Herbstfestspiele Baden-Baden

Magische Augenblicke

Von Dietrich Mack
Lesezeit 4 Minuten
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27. November 2024
Tara Erraught sang die anspruchsvolle Partie der Iphigenie bei den Herbstfestspielen in Baden-Baden.

Tara Erraught sang die anspruchsvolle Partie der Iphigenie bei den Herbstfestspielen in Baden-Baden. ©Andrea Kremper

Beim Finale boten die Herbstfestspiele in Baden-Baden glänzende Aufführungen von „Iphigenie auf Tauris“ und „Orfeo ed Euridice“ von Gluck, dazu Mozarts „Requiem“.

Liebhaber der konzertanten Oper kamen beim zweiten Wochenende der Herbstfestspiele voll auf ihre Kosten. Als Zugabe gab es Mozarts „Requiem“. Zunächst die „Iphigenie auf Tauris“ von Gluck in der französischen Fassung, die 1779 ganz Paris begeisterte. Nun hatte Gluck endgültig seinen Rivalen Niccolò Piccinni im berühmten Opernstreit besiegt. In der neuen Oper gab es keinen Wechsel mehr von Rezitativ und Arie, alles verband sich, getragen vom Orchester, zu einer dramatischen Einheit. Ohne Gluck wäre Wagner nicht möglich gewesen.

Im Gegensatz zur „Schöpfung“ gelang Thomas Hengelbrock und seinen Musikern eine packende Aufführung, die der dramatischen Wahrheit verpflichtet war, sowohl dem archaischen Geschehen mit Menschenopfer, Mord und Totschlag auf der Insel Tauris (der heutigen Krim), wie der Zerrissenheit der Figuren, die unter ihrem Atriden-Schicksal schier zerbrechen. Souverän agierten Hengelbrock und sein Balthasar Neumann-Orchester und-Chor; man kennt sich seit mehr als 30 Jahren.

Die Partie der Iphigenie ist sehr anspruchsvoll. Verloren steht sie vorne auf der Bühne, erzählt von ihrem Schicksal, ihren Träumen, erbittet von den Göttern den Tod. Sehr lang und etwas wackelig. Später steigert sie sich in der großen Arie „O malheureuse Iphigénie“ – deine Familie ist ausgelöscht, zu höchster Intensität. Das macht die junge Tara Erraught ergreifend.

Schöne Überraschung

Die Männer stehen ihr nicht nach, vor allem Domen Krizaj als Orest und Paolo Fanale als Pylades mit ihren weichen, vollen Stimmen; eine Freundschaft, größer als der Tod. Auch der dunkle Thoas (Aramando Noguera) und die rettende Diana (Gwendoline Blondeel) sind gut besetzt. Dieses Ensemble war eine schöne Überraschung, es müssen nicht immer Superstars sein.

Am nächsten Tag folgte das „Requiem“ von Mozart. Hengelbrock hatte es bereits 2018 im Festspielhaus aufgeführt. Er meidet, wie sein Vorbild Harnoncourt, die Extreme, jede Effekthascherei. Auch im „Dies Irae“ bekommen wir keine Gänsehaut. Wieder ist der Chor der eigentliche Star. Aber auch das Solistenquartett ist harmonisch besetzt. Sehr eindrucksvoll die drei Kontrabässe, die die Tonsprache dunkel grundieren; die Posaunen daneben ließen die Mauern von Jericho nicht einstürzen.

Vor sechs Jahren, so die Erinnerung, hatte Hengelbrock mehr Feuer entfacht, jetzt wirkt alles abgeklärt, die Härten sind gemildert, musikalisch rund, aber nicht erschütternd. Eine Bach-Kantate aus dem Osterkreis (!) vor dem „Requiem“ zu spielen, war unnötig, theologisch spitzfindig, Stimmung tötend durch den langen Umbau. Das Haus war sehr gut besucht, geduldig beim Umbau, tief beeindruckt. Aber ein spirituelles Erlebnis war es nicht.

Spirituelles Erlebnis

Das spirituelle Erlebnis folgte am Sonntag, als der Dirigent Gianluca Capuano, Cecilia Bartoli und Mélissa Petit sowie Les Musiciens du Prince – Monaco und der Chor Il Canto di Orfeo die erste Reformoper von Gluck „Orfeo ed Euridice“ aufführten. Sie hatten die Fassung von 1769 gewählt, aber das übliche Happy End gestrichen. Hier geht es nicht um Staatsaktionen, sondern nur um das Schicksal zweier Liebender, die ihr Glück nicht auf der Erde, sondern nur im Tod finden können.

Vom ersten Ton an war die Bühne mit einem magischen Zauber erfüllt. Lichtstimmung wie bei Rembrandt. Kompakt steht das Orchester, Kerzenlichter flackern, der Chor umkreist das Grab von Euridice mit seiner Klage „Ah! Se intorno a quest’urna funesta“. Immer ist der Chor in Bewegung, wirkungsvolle Lichtregie, wundervolle Klangfarben im Orchester. Im „Furientanz“ vergeht einem Hören und Sehen, in der anschließenden Pastoralen wiegt man sich mit zum „Reigen der seligen Geister“.

Cecilia Bartoli in der Hosenrolle des Orest legt ihre ganze stimmliche und darstellerische Energie nicht in gewagte Koloraturen, sondern in die Durchdringung ihres Schmerzes, ihrer Liebe. Ihr Mezzo passt perfekt zu der in dieser Fassung transponierten Rolle. Ihre Pianissimi perlen, Arien wie „Che farò senza Euridice“ rühren zutiefst. Ihr ebenbürtig Mélisa Petit als Euridice. Ein Gesamtkunstwerk: die Macht der Musik, die Macht der Liebe. Magische Augenblicke. Höhepunkt der Herbstfestspiele.

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Dietrich Mack
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