Die Erfolgsserie „Deutschland 89“ startet

„Wir gehen da jetzt ran an eine heilige Kuh“

Patrick Heidmann
Lesezeit 6 Minuten
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24. September 2020
Jonas Nay wartet auf den entscheidenden Anruf.

(Bild 1/6) Jonas Nay wartet auf den entscheidenden Anruf. ©Foto: UFA Fiction GmbH | Amazon Prime/Anika Molnar

Die Mauer fällt, die „Deutschland“-Saga endet: Die Schöpfer der erfolgreichen Fernsehserie, Jörg und Anna Winger, erzählen, wie alles angefangen hat – und wie nun alles aufhört. Und ob ihre Geschichte doch noch in den neunziger Jahren weitergeht.

Berlin - Anna und Jörg Winger haben ihre ganz eigene, viel diskutierte Form der Geschichtserzählung gefunden. Ihre Serientrilogie endet nun beim Streamingdienst Amazon Prime mit „Deutschland 89“ und erzählt von Menschen, die vom Mauerfall entsetzt sind.

Frau Winger, Herr Winger, mit „Deutschland 89“ geht nun Ihre Serie zu Ende, die vor fünf Jahren mit„Deutschland 83“ ihren Anfang nahm. War eigentlich von Beginn an geplant, dass das eine Trilogie wird?

Anna Winger Ja, wir haben das von Anfang an als Trilogie gepitcht. Damals hatten wir einen Artikel im „New Yorker“ über dänisches Fernsehen gelesen, in dem es um eine Formel ging, nach der dort die meisten Serien entwickelt wurden. Die wichtigsten Grundsätze waren jedenfalls: nicht mehr als acht Folgen pro Staffel – und nicht mehr als drei Staffeln.

Jörg Winger Das klang in unseren Ohren ziemlich vernünftig. Aber natürlich hat das in unserem Fall auch damit zu tun, dass wir die Geschichte eines Endes erzählen, sowohl eines Landes als auch einer Organisation. Dass die DDR 1989 ihr Ende findet, stand schließlich fest.

Partner in Deutschland war bei der ersten Staffel noch RTL, doch dort lief die Ausstrahlung nicht überragend.

Jörg Winger Zunächst einmal war es mutig, dass der Sender sich auf die Serie eingelassen hat, eine nach internationalen Standards erzählte Serie. Die deutsche Fernsehlandschaft war ja noch eine ganz andere, Netflix, Sky und Co. gab es noch nicht wirklich. Aber entsprechend waren die Erwartungen sicherlich auch zu hoch.

In welchem Sinn?

Jörg Winger Wenn man eine völlig neue Art des Erzählens beginnt, kann man nicht erwarten, dass sofort alle hinströmen. Eigentlich waren die zwei bis drei Millionen Zuschauer damals sogar ein Erfolg, denn normalerweise muss man so etwas erst über eine längere Zeit aufbauen.

Anna Winger Außerdem haben sie die Folgen nicht als Serie gezeigt, sondern immer zwei Episoden quasi als Film präsentiert. Da konnte die Spannung des vorwärtstreibenden Serienguckens nicht wirklich aufkommen. Letztlich war das nicht das richtige Zuhause für „Deutschland 83“. Dass trotzdem geschrieben wurde, die Serie sei ein riesiger Flop, mussten wir akzeptieren. Aber weil sie sechs Monate vorher schon in den USA gelaufen war und für wahnsinnig viel Begeisterung gesorgt hatte, fiel uns das leichter.

Jörg Winger Nicht lange nach der RTL-Ausstrahlung lief die Serie dann ja schon bei Amazon Prime – und zwar so gut, dass die Leute dort unbedingt weitermachen wollten.

Was war Ihrer Meinung nach der Grund dafür, dass die Reaktionen in den USA um einiges euphorischer ausfielen als in Deutschland?

Anna Winger Was Serien angeht, hinkte Deutschland damals dem Rest der Welt einfach sehr hinterher, in der Produktion genauso wie in der Rezeption.

Jörg Winger Was manchen Deutschen vielleicht aufgestoßen ist, war womöglich der spielerischere Umgang mit der Geschichte. Während es uns nicht so sehr um Akkuratesse geht, gab es gleichzeitig viele Leserbriefe dazu, dass Moritz Stamm seine Mütze bei der Bundeswehr falsch trägt. Es gibt mit guten Gründen hierzulande die Haltung, dass man mit deutscher Geschichte sehr verantwortungsvoll umgehen muss. Aber auch wir sind da nicht leichtfertig, sondern haben uns einem psychologischen Realismus verschrieben. Wir lügen nicht, was historische Ereignisse betrifft, aber erzählen eben doch eine fiktive Geschichte mit fiktiven Figuren.

Rechnen Sie damit, dass es nun also wieder zu Diskussionen kommt?

Jörg Winger Uns hat es Spaß gemacht, die Reaktion unserer Helden auf den Mauerfall zu sehen. Denn die sind alle entsetzt. So entsetzt wie ich damals – und ich scherze nur halb. Auf jeden Fall haben viele heute vergessen, wie kritisch die Idee der Wiedervereinigung damals von vielen betrachtet wurde. Es gab da gar nicht den einhelligen Begeisterungssturm, von dem rückblickend manchmal berichtet wird. Insofern gehen wir da sicherlich auch an eine heilige Kuh.

Anna Winger Maria Schrader sagt meinen liebsten Satz, der auch im Trailer zu sehen ist: „Die Leute schreien nach Freiheit. Und was sie kriegen, ist Kapitalismus.“

Weil Sie parallel an Ihrer Serie „Unorthodox“ arbeiteten, hatten Sie bei „Deutschland 89“ anders als bei den ersten beiden Staffeln nicht mehr die Position des Headwriters inne. Das hat stattdessen Ihr Mann übernommen. Wie schwer fiel Ihnen beiden diese Veränderung?

Anna Winger Ich finde es vollkommen normal, dass man als Schöpfer einer Serie irgendwann mal aussteigt und die Verantwortung abgibt. Wenn ich jetzt die neuen Folgen sehe, fühle ich einen ganz besonderen Stolz. Weil da etwas, das ich selbst mir einmal ausgedacht habe, ein Eigenleben entwickelt hat.

Jörg Winger Dass ich nicht mehr nur Showrunner, sondern nun auch Headwriter war, ging natürlich nicht ganz spurlos an mir vorbei. Weswegen ich danach gerne drei Monate Urlaub gemacht hätte.

Anna Winger Da hat er mal gesehen, wie das in den Jahren vorher für mich war! Aber in der Tat war es stressig, denn Jörg fing mit den Dreharbeiten zu „Deutschland 89“ nur zehn Tage nach Drehschluss von „Unorthodox“ an.

„Unorthodox“ wurde in diesem Jahr für acht Emmy Awards nominiert, und Maria Schrader gewann den Regiepreis, Sie selbst in der Kategorie Bestes Drehbuch. Wie überraschend war das?

Anna Winger Mit so etwas rechnet man nie, schon gar nicht als deutsche Serie bei den Emmys.

Ist mit „Deutschland 89“ wirklich Schluss? Oder gibt’s doch noch eine Fortsetzung in den 90er Jahren?

Jörg Winger Sicherlich könnte man da auch spannende Geschichten erzählen. Aber die Marke „Deutschland“ findet mit dem Ende der DDR einfach ihren ganz natürlichen Tod. Das Meta-Thema von „Deutschland 89“ ist das Sich-neu-Erfinden– und tatsächlich gehen dann auch alle unsere Figuren in ganz viele verschiedene Richtungen. Wenn überhaupt, dann wäre eine Art Spin-off möglich, das dann aber mit der eigentlichen Serie nicht mehr viel zu tun hat.

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