Illenau-Theater in Achern »beschimpft« sein Publikum
Mit »Publikumsbeschimpfung« hatte das Acherner Illenau-Theater ein ungewöhnliches Stück ausgewählt, für das am Samstagabend im »Maison de France« die Premiere war. Die war durchaus gelungen – und dennoch harte Kost.
Regisseurin Rosa Maria Gannuscio hatte sich das Werk von Peter Handke ausgesucht, weil sie bewusst mal ein »etwas anderes« Stück bringen wollte. Das Ergebnis brachte eine Zuhörerin auf den Punkt: »Also euch muss man erst einmal verarbeiten!« Für die Protagonisten Marion Wolf, Magali Schmid, Josef Schorn und Rosa Maria Gannuscuo (hier Regie und Sprecherin) sowie Aline Roüast (Regieassistenz) war es ein willkommenes Ergebnis, denn genau an diesem Punkt wollten sie ihr Publikum haben. Ein Publikum, das bis zum Ende der Aufführung im hellen Zuschauerraum sitzt, aufgewühlt und angeregt diskutiert, wundersam irritiert ist, auch darüber, dass es hier ganz nebenbei zu einem gemeinsamen Ganzen geworden ist.
Spöttisch herabgeblickt
Hier wurde das Publikum erst gar nicht fehlgeleitet, sondern dort abgeholt, wo es saß. Gezielt, fast brachial, wurde man sich seines eigenen Selbst bewusst gemacht. Ein willkommenes Ziel, doch in einer derart unbarmherzigen Penetranz nicht leicht auszuhalten. Mit verschränkten Armen stehen die vier Sprecher auf der Bühne. Den Kopf leicht zur Seite geneigt, die Augenbraue vier Mal spöttisch nach oben gezogen, die Münder verschlossen. Fast fühlt man sich schuldig, weil man hier ist. Hier im Theater, dem Ort, der Spiel und Spaß verspricht, Freude, neues Wissen, neue Anregung, gar Unterhaltung. Und genau hier setzt Peter Handke an.
Vor 50 Jahren wurde sein »Sprechstück«, paradigmatisch für den politischen Aufbruch stehend, im Frankfurter »Theater am Turm« uraufgeführt. Ein rebellisches Stück, das die Zuschauer damals gleichermaßen in Zustimmung und Ablehnung geraten ließ, in eine Ekstase, die gewollt war, auch im »Maison la France«. Zaghaft agieren die Zuschauer, kommen Sprüche aus dem Raum, Gegenwehr, zu einer Überflutung an Worten: »Ihre Schaulust wird nicht befriedigt. Hier gibt es kein Geschehen, das Sie ansprechen soll, kein Schicksal, keine Träume, keine Handlungen…!«
Puh, es ist nicht leicht auszuhalten und doch bleibt man, lässt Wirkung zu und reflektiert! »Endlich«, würde Handke sagen, doch ihm ging es nicht weniger um die Rebellion, als um das Wort an sich. Die Wirkung der Sprache. Hinsitzen und sich berieseln lassen? Hier nicht, aber aufmerksam zuhören, spüren, was macht es mit mir, meinen Nachbarn, dem Publikum wenn diese Vier ihre Sätze wie »Sie lassen uns kalt!« in den Raum werfen, mal schreiend, mal ganz leise, mal im Chor, ja gar im Gettoslang.
Eine großartige Leistung! Kein abgrenzendes Licht zum Zuschauerraum, keine ablenkenden Requisiten. Hier entspannt sich ein »Vierklangmonolog«, der in einer Triade von Beschimpfungen endet, die dem Stück einen offenen Abschluss gibt. Einen heftigen, der in den 60er Jahren so manchen den Raum verlassen ließ. Hier blieb man – und man tat gut daran. »Publikumsbeschimpfung« ist hier großartig inszeniert. Es ist ein Stück für Mutige. Hingehen, zuhören, sich beschimpfen lassen und wieder in Frieden kommen – mit sich selbst, dem Theater und Peter Handke.