Abdeckfolien - Vom Erdbeerfeld ins Vogelnest
Immer mehr Erdbeerfelder im Renchtal verschwinden unter Folien. Reste davon verwenden Vögel auch als Nistmaterial – mit fatalen Folgen für die Brut. Naturschützer Christoph Münch will dem nicht länger zuschauen. Er hat Anzeige gegen einen Landwirt aus Zusenhofen erstattet.
Die vielen Vorteile von Plastik – vor allem die Wasserundurchlässigkeit – für den Vogelnachwuchs können sie tödlich sein. Als Christoph Münch ein aufgegebenes Bussardnest untersuchte, wurde ihm das vor Augen geführt: »Im Nest stand Wasser und darin lagen die abgestorbenen Eier.« Die Ursache für die Versiegelung hatte der Oberkircher Naturschützer schnell gefunden. »Das Nest war mit Folienfetzen ausgekleidet.« Wie der Bussard nutzen laut Münch auch viele andere Vögel Plastikfetzen für ihren Nestbau, »da sie ihnen wie ein großes geeignetes Blatt erscheinen«.
»Das Problem nimmt zu, je mehr Folien in der Landwirtschaft verwendet werden«, erläutert Bund-Ortsverbandsvorsitzender Meinrad Heinrich gegenüber der ARZ (siehe Hintergrund).
Umso mehr schockierte es Münch, als er bereits am 24. Oktober vergangenen Jahres auf einem zwei Hektar großen Erdbeerfeld bei Zusenhofen »mehrere tausend Folienfetzen« entdeckte. Der überwiegende Teil davon etwa handflächengroß, aber auch bis zu 70 Zentimeter große Stücke seien darunter gewesen. Etwa 1,5 Hektar Kunststofffolie seien hier »nach der Erdbeerernte maschinell zerrissen« und liegen gelassen worden, informierte er das Ordnungsamt im Landratsamt Ortenaukreis. Gegen den Zusenhofener Landwirt Franz-Josef Müller, der das Erdbeerfeld bewirtschaftet, erstattete Münch eine Ordnungswidrigkeitsanzeige »wegen rechtswidriger Entsorgung von Kunststoffabfällen«.
»Das ist Quatsch«
»Das ist Quatsch«, begegnet Müller den Vorwürfen Münchs. Jeder Landwirt wisse um die schädliche Wirkung von Plastik auf die Böden. Die Behauptung, er habe die Folien absichtlich auf dem Feld zerkleinert und zurückgelassen, sei eine Unverschämtheit. In der Praxis sei es so, dass die Abdeckfolien durch die UV-Strahlung porös werden. Beim Herausziehen aus dem Boden nach einem oder zwei Jahren – je nachdem, ob es sich um eine ein- oder zweijährige Erdbeerkultur handele, könne es vorkommen, dass Reste im Boden zurückbleiben. Mitarbeiter des Landratsamtes hätten sich nach der Anzeige Münchs auf seinem Feld umgeschaut und laut Müller lediglich zwei am Straßenrand liegende Tropfschläuche bemängelt.
Mit der Antwort von Landrat Frank Scherer zu den Vorfällen in Zusenhofen – das Amt weise Landwirte auf den richtigen Umgang mit Folien hin – gab sich Münch indes nicht zufrieden und wandte sich an das Ministerium für ländlichen Raum und Verbraucherschutz. Dieses konstatiert in einem Schreiben an Münch vom 22. März, dass Mitarbeiter des Amtes für Umweltschutz und Gewerbeaufsicht das Grundstück überprüft hätten und dabei tatsächlich Folienreste gefunden worden seien. Das Amt für Landwirtschaft sollte deshalb ein Gespräch mit dem Landwirt führen.
Obrecht: Landwirte brauchen Verfrühung
Einsatz von Tunneln beim Anbau von Beeren wird sich laut OGM-Vorstandsvorsitzendem noch erhöhen
»Jeder Landwirt legt großen Wert darauf, dass die Abdeckfolien wieder sauber entfernt werden«, erklärt Wendelin Obrecht. Gerade auch mit Blick auf die künftige Bewirtschaftung der Böden sei das enorm wichtig, betont der Vorstandsvorsitzende des Obstgroßmarktes Mittelbaden (OGM). Sollten Kollegen den Umgang mit Abdeckfolien zu locker handhaben, missbillige er dies aufs Schärfste. Aus eigener Erfahrung wisse er jedoch, dass Abdeckfolien auch von schlechter Qualität sein können, so dass sie bei der Verwendung im zweiten Jahr zerbröseln. »Dann ist es ein großer Aufwand, die Folienreste wieder vollständig zu entfernen.«
Den generellen Einsatz von Abdeckfolien oder Tunneln beim Erdbeeranbau verteidigt Obrecht. Das sei die einzige Möglichkeit, mit den kleinen Strukturen im Renchtal eine Wertschöpfung zu erzielen und im Wettbewerb mithalten zu können. Zudem seien die Abdeckfolien beginnend ab der zweiten Februarhälfte nur rund sechs Wochen auf den Feldern, danach würden sie wieder entfernt. Tunnel würden von Ende Januar bis Ende Mai verwendet. Deren Zahl könne in den nächsten Jahren vor allem im Anbau von Himbeeren und Brombeeren noch zunehmend, prognostiziert Obrecht. Hier komme es auf den Schutz vor Insekten wie der Kirschessigfliege an.
Verwendung von Abdeckfolien nimmt stark zu
Die Verwendung von Abdeckfolien und begehbaren Tunneln beim Erdbeeranbau steigt in den vergangenen Jahren rapide an. »Im Jahr 2000 waren erst knapp 7 Hektar (ha) unter Tunneln zu finden, 2008 belief sich die Fläche bereits auf 49 ha, bis 2012 verdoppelte sich die Fläche sogar auf 98 ha«, ermittelte das Statistische Landesamt Baden-Württemberg bereits im September 2013. Neben dem Verfrühungseffekt seien die Pflanzen unter Folientunneln weniger den Wetterkapriolen wie Spätfrost und Hagel ausgesetzt.
Den ökonomischen Vorteilen für die Landwirtschaft stehen laut Andre Baumann (Foto), Landesvorsitzender des Nabu Baden-Württemberg, die optischen Veränderungen der Landschaft durch die Folien gegenüber. Verantwortung dafür trage aber vor allem der Verbraucher, der am liebsten ganzjährig Erdbeeren und Spargel im Supermarkt vorfinden wolle. Dass Folienreste einfach zurückgelassen werden, ärgert Baumann. »Ackerflächen sind keine Müllkippen«, betont er gegenüber der ARZ. Wenn ein Landwirt die von ihm verwendeten Abdeckfolien nicht ordnungsgemäß und vollständig entfernen könne, solle er es sein lassen, meint Baumann. Der Einfluss von Plastik auf die Natur nehme indes generell zu. Die Folienfetzen gefährdeten nicht nur die Vogelbrut, auch die Brutstätten gingen verloren. »Wir stellen fest, dass ganze Landschaften unter Folien verschwinden.«all
Anzeigen und Gegenanzeigen
Als Reaktion auf das Schreiben des Oberkircher Naturschützers Christoph Münch überprüften Mitarbeiter des Landratsamtes laut Pressesprecher Kai Hockenjos das Feld in Zusenhofen. Die aufgefundenen Folien seien brüchig gewesen, da es sich um mehrjährige Kulturen gehandelt habe. Im Gespräch mit den Mitarbeitern des Landratsamts habe der Landwirt erklärt, dass die Folienreste bei der Vorbereitung des Bodens für eine Maisaussaat entfernt werden sollten.
Dass sich Münch und der Zusenhofener Landwirt Franz-Josef Müller, auf dessen Erdbeerfeld der Naturschützer die Folienreste fand, beharken, ist kein Einzelfall. Zuletzt hatte Müller im März in seiner Funktion als Kreisvorsitzender des Badischen Landwirtschaftlichen Hauptverbands Anzeige gegen Münch wegen Verstößen gegen das Betretungsrecht und Amtsanmaßung erstattet. Zwei Wochen später reagierte Münch mit einer Gegenanzeige wegen übler Nachrede. Auch Ablagerungen am Stangenbach waren in der Vergangenheit wiederholt Gegenstand von Auseinandersetzungen zwischen Christoph Münch und Franz-Josef Müller. all