Artur Becker wirft in „Drang nach Osten“ Schuldfrage auf
Das deutsch-polnische Verhältnis und die Geschichte seiner Großeltern ist Thema des neuen Romans „Drang nach Osten“ von Artur Becker. Am Mittwochabend war er zu Gast im Simplicissimushaus – im Gespräch mit SWR-Literaturkritiker Gerwig Epkes. Ein unterhaltsamer Abend über ein schwieriges Thema – unterbrochen von einer Zwangspause.
Ein Krieg kennt nur Verlierer. Artur Becker hat am Mittwochabend nur einen kleinen Ausschnitt seines autobiografisch gefärbten Romans vorgelesen. Doch dieser Teil vermittelte eindrucksvoll, dass am Ende eines Krieges nur Angst, Elend und wie Gerwig Epkes es formulierte „emotionale Verwüstungen“ bleiben – und zwar auf allen Seiten.
Artur Becker, gebürtiger Pole aus dem ehemaligen ostpreußischen Ermland, hat in „Drang nach Osten“ dieses Kriegsende beschrieben. Im gelesenen Teil trifft die Ostpreußin Irmgard – vergewaltigt, kahl geschoren und den Verlust ihrer gesamten Familie betrauernd – auf Jan. Er ist Pole, hat aber für die Wehrmacht gekämpft und ist durch ein Verbrechen, das er einem Befehl folgend begangen hat, traumatisiert.
„Wer ist Opfer?“
In diesem Aufeinandertreffen kristallisiert sich ein bedeutendes Thema des Romans heraus: die Frage „Wer ist Opfer?“ Im Rückblick scheint es leicht, die damaligen Protagonisten in Täter und Opfer einzuteilen. Individuelles Leid aber lässt sich nicht gegeneinander aufrechnen. Artur Becker stellt in seinem Roman verschiedene Schicksale nebeneinander, ohne sie dabei zu bewerten. Eine Deutsche kann also am Ende dieses Weltkriegs Opfer sein und ein Pole Täter – und gleichzeitig Opfer. Ein versöhnlicher Ansatz.
Die Geschichte der Menschen am Kriegsende ist eingebettet in die Geschichte der fiktiven Figur des Arthur Becker. Der Historiker, dessen Name bewusst an den des Autors erinnert, macht sich auf die Suche nach seiner Familiengeschichte in Polen und diskutiert Themen wie Freiheit und Glaube mit seiner Geliebten.
Das literarische Gespräch im Simplicissimushaus startete medias in res mit Gesprächen über literarische Freiheit im authentischen Roman und die Mythisierung Ostpreußens. Dem Publikum, das den Roman mehrheitlich noch nicht gelesen haben dürfte, hätte eine kurze Inhaltsangabe sicher gutgetan. So war es etwas schwierig, den vorgelesenen Teil einzuordnen.
Schlagfertiger Spruch
Die Chemie zwischen Autor und Journalisten stimmte. So wurde das Gespräch der beiden trotz des traurigen Themas im Roman mitunter recht lustig. Das lag auch am Humor Beckers, dem immer wieder ein schlagfertiger Spruch einfiel. Die Lesung war ohne Pause geplant. Der laut piepsende Rauchmelder hat den literarischen Abend dann zwangsweise unterbrochen.
Gerade als die Lesung vorzeitig beendet werden sollte, gab er aber Ruhe und so kam das Publikum noch in den Genuss eines Schlussstatements. Autor Becker nahm die Unterbrechung mit Humor. Er bewertete die Veranstaltung so: „Die Lesung geht in die Weltgeschichte ein“.