Kulturkolumne

Wenn die Hip-Hop-Jugend plötzlich Mozart bejubelt

Jürgen Stark
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15. März 2018
Jürgen Stark

Jürgen Stark ©Iris Rothe

Da sind sich ausnahmsweise mal alle einig: Mozart war ein Popstar. Genius Falco baute ihm in seinem 80er-Jahre-Hit »Amadeus« ein Denkmal: »Er war ein Superstar, er war populär ... er war ein Virtuose, war ein Rock­idol.«

Mozart war eben mehr, als es das untaugliche Etikett Klassik erscheinen lässt. Das 1756 in Salzburg geborene Supertalent erinnert uns noch immer daran, dass der populäre Künstler in seiner jeweiligen Zeit eben Popstar sein kann, völlig unabhängig vom musikalischen Genre. 

Doch wer kennt noch Falco, wer kennt noch Mozart? Zunehmend beklagen inzwischen sogar Dozenten von Pop- oder Event-Akademien, dass es solide Grundkenntnisse über unsere Musikgeschichte beim Nachwuchs oft nicht einmal mehr ansatzweise gäbe. Studierende mit Tattoos, gepierced vom Scheitel bis zur Sohle, die im Nebenjob als Wochenend-DJ arbeiten, kennen oftmals keinen David Bowie, kein Motown-Label und – natürlich – keinen Mozart mehr. 
Das ist Fakt, der Autor dieser Zeilen erlebte Derartiges inzwischen mehrfach als Dozent an diversen Hoch- und Fachschulen. Es ist ein regelrecht kultiviertes Unwissen, unterstützt von bildungsfernen und launischen Elternhäusern, zu besichtigen auch an jeder allgemeinbildenden Schule. 

Ein Beispiel. »Tatort« ist eine Hauptschule in der Nähe von Hamburg. Dort gastierte vor Jahren das künstlerische Team der Schooltour, um insbesondere Jugendlichen der unteren sozialen Schichten in musikalischen Projektwochen das aktive Musizieren näherzubringen. Für eine Aufführung in der Schulaula luden die Musikdozenten prominente Kollegen ein. Das vierköpfige Ensemble »Strings de Luxe« bot ein einmaliges Programm an: »Von Mozart bis Motown«. Vier Herren  mit Violine und Cello, schneeweiß gekleidet und mit schulterlangen Haaren – Klassik zum Anfassen. 

Entsetzter Schulleiter

Als dem Schulleiter dieses Angebot gemacht wurde, fasste der sich entsetzt an den Kopf, raufte sich die Haare und rief: »Oh mein Gott, doch nicht mit diesen Schülern! Klaaaaassik! Wer kommt denn für den Schaden auf, wenn da die Geigen beschädigt werden?« Erst nachdem das Team der Gastdozenten die Haftung für Schäden an den Instrumenten garantierte, drei kräftig gebaute Musiker erklärten, sie würden am Bühnenrand als Ordner mit aufpassen, willigte der besorgte Schulleiter ein. 

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In der großen Halle kamen dann mehrere hundert Schüler zusammen, viele mit Migrationshintergrund, das freche Baseballkäppi mit der Kappe nach hinten. Es war laut und lärmig. Aber es wurde seltsam ruhig, als die vier Musiker mit ihrer ganz eigenen Aura die Bühne betraten. Dann die ersten Takte. Mozart. Dazu die langen Haare wild geschwungen, die Geigen wie E-Gitarren offensiv angepackt – und das Wunder geschah! 

Minderjährige aus unteren sozialen Schichten, Schülerinnen und Schüler der Hauptschule, sie alle hörten zum ersten Mal in ihrem Leben live den Klang von Geigen und Cello. Viele hörten vermutlich überhaupt zum ersten Mal ein echtes Instrument. Wer einen solchen Ausbruch von Jubel und Freude einmal erlebt hat, der vergisst ihn sein Leben lang nicht. 

Entflammte Herzen

Von wegen primitive Hip-Hop-Jugend, all diese dummen Vorurteile. Hier durchbrach Wolfgang Amadeus Mozart Zeit und Raum, wirkte wie ein ewiger Ohrwurm und entflammte die Herzen. Strings de Luxe wurden frenetisch gefeiert, so als wären sie die Backstreet Boys. Der Schulleiter soll angeblich noch immer mit offenem Mund in der Aula stehen und staunen. 

Was uns das sagen will? Wer sein eigenes Kulturgut nur noch unter der Hand serviert, so wie früher Pornos in dunklen Läden in Hinterhöfen, der darf sich nicht wundern, wenn eine Generation »Ich-nix-wissen« heranwächst und blöd aus der Wäsche glotzt, selbst wenn sie es bis zur Hochschule schafft. 

Liebe Kultusministerkonferenz, zur Strafe bitte jetzt 100-mal Keith Richards weise Worte nachsprechen und dann volkspädagogische Besserung geloben: »Musik ist eine Notwendigkeit. Nach Essen, Luft, Wasser und Wärme ist Musik die nächste Notwendigkeit des Lebens.« 

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