Bob Dylans Album „Rough and Rowdy Ways“

Neue Bekenntnisse des Hochstaplers Bob Dylan

Gunther Reinhardt
Lesezeit 6 Minuten
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18. Juni 2020
Der letzte große Beatpoet: Bob Dylan (links) mit Allen Ginsberg im Jahr 1975 in einer Szene aus Martin Scorseses Film „Rolling Thunder Revue“

Der letzte große Beatpoet: Bob Dylan (links) mit Allen Ginsberg im Jahr 1975 in einer Szene aus Martin Scorseses Film „Rolling Thunder Revue“ ©Foto: imago//Netflix/Grey Water Park Productions

Bob Dylan nimmt einen auf dem Album „Rough And Rowdy Ways“, das an diesem Freitag erscheint, mit in einen wunderbar wuchernden lyrischen Irrgarten. Immer wenn man glaubt, den Weg nach draußen gefunden zu haben, wird es noch verworrener.

Stuttgart - Durch polternden Bluesrock, empfindsame Sehnsuchtballaden, Gospelhymnen und Geschichtsdramen huschen Anne Frank, Indiana Jones und die Rolling Stones. Elvis Presley und Martin Luther King, Allen Ginsberg und Jack Kerouac, Harold Lloyd und Buster Keaton schauen vorbei. Hier lauert einem William Blake auf, dort versteckt sich Edgar Allan Poe im Dunkeln.

Bob Dylan zuzuhören heißt, sich durch Menschenmassen zu schlängeln, durch spirituell eingefärbte Traumfabeln und gewaltige Textlabyrinthe zu irren, sich in einem verriegelten poetischen Paradies aussetzen zu lassen, um sich dann auf eine Reise um die Welt zu begeben, bei der man nicht wie bei Kleist nach dem Eingang, sondern dem Ausgang suchen muss.

Der Mann, der nicht zu fassen ist

„There must be some way out of here“, ließ Dylan einst in „All Along The Watch­tower“ den Joker zum Dieb sagen und den Wind aufheulen. Und auch über 50 Jahre später sperrt Dylan einen am liebsten in einen Irrgarten ein, lässt einen mit unlösbaren Rätseln und der Suche nach dem Ausgang allein zurück, während draußen die Apokalypse naht: „Rough And Rowdy Ways“, das neue Album des Mannes, der wie kein anderer die Rockmusik geprägt hat, ist voller solcher monströser lyrischer Puzzle.

Seit „The Tempest“ (2012) hat Dylan kein Album mehr mit eigenen Songs veröffentlicht. Und irgendwie gelingt es dem 79-Jährigen immer noch, einen zu überraschen. Wenn es etwas gibt, das Dylans Werk zusammenhält, dann, dass er am liebsten die Rolle des unfassbaren Tricksers und Täuschers spielt. Immer wenn man glaubt, man ist ihm auf der Spur, schlägt er wieder einen tollkühnen Haken. Das gilt nicht nur für seinen legendären Auftritt beim Newport Folk Festival im Jahr 1965, bei dem er die Folkwelt zum Explodieren brachte, weil er mit E-Gitarre auf die Bühne kam. Stets macht er das, was man nicht von ihm erwartet: Er ließ sich zum Beispiel zu einem bizarren Gastauftritt in der TV-Sitcom „Dharma und Greg“ überreden und machte dort mit Hauptdarstellerin Jenna Elfman als Drummerin eine Jamsession. Er schwänzte 2016 die Verleihung des Literaturnobelpreises und schickte stattdessen seine Kollegin Patti Smith nach Stockholm. Bei seinem Auftritt bei den Jazz Open in Stuttgart bewies der Mann, der das Image des grimmigen Enigmas pflegt, dass er auch ausgelassen lachen kann. Und die Corona-Krise nutzte er nun frech, um ausgerechnet mit einem sperrigen 17-Minuten-Epos namens „Murder Most Foul“ seinen ersten Nummer-eins-Single-Hit überhaupt zu landen.

Kaum entwirrbare lyrische Knäuel

An diesem Freitag nun legt er mit dem Album „Rough And Rowdy Ways“ nach. Die Platte bietet Platz für Auseinander­setzungen mit Tod und Vergänglichkeit („Crossing The Rubicon“), für eine wuchtige Hommage an eine Blueslegende („Goodbye Jimmy Reed“), für karg-folkloristische Moritaten („Black Rider“) und für einige 12-Takt-Blues-Variationen. Vor allem aber führt einen Bob Dylan weiterhin gerne in die Irre, trickst einen immer wieder grandios aus. Er bleibt der verschlossene Poet, der kaum entwirrbare lyrische Knäuel liebt. Und die Songs, für die das auf „Rough And Rowdy Ways“ besonders gilt, sind die, die das Album eröffnen und beenden.

Seltsam bekenntnishaft kommt die Albumeröffnung daher. Aber Ich-Erzählern darf man niemals trauen, vor allem dann, wenn sich hinter ihnen Bob Dylan verbirgt. Wie die Danaer sollte man Dylan auch dann fürchten, wenn er Geschenke bringt; Geschenke wie den Song „I Contain Multitudes“, in dem er frei assoziierend, in einem ungefilterten Bewusstseinsstrom, scheinbar alles von sich preisgibt.

Schnelle Autos, Beethoven und Chopin

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Doch schnell merkt man, dass man ihm in die Falle gegangen ist, dass er nicht wirklich Geheimnisse verrät, wenn er in einer Art Rhapsodie von den Waffen ­erzählt, die er immer mit sich herumschleppe, dass er mit Leben und Tod im selben Bett schlafe, dass er schnelle Autos und Fast Food möge („I drive fast cars, and I eat fast foods“) und dass er gerne Beet­hoven-Sonaten und Chopin-Präludien spiele. So verwandelt sich das Bekenntnisversprechen in ein Durcheinander aus Andeutungen und Wortspielen. Was bleibt, sind nur die Zeilen „I’m a man of contradictions, I’m a man of many moods“: Ich bin ein Mann voller Widersprüche, ich bin ein Mann der vielen Stimmungen. Aber das wusste man eigentlich schon vorher.

Auch das epische Gedicht „Murder Most Foul“, das das Album abschließt, führt auf eine falsche Spur. Der Mord an John F. Kennedy, um den es scheinbar geht, ist nur der Ausgangspunkt für eine Traumreise, die sowohl in die Vergangenheit als auch in die Zukunft führt. Abermals frei assoziierend erschafft Dylan eine grandios-vielstimmige Ballade, in der amerikanische Mythen und Traumata aufeinanderprallen.

Unterwegs mit den Eagles und John Lee Hooker

„Murder Most Foul“ erzählt von der zerrissenen Seele einer Nation, und der Freiheit, die es nur im Tod gibt. „Gib Gas!“, fordert dieser Trickser und ­Täuscher namens Bob Dylan den Präsidenten auf und rast mit ihm nach Woodstock, Altamont oder Memphis, um dem Tag des Jüngsten Gerichts zu entkommen. Und während aus dem Autoradio John Lee Hooker und die Eagles, „Please Don’t Let Me Be Misunderstood“ und „Another One Bites The Dust“ tönen, bleibt man als Zuhörer allein in einem Berg aus Puzzlestücken zurück und muss versuchen, sie zu einer eigenen Version der Geschichte zusammenzusetzen.

Bob Dylan: Rough And Rowdy Ways. Columbia/Sony

Sehen, Lesen, hören: Bob Dylan für Anfänger

Film D. A. Pennebaker begleitet Dylan in „Don’t Look Back“ auf dessen Großbritannientour im Jahr 1965 (auf DVD erhältlich), Martin Scorsese blickt in „Rolling Thunder Revue“ hinter die Kulissen der gleichnamigen Tour im Jahr 1975 (auf Netflix verfügbar).

Buch Robert Sheltons „No ­Direction Home“ (Edel Books, aus dem Amerikanischen von Gisbert Haefs, 700 Seiten, 36 Euro) gilt als Standardwerk.

Musik Das US-Magazin ­„Rolling Stone“ hat im Jahr 2012 die 500 besten Alben aller Zeiten gekürt. Diese Dylan-Platten finden sich unter den Top 100: Platz 4 „Highway 61 Revisited“ (1965), Platz 9 „Blonde On Blonde (1966), Platz 16 „Blood On The Tracks“ (1975), Platz 31 „Bringing It All Back Home“ (1965) und Platz 97 „The Free­wheelin’ Bob Dylan“ (1963).

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