein Unikat. Jede Uhr ist ein Individuum, strahlt etwas aus, zieht in den Bann, lebt.
»Ich bin Autodidakt«, sagt Schaaf, einen Ausbildungsberuf »antike Schwarzwalduhren« gibt es nämlich nicht. »Man muss zu viel wissen um die Zusammenhänge.« Also neben den technischen auch historisch-soziale. Es ist diese Geschichte der Uhren und die damit verbundenen Geschichten, die Schaaf reizen. Da mache man ein Türchen an der Rückwand auf und lese: »Cleaned, F. Faller«. Der in England lebende Felix Faller hat einst diese Uhr gereinigt. Oder eine Rückwand gibt einen »Brief« frei, den ein Kollege an einen Kollegen geschrieben hat.
Ganz begeistert ist Schaaf, »wenn sie voller Dreck sind, wie ich’s liebe«. Denn dann ist er sicher: Hier hat noch keiner dran herumgepfuscht, diese Uhr ist unberührt.
Warum seine Kunden diese alten Uhren kaufen? Da schwingt viel Emotionalität mit. Schaaf spricht von »echt« und von »leben«. Früher wurden sie in erster Linie aus Notwendigkeit gekauft, die hübsche Dekoration auf dem Schild war Zugabe. Heute geht es gerade um das »Gesicht«, denn das erzählt viele Geschichten aus 150 Jahren.
409 Abbildungen
Berthold Schaaf liebt seine Uhren. Er gibt auch zu, dass er eine kauft, »um sie einmal zu haben«. Um sie dann zu zerlegen und zu untersuchen. »Leidenschaft«, die auch aus der vierten überarbeiteten Auflage seines gut 400 Seiten starken Standardwerks »Schwarzwalduhren« spricht und die ansteckt. Schaaf macht es dem Leser aber auch leicht: 409 Abbildungen zeugen von der Schönheit und Vielfalt der gängigen Uhrentypen. Die Mehrzahl der abgebildeten Zeitmesser hatte er selbst in der Hand, hat sie selbst fotografiert.
Der eingängige, leichte Stil macht selbst die detailliertesten technischen Fakten zum Lesevergnügen. Ein ausführliches Inhaltsverzeichnis erlaubt eine Auswahl zu einzelnen Aspekten; der Anhang erleichtert die Suche nach weiterführender Literatur.
Anschaulich erzählend führt Schaaf in die geheimnisvolle Welt der Uhren ein, aber auch in deren Geschichte und Geschichten. Er erzählt von den noch unklaren Anfängen im 17. Jahrhundert, warum es im Schwarzwald überhaupt zur Uhrmacherei kam und welche Rolle das Holz spielte.
Man erfährt von technischen Entwicklungen und Rückschlägen, von wirtschaftlichen Unternehmungen wie der Ausweitung des Handels auf Frankreich, England und Amerika – und welche Auswirkungen dieser auf die Arbeit der Hersteller vor Ort hatte. Nicht nur eitel Sonnenschein, auch viel Not und Elend wird hier offenbar. Schaaf schreibt von der Gesundheitsgefährdung der Schildermaler, er zitiert einen Zeitzeugenbericht über den Alltag der Uhrmacher. Von der Uhrmacherei allein, so wird deutlich, konnten die Familien nicht leben.
Man liest über Produktionsdaten, Anzahl der Uhrmacher und deren Wissensstand, die fehlende Qualitätskontrolle bei der Ausbildung, das Überangebot an »Meistern« und eine gewisse Unbeweglichkeit der Handwerker, was zum zeitweiligen Niedergang der Industrie führte. So gab es in Triberg um 1843 rund 718 selbstständige Uhrmacher, in Furtwangen 120, um 1878 dann noch 77.
Schaaf beschreibt den Kampf um die »Großherzoglich Badische Uhrenmacherschule in Furtwangen« unter der Leitung von Robert Gerwig, eröffnet 1850, geschlossen 1863.
Aus erster Hand
Schaaf lässt Firmengeschichten aufleben wie die von »Haas & Söhne«, erläutert Handesstrukturen im Ausland, die diffizile Logistik und das ausbeuterische Spedieurswesen. In einem letzten großen Kapitel spürt er Schwarzwälder Uhrmachern in Amerika nach.
Die technischen Informationen sind aus erster Hand, seiner. Schaaf verlässt sich nicht gerne auf Literatur. Und für spezielle Aspekte, wie etwa der Amerika-Exkurs, hat er Wissenschaftler beauftragt.
»Schwarzwalduhren« ist ein Werk, in dem sich Technik, Ökonomie und Alltagsgeschichte treffen und somit einen vielseitigen Forschungs-Ansatz bieten. Spannend zu lesen – nicht nur für Uhrenfans und Heimatkundler.

- Anzeige -

Zur Person
Berthold Schaaf (66), ist Fachmann für antike Schwarzwalduhren. Der Autodidakt, der eigentlich Musik- und Literaturwissenschaftler ist und Lehrer am Okengymnasium Offenburg war, hat sich 1982 selbstständig gemacht und ist seit 1996 vereidigter Sachverständiger der Industrie- und Handelskammer.
Schaaf hat diverse Arbeiten zum Thema veröffentlicht. Jetzt erschien die vierte überarbeitete Auflage zu seinem Standardwerk: »Schwarzwalduhren«, G. Braun Buchverlag, 2008,
68 Euro.

Weitere Artikel aus der Kategorie: Kultur

José F. A. Oliver
27.03.2024
Kulturkolumne
Einst las ich den Satz, die Zeit sei eine blinde Führerin. Übersetzt hieß das für mich nichts anderes, als dass wir diejenigen sein sollten, die diese an die Hand nehmen müssten. In einer Welt, die groß ist und klein zugleich: Die Welt ist groß. Die Welt ist klein ...
Berühmten Kollegen setzte Anna Haifisch ein Denkmal. So zeigt sie in einer Zeichnung den Karikaturisten Saul Steinberg (1914–1999) beim Kampf gegen eine Schaffenskrise.
26.03.2024
Ausstellung in Straßburg
Noch bis zum 7. April sind im Straßburger Musée Tomi Ungerer Werke der deutschen Zeichnerin Anna Haifisch zu sehen. Sie stellt Menschen gerne oft als Tiere dar und karikiert Kollegen.
Gäste im "Grand Hotel Grimm" mit unlauteren Absichten: ein Zwerg mit langem Bart, ein unscheinbarer Handlungsreisender und eine elegante junge Dame mit dem Namen Rotkäppchen.
26.03.2024
Puppenparade Ortenau
Die „Berliner Stadtmusikanten“ des Theaters Zitadelle sind in die Jahre gekommen. Mit „Grand Hotel Grimm“ boten sie bei der Puppenparade in Lahr dennoch eine erfrischende Vorstellung.
Im Mittelpunkt der Tragödie: die Schwestern Chrysothemis (Elza van den Heever, links) und Elektra ­(Nina Stemme).
26.03.2024
Festspielhaus Baden-Baden
Das archaische Thema der Oper „Elektra“ ließ das Publikum bei der Eröffnung der Osterfestspiele Baden-Baden frösteln. Umjubelt wurden Sängerin Nina Stemme und Dirigent Kirill Petrenko.
Dietrich Mack. 
26.03.2024
Kulturkolumne
„Hoffnungsglück“ hat Goethe die Aufbruchstimmung genannt, die der Frühling verbreitet..Dieses Gefühl genießt auch der Kolumnist, der verrät, warum für ihn Bach nicht nur der fünfte, sondern auch der beste Evangelist ist.
Sechshändig am Klavier: die Schwestern Alisa und Lia Benner aus Lahr und Ennco Sinner aus Kippenheim.
19.03.2024
"Jugend musiziert"
Eine Auswahl der Besten beim Landeswettbewerb in Offenburg stellte sich in der Offenburger Reithalle vor, oft begleitet von Vater, Mutter oder Geschwistern.
Harte Szene im Gemüsekrimi: Dietmar Bertram hobelt eine Gurke, um sie zum Reden zu bringen.
17.03.2024
Lahr
Ein Detektiv spielt mit Essen: Dietmar Bertram präsentierte „Hollyfood – Die Gemüsekrimis“ bei der Puppenparade Ortenau im Lahrer Schlachthof.
Am Abgrund: In "A long way down" wird über ein ernstes Thema gealbert. 
17.03.2024
Offenburg
Mit britischem Humor thematisiert die Tragikomödie „A long way down“ die Selbstmordgedanken gescheiterter Existenzen. Für die Aufführung in der Oberrheinhalle gab es viel Beifall.
Von Gier befeuert: Carsten Klemm (rechts) als Kunstfälscher Fritz Knobel und Luc Feit (links) als Skandalreporter Hermann Willié. 
17.03.2024
Lahr
Den Skandal um die angeblichen Hitlertagebücher des Kunstfälschers Kujau brachte die Landesbühne Esslingen mit „Schtonck“ auf die Bühne.
Arbeiten aus mehr als drei Jahrzehnten zeigt Karl Vollmer im Artforum.
17.03.2024
Offenburg
Karl Vollmer reflektiert das Zeitgeschehen und bezieht Position. Zwei Werke seiner Ausstellung „Wider Erwarten – Ortung“ beim Kunstverein Ortenau hat er Alexej Nawalny gewidmet.
Das Trio Van Beethoven erhielt frenetischen Schlussbeifall.
13.03.2024
Achern
Das Trio Van Beethoven eroberte am Sonntag mit Werken von drei weitgehend unbekannten Komponisten das Publikum in der Alten Kirche Fautenbach.
Mit ein bisschen Absurdität und jeder Menge Witz ließ das Theater Handgemenge seinen König auf Reisen gehen.
13.03.2024
Kehl
Das Schattenspiel um Herrn König bescherte dem Kehler Publikum einen großartigen Puppenparade-Abend

Das könnte Sie auch interessieren

- Anzeige -
  • HYDRO liefert etwa Dreibockheber für die Flugzeugwartung. 
    26.03.2024
    HYDRO Systems KG und Rhinestahl fustionieren
    HYDRO Systems KG und Rhinestahl schließen sich zusammen. Mit diesem Schritt befinden sich die Kompetenzen in den Bereichen Ground Support Equipment (GSE) und Aircraft- & Engine Tooling unter einem Dach.
  • Alle Beauty-Dienstleistungen bietet die Kosmetik Lounge in Offenburg unter einem Dach.
    26.03.2024
    Kosmetik Lounge Offenburg: Da steckt alles unter einem Dach
    Mit einer pfiffigen Geschäftsidee lässt Elena Plett in Offenburg aufhorchen. Die staatlich geprüfte Kosmetikerin denkt "outside the box" und hat in ihrer Kosmetik Lounge ein außergewöhnliches Geschäftsmodell gestartet.
  • Konfetti, Flitter und Feuerwerk beschließen die große Preisverleihung im Forum-Kino in Offenburg. Die SHORTS feiern 2024 ihr 25. Jubiläum. 
    26.03.2024
    25 Jahre SHORTS – 25 Jahre Bühne für künftige Filmemacher
    Vom kleinen Screening in 25 Jahren zum gewachsenen Filmfestival: Die SHORTS der Hochschule Offenburg feiern Jubiläum. Von 9. bis 12. April dreht sich im Forum-Kino Offenburg alles um die Werke junger Filmemacher. Am 13. April wird das Jubiläum im "Kesselhaus" gefeiert.
  • Das LIBERTY-Team startet am Mittwoch, 27. März, in die Afterwork-Party-Saison. 2024 finden die Veranstaltungen in Kooperation mit reiff medien statt. 
    22.03.2024
    Businessaustausch jetzt in Kooperation mit reiff medien
    Das Offenburger LIBERTY startet mit Power in die Eventsaison: Am Mittwoch, 27. März, steigt die erste XXL-Afterwork-Party mit einem neuen Kooperationspartner. Das LIBERTY lädt zusammen mit reiff medien zum zwanglosen Feierabend-Businessaustausch ein.