Wie Walter Gropius Mietern bis heute viel Freunde bereitet
Nicht nur die drei Hauptorte Weimar, Dessau und Berlin konnten eine positive Bilanz ziehen. Auch im badischen Karlsruhe führte das Jubiläum 100 Jahre Bauhaus zu einer erheblich gestiegenen Nachfrage. Touristen und Fachleute aus aller Welt besichtigten Bauobjekte und Ausstellungen.
Durch die historische Konzentrierung des Bauhauses im Osten und Norden Deutschlands sind architektonische Zeugnisse im süddeutschen Raum und Baden-Württemberg nicht allzu häufig. Wenn vom Bauhaus in Baden-Württemberg die Rede ist, fällt dem Interessierten in Baden sofort die Stadt Karlsruhe ein. Dort befindet sich die legendäre Dammerstock-Siedlung, Baden-Württembergs größtes Vorzeigeobjekt in Sachen Bauhaus. Dort herrschte im Jubiläumsjahr 2019 großer Andrang.
„Das Interesse der Besucher am Bauhaus und modernem Bauen in Karlsruhe war immens. Besonders in der Dammerstock-Siedlung wurden unsere Erwartungen weit übertroffen“, zog Bauhausexpertin Nina Rind vom Institut für Baugeschichte Bilanz. Der Renner war die Dammerstock-Siedlung, die 1928 von Walter Gropius entworfen wurde. Anders als die Weißenhof-Siedlung und das Corbusier-Haus in Stuttgart, die sich eher an den Wünschen der Oberschicht orientieren, repräsentiert Dammerstock die Verwirklichung der Idee vom bezahlbaren Wohnraums auch für kleinere Einkommen, die der Schweizer Bauhaus-Direktor Hannes Meyer als Gropius-Nachfolger forciert hatte.
Die Siedlung wurde 1928 nach einem Bauwettbewerb vom Gewinner Walter Gropius zusammen mit seinen Mitbewerbern, die er ins Boot geholt hatte, erbaut, was zu einer großen Anzahl von Bauvarianten führte. Günstig bauen, bezahlbar wohnen und angenehm leben in einem zeitlosen Kiez: Das war die Devise, die eine aufgeschlossene Stadtregierung den Machern als Vorgabe gemacht hatte. Leider waren wieder nur Männer im Boot, eine generelle Schwachstelle des Bauhauses seit seiner Gründung.
Mit Zentralheizung Warmwasser
Für damalige Zeiten dagegen revolutionär: Es gab Heizung und Warmwasser aus einer zentralen Anlage für die in der Regel 47 Quadratmeter großen Wohnungen. Auf Grund der genossenschaftlichen Verwaltung der Siedlung halten sich Mietpreise bis heute noch in Grenzen. Dadurch können sich auch Mieterinnen ohne große Rente ihrer Wohnungen erfreuen: „Meine Wohnung ist gut konzipiert, gut aufgeteilt und bequem“, berichtet Angelika Stumpf. Ihre Nachbarin Inge Botta kann dem nur beipflichten: „Es ist hier sehr stadtnah, in sehr ruhiger Lage, wir haben auch eine sehr gute Nachbarschaft, die sich gegenseitig hilft“.
Diese funktionale Art des Wohnens konnte überhaupt nur entstehen, weil Gropius und die anderen Architekten alle Vorgaben des damaligen fortschrittlichen Karlsruher Baubürgermeisters perfekt umgesetzt haben, erläutert Nina Rind. Als akademische Mitarbeiterin am Institut für Baugeschichte arbeitet sie wissenschaftlich über Bauhaus und modernes Wohnen. Sie hat ein Buch über die Dammerstock-Siedlung geschrieben und macht bei Bedarf auch wissenschaftliche Führungen. „Es fehlte damals an bezahlbarem Wohnraum und die Stadt sollte mit Hilfe von Gebrauchswohnungen erweitert werden und das auch noch in einem kurzen Zeitraum. Die Ausschreibung eines Wettbewerbs war da ein geschickter Schachzug, bekannte Architekten wurden eingeladen, aber auch welche aus Karlsruhe“, schildert sie die damalige Situation.
Blaupause für heutige Wohnungsnot
Angesichts der aktuellen Diskussionen über fehlenden Wohnraum klingt das heute wie eine Blaupause für die deutschen Städte in vergleichbarer Not. Auch in anderer Hinsicht könnte die Siedlung noch Vorbild sein: Angesichts des dringenden Wohnraumbedarfs schaffte es Gropius 1928 nach kurzer Erschließungszeit, in einem kurzen Zeitraum über 228 Geschosswohnungen in Zeilenbauweise hochzuziehen, und dies in Umsetzung vieler Prinzipien des „Neuen Bauens“, die er visionär mit Anderen am Bauhaus entwickelt hatte. Mit den später hinzugekommenen Gebäuden verfügt Dammerstock heute über 4000 Wohnungen.
Mancher heimwerkende Kunstsinnige wird sich beim Gang durch das Reich der Heimwerker-Märkte schon einmal gefragt haben, ob die Namensgleichheit des Unternehmens Bauhaus mit dem Bauhaus-Konzept ein Zufall ist. Ja und nein, lautet da die Antwort. Die Bauhausstiftungen hatten es entweder schlicht versäumt oder hielten es für zu schnöde – jedenfalls ließen sie das Bauhaus nicht als Marke schützen. Das wiederum machte sich ein findiger Handwerker zunutze. Er ließ den Begriff als Marke eintragen und verkaufte ihn an den aufstrebenden Baumarkt-Konzern, der nun seine Produkte und Dienstleistungen ohne irgendeinen Bezug zur Bauhaus-Tradition anbieten darf.
In Baden-Württemberg gibt außer den Siedlungen in Karlsruhe und Stuttgart nur einzelne Gebäude im Stil des „Neuen Bauens“. In der Schwarzwaldstadt Bad Urach findet sich als größeres Objekt „Das Haus auf der Alb“. Der Stuttgarter Architekt Adolf G. Schneck baute es 1929/30 als Ferienheim. Heute dient es der Landeszentrale für Politische Bildung als Verwaltungsgebäude.
Ausstellung
Wer sich weiter mit dem Thema Bauhaus beschäftigen will, hat dazu in Karlsruhe noch Gelegenheit. So lockt das Zentrum für Kunst und Medien (ZKM) noch bis zum 26. Februar mit der Ausstellung „Die ganze Welt ein Bauhaus“, die sich in acht Kapiteln der Zeit von 1919 bis 1933 widmet. Das lässt sich auch gut mit einem Spaziergang durch die Bauhaus-Siedlung im Stadtteil Weiherfeld-Dammerstock im Karlsruher Süden verbinden. Infos im Internet unter https://zkm.de/de und www.karlsruhe-erleben.de/media/attraktionen/Dammerstock-Siedlung