Stuttgart - Die Einschränkungen im Kulturleben klammern die Architektur nicht aus. Architektenvorträge oder Podiumsdiskussionen vor gefüllten Zuschauerreihen sind abgesagt. Außergewöhnliche Bauten und Architektur-Highlights in fernen oder auch nahen Ländern während des Urlaubs oder bei Auslandsstädtetrips in Augenschein zu nehmen – auch darauf muss man derzeit und mittelfristig verzichten. In der Not haben wir im Netz sowie im TV- und Streamingangebot nach lohnenswerten Architekturformaten gefischt.

Online-Vortragsreihe „Architects not Architecture – Home Edition 2020“

In der Baukunst bewundert man gelungene Bauten, den Architekten und Planern schenkt man hingegen eher wenig Beachtung; nicht allen, aber vielen unter ihnen ist das eher recht. Dabei finden sich unter der nationalen und internationalen Architektenschar jede Menge Frauen und Männer, die spannende Lebenswege vorzuweisen haben. Diese starken Persönlichkeiten ins Licht zu rücken, ist das Ziel der 2015 ins Leben gerufenen Veranstaltungsreihe „Architects not Architecture“. Jeweils drei namhafte Architektinnen und Architekten berichten an einem Abend über ihren Werdegang, erzählen, wie sie mal angefangen haben, was sie beeinflusst hat, was sie bewegt.

Von Hamburg aus hat die Reihe in andere deutsche und europäische Metropolen expandiert; in Stuttgart gastierte sie zuletzt im Mai 2019 mit Stefan Behnisch, Peter Ippolito und Liza Heilmeyer im Theaterhaus. Auf die inspirierenden und immer wieder auch sehr unterhaltsamen Architekten-Selbst-Porträts muss man trotz Corona-bedingter Vortragspause aber dennoch nicht verzichten. Die Veranstalter haben im Netz eine „Home Edition 2020“ veröffentlicht: Jeden Tag stellen sie einen der vergangenen „Talks“ online, im täglichen Wechsel zwischen Deutsch und Englisch als Vortragssprache. Stuttgarter Namen wie Tobias Wulf von Wulf Architekten oder Jórunn Ragnarsdóttir vom Büro Lederer Ragnardóttir Oei dürften hiesige Freunde qualitätvoller Architektur besonders interessieren, aber mindestens genauso spannend ist es, auf diesem Wege Bekanntschaft mit ausländischen Renommier-Planern wie Mario Botta, Ben van Berkel oder Francine Houben zu machen.

Baunetz: „Ferien ohne Fernreisen: Architektur rund um den Bodensee“

Fernreisen sind krisenbedingt gerade und mittelfristig tabu. Urlaub in deutschen Landen ist angesagt, die Bundesländer drehen mit entsprechenden Lockerungen an der Tourismuskurbel. Das Architekturportal Baunetz, das über das Branchengeschehen unter anderem in Form von täglichen Meldungen informiert, hat die Reihe „Ferien ohne Fernreisen“ ins Leben gerufen: Architekturtipps für den Deutschland-Sommer. Für den Fall, dass sich die jeweiligen Einreisebestimmungen wieder lockern sollten, würden auch die Nachbarländer mit einbezogen, so die Redaktion.

Bilderschatz: RIBA Architecture Image Library

Wem der Bodensee nicht genügt, wen es doch in die weite Architektur-Welt hinauszieht, der kann diese Sehnsucht zumindest im virtuellen Raum stillen. Dabei hilft das Royal Institute of British Architects (RIBA), die Standesvertretung britischer Architekten in London, und zwar mit der RIBA Architecture Image Library. Das Internetportal birgt mehr als 100 000 Architektur-Fotos - ein Schatz, der nutzerfreundlich nach Architekten, Fotografen, Städten, Gebäudekategorien oder auch nach Stilen – beispielsweise „Spanish colonial“ oder „deconstructivist“ – zu durchforsten ist. Letzter Suchbegriff beschert dem User etwa Aufnahmen des Lois & Richard Rosenthaler Center for Contemporary Art in Cincinatti von Zaha Hadid oder Bilder von Daniel Libeskinds Jüdischem Museum in Berlin. Spaß macht es auch, eine Vielzahl an „Image Collections“ zu durchblättern – Leuchttürme, isländische Architektur, oder, sehr kurios, „unbuilt London“ mit Zeichnungen und Bildern von nie gebauten Entwürfen für die Themse-Stadt. Das I-Tüpfelchen: Man kann sich Abzüge in verschiedenen Größen, gerahmt oder ungerahmt, nach Hause bestellen.

BR Mediathek: „Traumhäuser“ und „Traumhäuser wiederbesucht“

Wir schauen gern in fremde Häuser. Nicht nur, weil ein Quentchen Voyeurismus in jedem von uns steckt. Sondern auch, um sich Impulse für das eigene Hausbau-Projekt zu holen. Diese Neugier stillt die traditionsreiche TV-Doku-Reihe „Traumhäuser“ des Bayerischen Rundfunks. Ein Hausbau ist ein hoch individueller Prozess, Gegebenheiten, Ziele, Möglichkeiten, Geschmack unterscheiden sich oft radikal. Die „Traumhäuser“, die die Reihe mit der Kamera von der Planung bis zum Einzug porträtiert, verbindet deshalb vor allem eines: ihre architektonische Qualität. Von Staffel zu Staffel variieren zudem thematische Schwerpunkte wie etwa „Ökologie und Energieeffizienz“und „neue Wohnformen der Zukunft“.

Von der ARD-Mediathek, wo man die bereits ausgestrahlten „Traumhäuser“-Folgen findet, führt ein Link zur Webseite der Sendung, auf der die Häuser mit Texten, Bildern, Plänen und Grundrissen vorgestellt werden. Ebenfalls abrufbar in der Mediathek sind die Folgen des Ablegers „Traumhäuser wiederbesucht“. 25 Mal lautete die Frage bei diesem TV-Langzeitprojekt: Was ist nach zehn Jahren aus den Häusern des Ursprungs-Formats geworden, wie blicken die Bauherren heute auf ihr Heim? Zu architektonischen Aspekten gesellt sich hier der „human touch“ – die Reporter werden mit „glückvollen und traurigen Entwicklungen“ konfrontiert. Die Sendungshomepage wie auch die Mediatheken-Kollektion sind nicht sehr übersichtlich, aber stöbern lohnt sich. So landet man etwa beim „Holzhaus mit Industriedach“, mit dem sich eine alleinerziehende Mutter mit einem Minimalbudget und solidarischen Unterstützern ihren Traum vom eigenen Heim verwirklichte.

Netflix: „Die außergewöhnlichsten

Häuser der Welt“

Die BR-Reihen sind gründlich recherchiert, verbinden Ratgeber-Service mit Reportage, kommen aber eher bodenständig daher. Schrilles Entertainment mit erhöhten voyeuristischen Anteilen stellt die Doku-Reihe „Die außergewöhnlichsten Häuser der Welt“ dar. Zwölf Folgen hält der Streaming-Dienst Netflix von dieser BBC-Produktion vor, in der der Architekt Piers Taylor und die Schauspielerin Caroline Quentin die Welt bereisen und dabei von einem ultra-extravaganten Privathaus zum nächsten hoppen.

Auf der iberischen Halbinsel treffen sie zum Beispiel auf Minimalismus aus rostigen Stahl – Caroline Quentin fühlt sich angesichts des von RCR Architects in die nordspanische Landschaft gelegten Metall-Hauses spontan an Blechdosen erinnert. Später ist sie und ihr Kompagnon von der Melange aus „Kunstwerk und Bauernhof“ überwältigt. Mit der Hausherrin, einer Michelin-Stern gekrönten Köchin, steht die sehr gesprächige Quentin kurz darauf am Herd. „The World’s most extraordinary Homes“, so der Originaltitel, ist weit entfernt von der reinen Architekturkritik, auch praktische Tipps oder handwerkliche Details dürfen Häusle-Bauer in spe nicht erwarten. Das BBC-Format kommt eher wie eine Mischung aus Life-Style- und Reise-Magazin daher. Wenn man sich von Quentins exaltierter Art nicht irritieren lässt, hat man hier Gelegenheit, architektonische Diven aus aller Welt bequem vom Fernsehsessel aus zu besichtigen.