Yello-Mitbegründer Carlos Perón sieht Musikszene kritisch
In der fantastischen Literatur ist die Figur des Magiers von zentraler Bedeutung. Er ist allwissend und kennt geheime Formeln. Schriftsteller von J. R. R. Tolkien bis Joanne K. Rowling kommen in ihren Bestsellern nicht ohne diesen Mythos aus. Der Magier ist ein Meister seines Handwerks, ein Dramaturg im Hintergrund, immer auch ein Außenseiter. So einer sitzt mir nun gegenüber. Carlos Perón kommt aus der Schweiz, war Mitbegründer der Band Yello und gehört zu den bekanntesten Vertretern der elektronischen Musik, nicht nur im deutschsprachigen Raum.
Im ersten Stock eines alten China-Restaurants, nah am Frankfurter Bahnhof, treffen wir uns, um über dampfende Teller hinweg Musikkultur zu betrachten. Das beginnt mit einem Nachruf: »Die großen Label spielen keine Rolle mehr. Interessante Musik findet nur noch außerhalb der Industrie statt«, sagt Perón.
Er muß es wissen, denn er erlebte noch die letzten Jahre des »Golden Age of Rock ’n’ Roll«, jene Ära, die Plattenfirmen bis in die 1990er-Jahre mit Superstars zu Global Playern anwachsen ließ. Perón lacht. Berichtet von Partys der Branche, wo sich in endlosen Nächten irgendwelche durchgeknallten Produzenten die Zigarren mit brennenden Geldscheinen anzündeten. Dekadenz und Schampus von gestern.
Gestern, da waren auch die Mitglieder von Yello plötzlich Weltstars geworden. In Zürich trafen 1979 Dieter Meier und Boris Blank auf den umtriebigen Perón. Gemeinsam beschlossen sie, das Weltall der Klänge neu zu erforschen und daraus resultierende Entdeckungen und Erfindungen der staunenden Welt zu präsentieren. Sie verabredeten sich in einem Testlabor für Autos, um Motorengeräusche aufzunehmen. Der absolute Underground. »Wenn einer schräg ist, dann sucht er sich andere, die auch schräg sind, gemeinsam ist man dann noch schräger« – die magische Erfolgsformel von Yello einfach erklärt. Die elektronischen Drei gingen selbstbewußt in die USA, stellten sich bei Plattenfirmen vor, erhielten einen Plattenvertrag – und schossen durch die Decke.
Hand des Magiers war im Spiel
Bei aller Experimentalwut erzählte Sänger Dieter Meier mit sonorer Stimme feine Geschichten, während die Musik gut gebündelt und clever strukturiert satten Groove mit ohrwurmiger Feinkost verband. Yello waren raffiniert, die Hand des Magiers war im Spiel. Dieser ging 1984 nach Fertigstellung des legendären Albums »You Gotta Say Yes To Another Excess«. Das war die Grundlage kommender Chart-erfolge.
Perón hatte Yello auf die Schiene gesetzt und als Alchimist gleich die Formel für Gold (in den Charts) mit auf den Weg gegeben. Er berichtet von »siebenstelligen Vorschüssen«, die es nach den ersten Erfolgen in Europa gab. Das ist Schnee von gestern. Irgendwie ahnte Perón wohl den kommenden Untergang der alten Musikbranche, der er eine Mitschuld gibt. »Die Artist & Repertoire Manager sind bis heute für ihren Job nicht qualifiziert, haben von Musik keine Ahnung und entscheiden mit ihrem persönlichen Geschmack, was auf den Markt kommt«, lautet sein Urteil.
Perón setzte sich ab und widmete sich der Eigenproduktion, gründete seine Produktionsfirma Liquidgoldmastering. Die dort erscheinenden Werke wirken wie eine Enzyklopädie musikalischer Kurzgeschichten. Kein Thema ist zu klein. Wagner darf zu Techno und Industrial tanzen, Sultan Saladdin auch. Der SM-Fetischszene lieferte er bizarre Soundtracks, arbeitet an Opern. Anfang diesen Monats veröffentlichte er mit »Switched-On Bosch« einen Crossover hin zur bildenden Kunst.
Von dort oben ist ihm die heutige Musikszene da unten zu klein, zu unbedeutend: »Bei manchem Rap denke ich, das Gackern der Hühner wäre besser.« Er lästert über benachbarte Billigelektroniker mit ihrem »Kirmes-Techno« und den »Produzentenpop für Land-
eier«.
Kulturelle Langeweile
Wir sind nun beim Nachtisch, es gibt heiße Bananen mit Honig. Der Meister spricht jetzt das Schlußwort. Carlos Perón sieht die Popkultur auch als ein Reflex auf die Gesellschaft. Der politisch korrekte Mainstream von heute fördere Anpassung und befördere kulturelle Langeweile: »Ihr Deutschen dürft doch inzwischen nicht mehr offen sagen, was ihr denkt, ohne befürchten zu müssen gleich in irgendeine Ecke geschoben zu werden. Ich bin Schweizer, mir kann keiner was. Ich sage und mache, was ich will.«
Jetzt ist Zeit für einen chinesischen Reisschnaps...