So war’s beim ersten Deutschlandkonzert von Depeche Mode
Es ist ein besonderer Tag in Leipzig. Nicht nur wegen des Auftakts der Deutschlandtour von Depeche Mode auf der Festwiese. Nicht nur wegen des Wave-Gothic-Treffens, das zeitgleich stattfindet, die Stadt einem Wimmelbild exaltierter, extravaganter und in schwarz gekleideter Menschen verwandelt und die Hotelpreise in die Höhe treibt. Sondern vor allem, weil heute der 26. Mai ist. Vor genau einem Jahr starb Andy Fletcher, der bis dahin ein Drittel von Depeche Mode war – der Stille, Zuverlässige, Vernünftige an der Seite des Sängers Dave Gahans und des Songschreibers Martin Gores.
Im Gedenken an Andrew Fletcher
Die beiden stehen nun zu Beginn der Zugaben vorne an der Rampe, die ins Publikumsmeer auf der Leipziger Festwiese ragt. 70 000 Menschen haben sich dort versammelt, hören wie Gahan und Gore nur begleitet von einem E-Klavier „Waiting for the Night“ singen, sich wünschen, dass endlich die Nacht hereinbricht, um sie vor der schlimmen Realität zu schützen. Und als der letzte Ton verklungen ist, halten sie für einen sehr langen Momente inne, und in den Großaufnahmen, die auf die Videoleinwände projiziert werden, glaubt Tränen in ihren Augen zu entdecken: „Andy, wir hätten so gerne, dass du heute bei uns bist“, sagt Gahan.
In Melancholie getunkte Songs
Es ist ein trauriger Tag in Leipzig. Zusammen mit dem Schlagzeuger Christian Eigner und dem Keyboarder Peter Gordeno, die Depeche Mode schon seit vielen Jahren auf Tourneen begleitet, tunken Gore und Gahan das Repertoire der Band in Melancholie. Zwar bescheren Klassiker wie das hymnisch-euphorische „Enjoy The Silence“, das furios in Szene gesetzte „Never Let Me Down Again“ oder das von einem grandiosen Boogie-Riff angetriebene „Personal Jesus“ dem Publikum wie gewohnt kollektive Glücksmomente, vertonen „Stripped“ und „A Pain That I Used To“ wieder einmal mit mit einer grandioses Vehemenz Obsessionen. Doch mehr als sonst schleicht sich ein schwermütiger Ton in die Inszenierung der Songs ein. „Walking in My Shoes“ klingt plötzlich ungeduldiger und unglücklicher, die Casiosounds, die „Everything Counts“ dekonstruieren, wirken nicht mehr so ausgelassen wie früher, und wenn Dave Gahan wie ein Derwisch über die Bühne kreiselt, hat man den Eindruck, dass seine Drehungen irgendwie auch die Freue abhanden gekommen ist.
Fletcher ist allgegenwärtig
Wenn man es nicht besser wüsste, könnte man zwar glauben, dass die Buchstaben D und M die groß über der Bühne leuchten, für Dave und Martin stehen, doch tatsächlich sind die Lücke und der Schmerz, die Andrew Fletchers Tod bei Depeche Mode hinterlassen hat, bei dem Konzert an seinem ersten Todestag nicht zu überhören. „My Cosmos Is Mine“, das vom aktuellen Album „Memento Mori“ stammt, das unter dem Eindruck des Verlustes entstanden ist und das die Show um 21 Uhr eröffnet , klingt wie ein mit Industrialbeats elektronisch aufgemischter spröder Trauermarsch. Und nie zuvor war der Balladenanteil im Programm von Depeche Mode so hoch, wie hier – darunter auch eine betörende, von Martin Gore gesungene Version des Lieds „A Question of Lust“ vom Album „Black Celebration“ von 1986, dessen Titel auf einmal traurig aktuell kling, oder der als klassische Klavierballade daherkommende Song „Soul To Me“.
Nur „Just Can’t Get Enough“ bleibt unangetastet
Es ist ein großartiger Abend in Leipzig. Die meisten Songs, die Depeche Mode spielen, sind gründlich überarbeitete Versionen, die oft viel reifer und vielfältiger klingen als die Originale. Lediglich „Just Can’t Get Enough“, dieser Hit aus der Zeit, als man Depeche Mode für Synthiepop-Milchbubis hielt, bleibt unangetastet, darf noch so klingen wie im Jahr 1981 und überdeckt für ein paar Minuten mit seiner quirlig-überdrehten Unbeschwertheit die Traurigkeit, die den Abends prägt. Auch wenn Name Andrew Fletchers nur zweimal fällt – einmal nach „Waiting for the Night“ und einmal als Gahan „World in my Eyes“ –, ist der verstorbene Depeche-Mode-Keyboarder doch beim Tourauftakt in Leipzig allgegenwärtig.
Es ist 23.15 Uhr als dieser großartige, besondere, traurige Tag zu Ende geht. Die letzten Töne von „Personal Jesus“ verklingen, die Band verneigt sich, Gahan verspricht: „Wir sehen uns wieder.“
Depeche Mode: Setlist und weitere Konzerte
Setlist
Diese Lieder haben Depeche Mode in Leipzig gespielt: My Cosmos Is Mine / Wagging Tongue / Walking in My Shoes / It’s No Good / Sister of Night / In Your Room / Everything Counts / Precious / Speak to Me / A Question of Lust / Soul With Me / Ghosts Again / I Feel You / A Pain That I’m Used To / World in My Eyes / Wrong / Stripped / John the Revelator / Enjoy the Silence Zugaben: Waiting for the Night / Just Can’t Get Enough / Never Let Me Down Again / Personal Jesus
Konzerte
Im Rahmen ihrer Tournee treten Depeche Mode noch am 4. und 6. Juni in Düsseldorf (Merkur Spiel-Arena), am 20. Juni in München (Olympiastadion) am 29. Juni und 1. Juli in Frankfurt (Deutsche Bank Park) und am 7. und 9. Juli in Berlin (Olympiastadion) auf.