Fernsehserien in Corona-Zeiten

Schöne heile Telenovela-Welt

David Scheu
Lesezeit 5 Minuten
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14. Dezember 2020
Erst beim Dreh fällt die Maske: Franzi (Léa Wegmann) und Tim (Florian Frowein) aus „Sturm der Liebe“.

(Bild 1/8) Erst beim Dreh fällt die Maske: Franzi (Léa Wegmann) und Tim (Florian Frowein) aus „Sturm der Liebe“. ©Foto: ARD/Christof Arnold

Mindestabstand und Maskenpflicht: Die Corona-Pandemie erschwert die Produktion vieler Fernsehserien immens. In den Drehbüchern wird das Virus hingegen meist ganz bewusst ignoriert. Es gibt aber auch Ausnahmen.

München - Am Ende finden sie sich doch. Nach über 200 Folgen voller Missverständnisse und Intrigen geben sich zum Ende der 16. Staffel der ARD-Telenovela „Sturm der Liebe“ (werktags um 15.10 Uhr) deren Hauptfiguren Franzi und Tim das Ja-Wort. An diesem Mittwoch läuft die Hochzeitsfolge, für die allen Pandemie-Abstandsregeln zum Trotz fast alle Darsteller und etliche Komparsen gleichzeitig vor der Kamera standen. Und geküsst wird natürlich auch.

Was für das Produktionsteam seit 15 Jahren – so lange gibt es „Sturm der Liebe“ nun schon – eigentlich inszenatorische Routine ist, stellt in Corona-Zeiten eine echte Herausforderung dar. „Wir haben zu Beginn der Pandemie ein detailliertes Infektionsschutzkonzept erarbeitet“, sagt die Sprecherin der Serie, Veronika Kolbeck. Am Set in den Münchner Bavaria-Studios gilt Maskenpflicht, von der nur die Darsteller befreit sind – und das auch nur für den eigentlichen Dreh, nicht aber während der Proben. Zudem wird die gesamte Crew regelmäßig auf das Virus getestet.

Vier Monate lang keine Küsse

Auch bei anderen Fernsehserien wirbelte Corona hinter den Kulissen vieles durcheinander. Die zweite ARD-Telenovela „Rote Rosen“ (werktags um 14.10 Uhr) verzichtete von Mai bis August vier Monate lang auf Szenen mit körperlichen Berührungen. Keine Küsse, keine Umarmungen, nicht mal ein Streit mit anschließendem Handgemenge. Ganze Drehbücher mussten umgeschrieben werden, um Emotion auf Distanz zu inszenieren. „Unsere Regisseure haben viele alte Filme aus den 1920er Jahren geschaut, in denen es ja auch kaum körperliche Nähe gab“, sagt Sprecherin Daniela Behns. Gesten und Blicke gewannen sprunghaft an Bedeutung, wie einst im Stummfilm.

Bei „Unter uns“ auf RTL (werktags um 17.30 Uhr) gilt die Abstandsregel bis heute. „Wir sehen es auch als kreative Herausforderung, Corona auszutricksen“, sagt Guido Reinhardt, Produzent der Serie. Oft helfen kleine Kniffe, um vertraute Sehgewohnheiten zu erhalten: Küssen sich zwei Darsteller beim Dreh im Kölner Studio, trennt sie dabei eine nachträglich wegretuschierte Plexiglasscheibe. In der ARD war indes die Maske kreativ und entwarf Silikonhände, über die am Set von „Rote Rosen“ gestreichelt wurde.

Auch der Außendreh verändert sich

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Manches kann aber auch die Postproduktion nicht kaschieren. Die Corona-Tests für das 150-köpfige Team von „Rote Rosen“ beanspruchten das Budget derart stark, dass an anderen Stellen gespart werden musste – durch die Halbierung der Komparsen-Anzahl oder den Verzicht auf teure Außendreh-Motive: Statt einer Villa oder Firma sind derzeit Waldwege und Altstadtgassen erste Wahl, bei denen lediglich eine Gebühr an das Ordnungsamt anfällt. Auch der Cast schrumpfte bei „Rote Rosen“ vorübergehend: Brigitte Antonius (87) und Claus Dieter Clausnitzer (81) wurden als Mitglieder der Risikogruppe über mehrere Monate bis Anfang September aus den Dreharbeiten herausgenommen.

So sehr allerdings das Virus die Produktionen bestimmt und beschränkt, so wenig ist es Teil der Handlungen: Seit Beginn der Pandemie ignorieren die Drehbuchautoren deutscher Serien Corona ebenso konsequent wie bewusst. Und auch künftig sollen die Formate Corona-freie Räume bleiben. „Die Pandemie passt inhaltlich nicht zur Ausrichtung der Serie“, sagt Veronika Kolbeck. „Sturm der Liebe“ sei ein modern erzähltes Märchen – mit einer zwar im Hier und Jetzt verorteten Handlung, die aber Belastendes dieses Alltags ausspare. Auch bei „Unter uns“ gilt diese Maxime. „Wir wollen die Welt heiler erzählen, als sie draußen ist“, betont Produzent Reinhardt.

„Grey’s Anatomy“ integriert die Pandemie in die Handlung

Der Medienökonom Thorsten Hennig-Thurau von der Universität Münster hat sich eingehend mit diesem Phänomen befasst, das er auf ein Eskapismus-Bedürfnis der Zuschauer zurückführt: „Sie möchten in diesen Serien einer bedrohlichen Welt entfliehen und nicht mit Alltagssorgen oder Schutzmasken konfrontiert werden.“ Zudem sei keineswegs ausgemacht, dass eine von Corona durchzogene Handlung zum Zeitpunkt der Ausstrahlung oder gar bei einer Wiederholung einige Jahre später noch funktioniere. „Die Lage ändert sich ständig. Die Produzenten haben durch eine Thematisierung der Pandemie viel mehr zu riskieren als zu gewinnen“, sagt Hennig-Thurau. Bei „Unter uns“ kommt der Kontrast zum Alltag auf den Bildschirmen laut Guido Reinhardt jedenfalls gut an: „Wir erhalten viele Nachrichten von Fans, die glücklich mit dieser Ausrichtung sind.“

Allerdings erlauben nicht alle Serien ihrem Publikum diese Realitätsflucht in eine unversehrte, pandemiefreie Welt: Vor allem außerhalb der deutschen Serienszene brach Corona zuletzt auch in bestehende fiktionale Erzählwelten ein. Beispielsweise in der 17. Staffel der Arztserie „Grey’s Anatomy“, die im November in den USA angelaufen und in Deutschland derzeit auf Amazon Prime verfügbar ist. Darin grassiert das Virus im Grey Sloan Memorial Hospital, selbst die Hauptprotagonistin Meredith Grey infiziert sich. Auch im seit 1960 laufenden britischen Serien-Dauerbrenner „Coronation Street“ kam die Pandemie im Juli von einem Tag auf den anderen in der titelgebenden Straße an. Der Name der Serie hat allerdings nichts mit dem Virus zu tun – „Coronation-Street“ bedeutet auf Deutsch Krönungsstraße.

Hätte die „Lindenstraße“ Corona thematisiert?

„Hier geht es um besondere Beziehungen zwischen Zuschauern und Charakteren, quasi als Ergänzung zu den Beziehungen zu realen Menschen“, sagt Hennig-Thurau zu dieser Abkehr vom Fluchtmotiv eskapistischer Formate. „Coronation Street“ lebe davon, nah an den täglichen Sorgen des Publikums zu sein und so eine spezielle Bindung zu erzeugen. Eine solche Ausrichtung habe auch die deutsche Fassung „Lindenstraße“ geprägt, so Hennig-Thurau. Womöglich hätten daher auch deren Autoren Corona als Gegenentwurf zu Formaten wie „Sturm der Liebe“ in den Plot integriert. Doch das bleibt Hypothese. Letzter Drehtag der „Lindenstraße“ war der 20. Dezember 2019 – kurz bevor die ersten Corona-Fälle in Deutschland bekannt wurden.

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