Amtsgericht Achern: Sonst netter Kollege fällt brutal über Frau her

Ohne Hemmungen soll der Angeklagte der Geschädigten ins Gesicht geschlagen und ihre Nase gebrochen haben. ©ULRICH MARX
„Eigentlich bin ich gar nicht so einer“, beteuert der 32-Jährige, der sich am Donnerstag wegen Körperverletzung vor dem Acherner Amtsgericht verantworten muss. Ja, das sagen sie alle, Richterin Katharina Ochs bekommt das ständig zu hören. Doch das Besondere in diesem Fall: Alle Zeugen, inklusive der Geschädigten, sagen das Gleiche: Der Beschuldigte sei ein „netter“, „schüchterner“, „zuvorkommender“ Arbeitskollege gewesen, dem man nicht einmal zugetraut hätte, einer nervigen Schmeißfliege etwas zuleide zu tun – geschweige denn aus dem Nichts heraus eine Arbeitskollegin brutal zu attackieren und zu verletzen.
An seiner Schuld besteht kein Zweifel, an seiner Schuldfähigkeit hingegen schon: Zwar konnten die meisten Zeugen nicht persönlich vor Gericht erscheinen, doch die Richterin beweist einen langen Atem, verliest stundenlang ihre polizeilichen Aussagen und rekonstruiert so eine übereinstimmende Version der Geschehnisse rund um den betrunkenen, enthemmten und wie im Wahn agierenden Angeklagten.
2,75 Promille im Blut
Bei einem zweitägigen Teamevent in einem Hotel an der B500 im Oktober 2022 hatte der Beschuldigte rund 2,75 Promille im Blut. Seine russischstämmige Kollegin soll er, als sie nach einem feucht-fröhlichen Abend im Kreis der Kollegen schlafen gehen wollte, kurz vor ihrem Zimmer aggressiv von hinten zu Boden geschubst haben. Schockiert sei sie, wie aus ihrer Vernehmung hervorgeht, aufgesprungen und habe wie wild an die Tür des Nachbarzimmers gehämmert. Doch der Angeklagte soll sie in ihr Zimmer zurückgezogen, sie erneut zu Boden gebracht und sich auf sie gesetzt haben. Dabei soll er sie ins Gesicht geschlagen und gewürgt haben.
Als der alarmierte Arbeitskollege aus dem Nachbarzimmer in die Szene stolperte, habe er die Geschädigte auf dem Boden vorgefunden, überall Blut, der Angeklagte über ihr. „He wants to kill me, he wants to fuck me“, habe sie voller Panik geschrien. Der Zeuge habe den aggressiven Angreifer von ihr weggezerrt. Der sei „wie im Rausch“ gewesen und habe sich zunächst weiter auf die Frau stürzen wollen, bevor er plötzlich „wie unbeteiligt, fast schon entgeistert“ neben seinem blutenden Opfer gestanden hätte. Der benachrichtigte Firmenchef habe ihn schließlich, so die Zusammenfassung aller Zeugenberichte, auf sein Zimmer verfrachtet und den Notdienst sowie die Polizei verständigt.
Die Einsatzkräfte hätten eine völlig „aufgelöste“, stark blutende Frau vorgefunden, berichtet eine Offenburger Kommissarin. Das Opfer habe einen offenen Nasenbeinbruch sowie eine tiefe Wunde an der Nase, eine Halsverletzung, diverse Prellungen und eine Gehirnerschütterung davongetragen.
Zudem leide sie seither unter immensen psychischen Auswirkungen: Während ihrer Aussage sei sie mehrfach in Tränen ausgebrochen, die Erinnerungen verfolgten sie, sie habe stressbedingten Ausschlag und brauche psychologische Hilfe. „Der Mann war emotionslos wie ein Zombie“, wird die Geschädigte zitiert. „Und gleichzeitig richtig hasserfüllt. Wer weiß, was passiert wäre, wenn mein Kollege nicht eingegriffen hätte. Entweder wollte er mit mir schlafen oder mich töten.“
Handelte es sich um einen sexuell motivierten Angriff? Zunächst habe das so ausgesehen, doch letztlich gebe es dafür keine Anhaltspunkte, da sind sich Polizei, Zeugen und Geschädigte erneut einig. Zwischendurch habe er sie an ihrem Po berührt, so das Opfer. Aber er habe sie nicht ausgezogen oder weiter angefasst, auch zuvor habe es keinerlei sexuelle Anspielungen gegeben. Konflikte anderer Natur habe es zwischen den beiden nur oberflächlichen Bekannten ebenfalls nie gegeben.
Der angeklagte indische Staatsangehörige, der in Ludwigshafen in einem Akademiker-Beruf arbeitet, bestreitet die schwerwiegenden Vorwürfe nicht – kann seine Motivation jedoch selbst genauso wenig erklären.
Gedächtnislücke
Er könne sich an nichts erinnern. Ein gemeinsames Gruppenfoto sei ihm noch präsent, doch der spätere Vorfall sei wie ausgelöscht. „Als wir eingetroffen sind, hat er uns verwirrt gefragt, warum wir gekommen sind“, berichtet die Polizistin. Eine Gutachterin bestätigt seine alkoholbedingte verminderte Schuldfähigkeit aus medizinischer Sicht.
„Es tut mir leid“, versichert der – mindestens für seinen Rausch – Verantwortliche, selbst sichtlich mitgenommen. Vor vier Monaten sei er Vater geworden, führe ein geregeltes Leben ohne Vorstrafen, keine Trinkexzesse, hin und wieder mal ein Bier mit Freunden aus dem Fußballverein. Durch die Tat hatte er seinen Job verloren.
Da er die Behandlungskosten seiner Eltern in Indien bezahlt, die einen schweren Autounfall mit bleibenden Folgen erlitten haben, ist er finanziell stark belastet. Außerdem beschäftigt ihn, wozu er fähig gewesen ist: „Es war ein lustiger Abend mit Kollegen. Ich hätte nie gedacht, dass ich so etwas mache. Aber ich trinke nichts mehr und kann versichern, dass es nie wieder vorkommt.“
Täter-Opfer-Ausgleich
Wie ernst es ihm mit seiner Reue ist, beweist der Angeklagte dadurch, dass er sich bereits vor der Verhandlung erfolgreich um einen Täter-Opfer-Ausgleich in Höhe von 5200 Euro Schmerzensgeld bemüht und der erschöpften Geschädigten so ihre Aussage erspart hat. Das rechnet ihm das Gericht hoch an.
Am Ende verurteilt ihn Richterin Ochs nicht wegen Körperverletzung, sondern wegen fahrlässigen Rauschs zu einer Geldstrafe von 90 Tagessätzen à 70 Euro. Zwar habe er sich kooperativ verhalten und weitere „Ausfälle“ seien nicht zu erwarten, doch das Opfer habe mit enormen Konsequenzen zu kämpfen. Warum sie zum Opfer wurde, konnte Ochs nicht aufklären: „Die radikale Wesensveränderung bleibt leider ein Mysterium.“