Menschenleben sind Nebensache

Die Passagiere erzählten ihre Geschichte. ©Christoph Breithaupt
Eine gespenstische, tragische Geschichte, die durch humoristische Momente und tänzerische Einlagen nur noch beklemmender wurde: „Die Reise der Verlorenen“, das am Mittwoch von der Theaterlust München in Kooperation mit dem Altonaer Theater Hamburg in der Oberrheinhalle auf die Bühne kam. Das Schauspiel von Daniel Kehlmann schildert eine wahre Begebenheit nach dem Buch „Voyage of the damned“ von Gordon Thomas und Max Morgan-Witts (1974).
1000 jüdische Passagiere stranden im Mai 1939 auf dem Luxus-Motorschiff St. Louis der Hapag Lloyd vor Havanna. Dabei war dem Kapitän versichert worden, dass die Landeerlaubnis vorliegt; doch der Präsident verweigert die Einreise. Korruption, Gleichgültigkeit, Egoismus und politische Willkür führen dazu, dass das Schiff nach Deutschland zurückkehren muss. Das mutige Verhandeln des Kapitäns Gustav Schröder kann das Unheil nicht abwenden, seine Menschlichkeit und sein Wille zur Rettung der Menschen wird später geehrt – mit dem Bundesverdienstkreuz und der Auszeichnung „Gerechter unter den Völkern“. Jüdische Organisationen schaffen es in letzter Minute, dass Großbritannien, Frankreich, die Niederlande und Belgien die Flüchtlinge aufnehmen. Trotzdem überleben nur wenige.
Das Bühnenbild besteht aus zwei beweglichen Projektionsflächen für Darstellungen von Schiffen, ein Gerüst simuliert die Decks. Acht Akteure (Konstantin Moreth, Edith Konrath, Oliver Mirwaldt, Judith Riehl, Sebastian Prasse, Roland Peek und Robin McMinn) stellen abwechselnd 21 Personen dar: darunter den widerwärtigen Steward Otto Schiendick (Moreth), in dem sich so ziemlich alle Klischees eines dummdreisten Nazis vereinen, die kubanischen und US-amerikanischen Minister, Militärs, Politiker, Diplomaten und Präsidenten, die jüdischen Passagiere.
Geniale Idee
Eine geniale Idee, denn diese Mehrfachbesetzungen machen deutlich, wie zufällig das Schicksal zuschlägt. Ben Daniel Jöhnk spielt den von seinem Gewissen, der Verantwortung für seine Passagiere und der Loyalität zu Deutschland und der Hapag-Lloyd zerrissenen Kapitän Gustav Schröder.
Die Passagiere stellen sich mit ihren Geschichten vor, hoffnungsfroh kommen sie in Havanna an, man fiebert mit – und dann beginnt das peinliche Geschacher. Hapag Lloyd nimmt die jüdischen Passagiere skrupellos aus, alle wittern das große Geschäft, ihre Reden und Erklärungen sind an Scheinheiligkeit nicht zu überbieten. „Es gibt eine Million Juden. Diesem Schiff werden weitere folgen“, überlegt Kubas Präsident, da spiele es keine Rolle, welches er ablehne. Das Leben der Menschen, ihre Würde, ihre Rechte? Nebensache.
Am Ende des Stücks herrscht Stille im Saal. Der lange Beifall des Publikums setzt erst nach einer Schrecksekunde ein.