Des Weltenbummlers letzte Reise
Er war ein Tausendsassa mit ’ner Überdosis Herz, ein Athlet mit langem Atem und strammen Waden. Aber auch ein Mann mit Ecken und Kanten, ein kreativer, aber auch kritischer Zeitgeist, der durchaus auch breite Spuren hinterlassen hat. Und wenn der sich etwas in den Kopf gesetzt hatte, lag das dort wie Blei, so lange, bis aus einem Traum Realität wurde. Der Kratzeisen-Fritz, der Kratzer, wie ihn einige liebevoll nannten, der hatte in der Tat den einen oder anderen Kratzer auf seiner Seele. Und Staub an seinen damals noch pubertären Händen: Mehlstaub, der daran schuld war, dass er nach der Volksschule und Konfirmation in Diersche seine Lehre als Bäcker nicht beenden konnte.
Backen war sein Ding
Wie der Brotteig an seinen Fingern klebte aber dennoch lebenslang seine Back-Leidenschaft. Natürlich nicht seine einzige. Und wer bei ihm hoch im Kurs stand, der bekam alljährlich Besuch. Von ihm. Just um diese Zeit: Es klingelte meist Mitte November an so mancher Haustür, und davor stand er, der Kratzer oder „de Fritz“, wie er nicht nur in Acherner Leichtathletikkreisen gerne genannt wurde. In der Hand sein legendäres, selbst gebackenes Hutzelbrot. Nicht gerade kalorienarm, gemacht aus Dierschemer Nüssen, Feigen, Rosinen und Äpfeln aus der Obstplantage seines Bruders Erwin.
Noch vor Ausbruch des Zweiten Weltkriegs wurde Fritz Kratzeisen am 6. April 1939 als Dritter von fünf Brüdern geboren. Mama Emma war die Dierschemer Adler-Wirtin und Papa Fritz unter anderem Dirigent des dortigen Musikvereins. Als das mit der Lehre bei der Bäckerei Schad am Mehlstaub scheiterte, begann er eine Lehre als Dekorateur im Kaufhaus Schneider in Kehl, bevor er sich dann als Zeitsoldat verdingte. Während seiner Zeit bei der Bundeswehr hatte er dann sein sportiv-leichtathletisches Talent entdeckt, und so ließ er sich dort zum Sportlehrer ausbilden.
Mit 16 Jahren wurde er mit seinem Bruder Erwin zum Pedalritter: Von Diersche aus traten die zwei in die Pedale, um gen Genua zu radeln. Dort sah Fritz zum ersten Mal das Meer, ein für ihn einschneidendes Erlebnis. Das Rauschen der Mittelmeerwellen weckte in ihm Sehnsüchte, und die ließen ihnen viel später – nach seiner Pensionierung als Sportlehrer an der Lender in Sasbach – zum Weltenbummler werden: Mit dem Fahrrad um die Welt, das war sein Traum. Und den hatte er sich 64-jährig dann auch erfüllt. Mit dem Drahtesel fuhr er von Alaska bis Feuerland, durch Afrika und China.
Nachdem er auch am Kreml Halt gemacht hatte und ins Badische zurückkehrt war, verarbeitete er all seine Abenteuer in seinem Buch „…und dann machte ich mich auf den Weg“. Und er versetzte nach seiner Heimkehr 2007 ganz Baden ins Staunen, indem er eine Auswahl seiner 14.000 Dias aus aller Welt in einer Multivisionsschau an die Wände etlicher Festhallen geworfen hatte.
Viele Talente gefördert
Mit ihm und durch ihn blühte auch die Leichtathletikabteilung des VfR Achern auf, wo er als Trainer Langstreckenläufern langen Atem einhauchte und viele Talente erkannt und gefördert hatte. In mehr als 40 Jahren hatte er in Achern als Leichtathlet gewirkt und, so der Verein, „viele Spuren seines Handelns hinterlassen“.
Unter seiner Leitung wurden weit über hundert Landesmeistertitel und sieben Deutsche Meistertitel errungen und mehrere Acherner Sportler in die deutsche Nationalmannschaft berufen. Als Cheforganisator richtete er 1971 in Achern auch sehr erfolgreich die Deutschen Marathonmeisterschaften aus.
„Ich fahre, trete in die Pedale, trete weiter. Ungelebte Gefühle, Gedanken und Träume – endlich sind sie Wirklichkeit, endlich bin ich vogelfrei“, steht auf der Trauerkarte seiner vier Kinder.
Am 12. Oktober hat sich der Weltenbummler-Fritz auf seine letzte Reise begeben. Am Samstag, 9. November, findet ab 14 Uhr die Trauerfeier im Friedwald Rheinau statt.