Was Schwarzwalduhren erzählen
Gegenbach. »Tick-tack, tick-tack, tick-tack…« Ein vielstimmiger Uhrenchor begrüßt den Besucher in Berthold Schaafs penibel aufgeräumter Werkstatt in Gengenbach. »Wenn alle ticken, stört das nicht. Aber wehe, eine hört auf«, sagt der Experte in Sachen antiker Schwarzwalduhren schmunzelnd. In der Tat, dieses unnachahmliche Geräusch ist kolossal beruhigend.
Antike Gegenstände haben ihn schon früh begeistert. 1982 hat der ehemalige Lehrer sich dann ganz auf sein bisheriges Hobby besonnen – die antiken Schwarzwalduhren –, ist Händler und Restaurator geworden. Durch und durch Fachmann. Ganz leicht sei ihm die Umstellung nicht gefallen, aber man spürt, dass sein Herz im Takt der Uhren schlägt.
»Naiv, aber stimmig«
»Da gehen einem die Augen über«, sagt Schaaf irgendwann im Laufe des Gesprächs – und so geht’s auch dem Besucher. Majestätisch, groß, vornehm die dunkle Uhr, wie sie die Engländer bevorzugten, fröhlich bunt, wie sie nach Frankreich ging im 19. Jahrhundert, etwas dezenter mit rot-rosa Apfelrosen auf weißlichem Schild die Examplare, wie sie in Deutschland vorherrschten. Diese »schönen, geschmackvollen Lackschilduhren« sind Schaafs Lieblinge. »Sie sind naiv, aber stimmig.« Zumindest gibt er ihnen den Vorzug gegenüber den feineren Metalluhren. Dazwischen hängen lustige Augenwender-Uhren oder solche, bei denen statt des Kuckucks ein Mönch beim Angelus-Läuten erscheint.
Jede Uhr ist nicht nur ein Unikat. Jede Uhr ist ein Individuum, strahlt etwas aus, zieht in den Bann, lebt.
»Ich bin Autodidakt«, sagt Schaaf, einen Ausbildungsberuf »antike Schwarzwalduhren« gibt es nämlich nicht. »Man muss zu viel wissen um die Zusammenhänge.« Also neben den technischen auch historisch-soziale. Es ist diese Geschichte der Uhren und die damit verbundenen Geschichten, die Schaaf reizen. Da mache man ein Türchen an der Rückwand auf und lese: »Cleaned, F. Faller«. Der in England lebende Felix Faller hat einst diese Uhr gereinigt. Oder eine Rückwand gibt einen »Brief« frei, den ein Kollege an einen Kollegen geschrieben hat.
Ganz begeistert ist Schaaf, »wenn sie voller Dreck sind, wie ich’s liebe«. Denn dann ist er sicher: Hier hat noch keiner dran herumgepfuscht, diese Uhr ist unberührt.
Warum seine Kunden diese alten Uhren kaufen? Da schwingt viel Emotionalität mit. Schaaf spricht von »echt« und von »leben«. Früher wurden sie in erster Linie aus Notwendigkeit gekauft, die hübsche Dekoration auf dem Schild war Zugabe. Heute geht es gerade um das »Gesicht«, denn das erzählt viele Geschichten aus 150 Jahren.
409 Abbildungen
Berthold Schaaf liebt seine Uhren. Er gibt auch zu, dass er eine kauft, »um sie einmal zu haben«. Um sie dann zu zerlegen und zu untersuchen. »Leidenschaft«, die auch aus der vierten überarbeiteten Auflage seines gut 400 Seiten starken Standardwerks »Schwarzwalduhren« spricht und die ansteckt. Schaaf macht es dem Leser aber auch leicht: 409 Abbildungen zeugen von der Schönheit und Vielfalt der gängigen Uhrentypen. Die Mehrzahl der abgebildeten Zeitmesser hatte er selbst in der Hand, hat sie selbst fotografiert.
Der eingängige, leichte Stil macht selbst die detailliertesten technischen Fakten zum Lesevergnügen. Ein ausführliches Inhaltsverzeichnis erlaubt eine Auswahl zu einzelnen Aspekten; der Anhang erleichtert die Suche nach weiterführender Literatur.
Anschaulich erzählend führt Schaaf in die geheimnisvolle Welt der Uhren ein, aber auch in deren Geschichte und Geschichten. Er erzählt von den noch unklaren Anfängen im 17. Jahrhundert, warum es im Schwarzwald überhaupt zur Uhrmacherei kam und welche Rolle das Holz spielte.
Man erfährt von technischen Entwicklungen und Rückschlägen, von wirtschaftlichen Unternehmungen wie der Ausweitung des Handels auf Frankreich, England und Amerika – und welche Auswirkungen dieser auf die Arbeit der Hersteller vor Ort hatte. Nicht nur eitel Sonnenschein, auch viel Not und Elend wird hier offenbar. Schaaf schreibt von der Gesundheitsgefährdung der Schildermaler, er zitiert einen Zeitzeugenbericht über den Alltag der Uhrmacher. Von der Uhrmacherei allein, so wird deutlich, konnten die Familien nicht leben.
Man liest über Produktionsdaten, Anzahl der Uhrmacher und deren Wissensstand, die fehlende Qualitätskontrolle bei der Ausbildung, das Überangebot an »Meistern« und eine gewisse Unbeweglichkeit der Handwerker, was zum zeitweiligen Niedergang der Industrie führte. So gab es in Triberg um 1843 rund 718 selbstständige Uhrmacher, in Furtwangen 120, um 1878 dann noch 77.
Schaaf beschreibt den Kampf um die »Großherzoglich Badische Uhrenmacherschule in Furtwangen« unter der Leitung von Robert Gerwig, eröffnet 1850, geschlossen 1863.
Aus erster Hand
Schaaf lässt Firmengeschichten aufleben wie die von »Haas & Söhne«, erläutert Handesstrukturen im Ausland, die diffizile Logistik und das ausbeuterische Spedieurswesen. In einem letzten großen Kapitel spürt er Schwarzwälder Uhrmachern in Amerika nach.
Die technischen Informationen sind aus erster Hand, seiner. Schaaf verlässt sich nicht gerne auf Literatur. Und für spezielle Aspekte, wie etwa der Amerika-Exkurs, hat er Wissenschaftler beauftragt.
»Schwarzwalduhren« ist ein Werk, in dem sich Technik, Ökonomie und Alltagsgeschichte treffen und somit einen vielseitigen Forschungs-Ansatz bieten. Spannend zu lesen – nicht nur für Uhrenfans und Heimatkundler.
Zur Person
Berthold Schaaf (66), ist Fachmann für antike Schwarzwalduhren. Der Autodidakt, der eigentlich Musik- und Literaturwissenschaftler ist und Lehrer am Okengymnasium Offenburg war, hat sich 1982 selbstständig gemacht und ist seit 1996 vereidigter Sachverständiger der Industrie- und Handelskammer.
Schaaf hat diverse Arbeiten zum Thema veröffentlicht. Jetzt erschien die vierte überarbeitete Auflage zu seinem Standardwerk: »Schwarzwalduhren«, G. Braun Buchverlag, 2008,
68 Euro.