Hamburg/Berlin

Künstler kämpfen in Metropolen für ihre Lebenswelt

dpa
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21. Februar 2019
Die Band Fettes Brot tritt bei einem Solidaritätskonzert für den Erhalt des alteingesessenen Werkshofs "Bernie" auf.

Die Band Fettes Brot tritt bei einem Solidaritätskonzert für den Erhalt des alteingesessenen Werkshofs "Bernie" auf. ©dpa - Bodo Marks

Wohnraum wird knapp - das hat auch für die Kultur Folgen. Vor allem in Großstädten wie Hamburg, Köln und Berlin steigen die Mieten in schwindelerregende Höhen.

Die Gentrifizierung bekommen besonders Künstler, Handwerker und andere Kreative zu spüren, die für ihre Ateliers und Arbeitsräume viel Platz benötigen.

HAMBURG: Unter dem Motto «Viva la Bernie» kämpfen seit einigen Monaten prominente Künstler wie Fettes Brot, Fatih Akin und Rocko Schamoni für einen Künstlerhof im Hamburger Stadtteil Altona.

An der Bernstorffstraße 117 leben und arbeiten seit 35 Jahren rund 110 Handwerker und Künstler. Seit ein Investor aus Berlin das Gelände gekauft hat, ist es jedoch mit der Idylle vorbei: Die Gemeinschaft der Mieter fürchtet, langfristig durch Mieterhöhungen vertrieben zu werden. Dagegen formiert sich kreativer Protest - zuletzt begeisterte ein Solidaritätskonzert mit Jan Delay, Samy Deluxe und Fettes Brot.

«Mit diesem Hof hängen ein Haufen Lebensentwürfe zusammen. Das ist ja nicht nur ein Gebäude, sondern Leben, die darin stecken», sagt Björn Warns alias Björn Beton von der Hip-Hop-Band Fettes Brot im Interview mit der Deutschen Presse-Agentur dpa. Seit 2004 hat die Band («Jein») Studio, Lager und Büro in dem mehr als 100 Jahre alten Hinterhof. «Es lässt sich schwer in Wert bemessen, was hier geleistet und für die Gemeinschaft getan wird», sagt Martin Vandreier alias Doktor Renz.

Die Hofgemeinschaft will für ihr Idyll kämpfen und hat bereits Erfolge vorzuweisen: So erklärte das Bezirksamt Altona den Hof zum «städtebaulichen Erhaltungsgebiet», das heißt der Hof kann nicht abgerissen und neu bebaut werden. Aber die Hofgemeinschaft will mehr: Sie will den Hof zurückkaufen. Dafür haben die Mieter bereits sieben Millionen Euro über Darlehen und Kredite zusammenbekommen.

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Doch die Investoren Christoph Reschke und Alexander Möll wollen nicht verkaufen. Sie bieten der Hofgemeinschaft einen Mietvertrag über eine Laufzeit von 25 Jahren zu Mieten deutlich unterhalb des ortsüblichen Niveaus und ein Vorkaufsrecht. «Ein kurzfristiger Verkauf der Immobilie an die Mieter ist derzeit weiterhin nicht gewollt», teilte Berater Matthias Onken im Auftrag der Eigentümer mit.

Im Moment laufen vertrauliche Gespräche im Hintergrund - während die Zahl der Unterstützer wächst. Auf der Facebookseite von «Viva la Bernie» fordern Künstler wie Fatih Akin und Schorsch Kamerun einen Erhalt des Hofes. «Ich finde es als visueller Chronist dieser Stadt eine Schande, dass historisch wichtige Gebäude, die etwas über die Stadt erzählen, nach und nach verschwinden», sagt Akin, der seinen aktuellen Film «Der Goldene Handschuh» in Hamburg gedreht hat.

KÖLN: «Alles Böse dieser Welt kommt aus Nippes, Kalk und Ehrenfeld» sagte man früher in Köln. Heute hat von diesen drei einstigen Arbeitervierteln nur noch Kalk einen nicht so guten Ruf - Nippes und vor allem Ehrenfeld haben sich dagegen zu Szene-Hotspots gemausert. «Wo immer man auch Fremde nicht ertrug, Köln-Ehrenfeld hat Platz genug», sang Herman van Veen in einem seiner Lieder. Bekannt ist das Multikulti-Viertel für seine kleinen Theater, Ateliers und vor allem für seine Musikclubs, in denen am Wochenende führende DJs aus ganz Europa auflegen.

Viele sehen den Ehrenfelder Kosmos allerdings bedroht: Die Mieten sind steil angestiegen, die Hauspreise haben sich binnen zehn Jahren teilweise mehr als verdoppelt. Einige Musikclubs wie das berühmte «Underground» mussten schon schließen. Der Bau einer großen Shopping Mall mit Luxuswohnungen wurde von einer Bürgerinitiative allerdings verhindert. «Das haben wir hinbekommen», sagt Bezirksbürgermeister Josef Wirges (SPD), der die Gentrifizierung für «gefährlich» hält. Stattdessen entsteht auf dem Grundstück nun ein Mischquartier mit Schulzentrum, Wohnungen und öffentlichen Flächen. Angedacht ist auch eine Kulturmeile mit erschwinglichen Ateliers und Galerie-Räumen. Aktuell ist in Ehrenfeld das Programmkino Cinenova in Gefahr - doch auch hier gibt es eine Welle der Solidarität.

BERLIN: Die Hauptstadt gilt noch immer als Hotspot für Künstler aus aller Welt, auch weil Atelierräume im Vergleich zu anderen internationalen Metropolen günstig sind. Doch es gibt viel Bewegung auch in diesem Markt, durchschnittlich 350 bezahlbare Ateliers gehen jährlich verloren. Mittelfristig fehlen rund 4000 neue Ateliers. Seit 1983 arbeiten Künstlerinnen und Künstler in den sogenannten Gerichtshöfen im Stadtteil Wedding. Seit Jahren gibt es Diskussionen um Umbaupläne, die rund 70 Betroffenen bekommen nur befristete Mietverträge. Im benachbarten Gesundbrunnen sorgen sich Künstler um ihre Zukunft in den Uferhallen, seit ein privater Investor das Gelände übernommen hat. Der Kunstsammler Axel Haubrok hat sich aus einem Projekt in der einstigen DDR-Fahrbereitschaft in Lichtenberg zurückgezogen. Er will dort keine Ausstellungen mehr zeigen, weil das Gelände als Gewerbegebiet ausgewiesen ist. Neben kleinen Betrieben haben dort auch zwei Dutzend Künstler ihre Ateliers.

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