Andreas Schager begeisterte als Siegmund

Valery Gergiev dirigierte das Mariinsky-Orchester mit dem Violinvirtuosen Pinchas Zukerman. ©Michael Gregonowits
Eigentlich sollten die Sommerfestspiele in Baden-Baden mit Wagners »Walküre« und dem Tenor Jonas Kaufmann beginnen. Die Walküre gab es – Kaufmann war krank – Ersatz Andreas Schager überzeugte als Siegmund.
Intendanten und Trainer haben ein gemeinsames Feindbild: die Bänder ihrer Stars. Mal sind es die Stimmbänder der Tenöre, mal die Kniebänder der Fußballer, die gegen die permanente Belastung protestieren. Keine Pausen zur Erholung. Hamsterrad. So passte es, dass nach dem Ausfall prominenter Fußballer auch der Superstar der Sommerfestspiele in Baden-Baden, Jonas Kaufmann, absagen musste. Nicht zum ersten Mal.
Dirigenten sind robuster, und Valery Gergiev ist besonders robust. In vier Tagen dirigierte er »Die Walküre« zweimal konzertant, dazu zwei Sinfonien, zwei Klavier- und zwei Violinkonzerte. Ein Mammutprogamm.
Andreas Schager: Ein Geheimtpp
Sieglinde (vorzüglich: Eva-Maria Westbroek) musste flexibel sein. Siegmund wechselte tarnkappenmäßig dreimal: Kaufmann kam nicht, Stuart Skelton, als Tristan in guter Erinnerung, sang am Donnerstag bravourös, reiste ab; für ihn sprang am Sonntag Andreas Schager ein und gewann. Schager hat eine erstaunliche Karriere vom Operetten- zum Wagnertenor gemacht. Tiefe Provinz, dann Geheimtipp, jetzt auf dem Weg zu den ganz großen Bühnen. Parsifal in Bayreuth wartet.
Richtiger Heldentenor
Schager hat nicht die elegante Leichtigkeit von Kaufmann, nicht Skeltons baritonale Wärme, er ist ein richtiger Heldentenor, strahlend und kraftvoll in den Höhen etwa bei den Wälse-Rufen. Zu Recht umjubelt. Auch die anderen Partien waren gut besetzt; anrührend René Pape als Wotan und Evelyn Herlitzius als Brünnhilde; man verstand sofort das tiefe Drama dieser Vater-Tochter-Beziehung.
Wagner liegt Gergiev, beide überwältigen gern, ob im Wälsungenblut, Walkürenritt oder Feuerzauber; aber die Musik blieb gut strukturiert und transparent in den vielen Piano-Stellen.
Gergiev, Freire, Zukerman und Grimaud
In den Konzerten gab es zwei Programmänderungen, eine sorgte für lauten Unmut. Beethoven tauscht man nicht einfach aus. Keine Zeit, um das angekündigte 5. Klavierkonzert zu proben? Dafür gab es das 2. Klavierkonzert von Brahms, das Gergiev und Nelson Freire bereits in Petersburg gespielt hatten. Freire ist ein Grandseigneur, er protzt nicht mit brillanter Technik, sondern gestaltet dieses hochkomplexe, technisch sehr schwierige Werk mit tiefer Ernsthaftigkeit. Das war eindrucksvoll.
Dann kam Beethovens berühmtes Violinkonzert. Den Blick tief in der Partitur, nur bei den obsessiven Pauken lebhaft, dirigiert Gergiev dieses lyrische Stück ohne innere Spannung. Für die sorgt Pinchas Zukerman – auch er ein Grandseigneur der Klassikszene – in den vielen Pianissimi-Schattierungen und in der innigen Zwiesprache mit den vorzüglichen Holzbläsern des Mariinsky-Orchesters.
Die 5. Sinfonie liegt Gergiev mehr: große Dynamik, zügige Tempi. Das Schicksal klopft beharrlich und laut, und im Finale gibt es besseren Lärm als mit sechs Pauken (frei nach Beethoven), doch das Haus fiel nicht ein, wie einst Goethe befürchtet hatte. Dann schon eher bei der krachenden Lohengrin-Zugabe.
Das zweite Konzert war praller Brahms: Violin- und 1. Klavierkonzert und nach der Pause die 1. statt der 3. Sinfonie. Das konnte man verschmerzen. Gergiev scheint Brahms mehr zu lieben als Beethoven, doch die Stars waren wieder die beiden Solisten. Erwartungsgemäß Hélène Grimaud. Sie spielt Brahms wie sie aussieht; mit spröder Schönheit und schlanker Energie. Nikolaj Znaider ist hierzulande eher unbekannt. Mit seinen 40 Jahren durchdringt er das Violinkonzert wie ein alter Meister, verliert sich nicht in Details, macht die Struktur dieses komplexen, riesigen Konzertes hörbar. Das war eine schöne Überraschung.
Gergiev, seit 2015 auch Chef der Münchner Philharmoniker, baut sein deutsches Repertoire aus. Ob ihm das so gelingt wie mit Wagner?