Achern / Oberkirch

Die Hölle auf deutschem Boden

Wolfgang Winter
Lesezeit 4 Minuten
Jetzt Artikel teilen:
22. Oktober 2010
Foto: Daniela Busam - Die 18-jährige Achernerin Hannelore Hammel. Ihre Spur verliert sich im KZ Stutthof bei Danzig.

Foto: Daniela Busam - Die 18-jährige Achernerin Hannelore Hammel. Ihre Spur verliert sich im KZ Stutthof bei Danzig.

Max Hammel, seine Ehefrau Johanna und ihre 1923 geborene Tochter Hannelore bildeten die letzte in der Zeit des nahenden Holocausts in Achern lebende jüdische Familie. Dr. Gerhard Lötsch erforschte ihre Geschichte. Der nachfolgende Text beruht auf seinen Aufzeichnungen.
Achern. Der 1895 in Freistett zur Welt gekommene jüdische Vieh- und Brennholzhändler Max Hammel wohnte mit seiner Familie in der Fautenbacher Straße 8. Sie waren eng mit ihren Nachbarn, der Familie des Glashüttenarbeiters Hermann Neuchel befreundet. Tochter Hannelore kam 1927 in die Acherner Volksschule und nahm in Bühl am jüdischen Religionsunterricht teil. 1933 wurde die zwei Häuser entfernt gelegene Brauerei vom Reichsarbeitsdienst besetzt. Die Zwangsverpflichteten verkehrten im Restaurant »Tivoli« gegenüber. Der Kommandant stellte die Wirtin zur Rede, weil bei ihr ein »Judenmädchen« (Hannelore) verkehrte. Wenn das nicht aufhöre, werde er seinen Leuten den Besuch des »Tivoli« untersagen. NSDAP griff ein 1937 studierte Hannelores Klasse zur Schulentlassfeier Goethes Schauspiel »Hermann und Dorothea« ein. Für ihren Lehrer stand außer Frage, dass Hannelore mitwirkte, ein Befehl der NSDAP wusste dies zu verhindern. Das Mädchen bekam ein gutes Zeugnis, fand aber keine Stelle. Im Sommer 1937 sollte sie im »Hanauer Hof« anfangen. Kreisleiter Rothacker, der im Lokal verkehrte, verlangte, dass Hannelore den Judenstern tragen müsse. Und weil man Deutschen ein von einer Jüdin bereitetes Essen nicht zumuten könne, sei sie zu entlassen. Die Wirtin, eine Tochter Neuchels, wagte es, sich beim Stellvertreter Rothackers zu beschweren »Juden sind Menschen wie du und ich. Ich brauche jemanden, der mir zuverlässig hilft«, erklärt sie. Der Einspruch hatte keinen Erfolg. Ein Schild mit der Warnung »Juden haben keinen Zutritt« musste am »Hanauer Hof« angebracht werden. In der Nacht zum 10. November 1938 brannte die Bühler Synagoge. Die Hammels mussten ihre Wohnung räumen. Der hilfsbereite Max Früh verschaffte ihnen eine Unterkunft in der Spitalstraße und Glashütten-Direktor Schmidt stellte den unter Berufsverbot stehenden Max Hammel als Hilfsarbeiter ein. Tochter Hannelore zog am 28. 2. 1940 nach Stuttgart. Ein Tag der Trauer In der Nacht zum 22. Oktober 1940 wurden Max und Hanna Hammel jählings aus dem Schlaf gerissen. Eigentlich wollten sie an diesen Tag den Abschluss des Laubhüttenfestes feiern. »Fröhlich sollst du an deinem Fest sein«, heißt es im fünften Buch Moses. Es sollte ein Trauertag werden. Die Hammels wurden nach Gurs verschleppt. Ihr armseliges Gepäck, der höchstens 50 Kilogramm schwere Koffer, eine Wolldecke und ein wenig Geschirr landete wie das ihrer Leidensgenossen in dem vom Regen aufgeweichten Schlamm der Lagerstraße. In Achern fragte Hermann Neuchel einen Parteibonzen: »Wo habt ihr den Hammel-Max hingebracht?« Wenig später wurde Neuchel in der Glashütte verhaftet. Ein Kollege brachte der Ehefrau die Nachricht: »Den Hermann haben sie abgeholt.« Die Gestapo durchsuchte die Wohnung, beschlagnahmte das Radio. Die Familie erhielt kein Lebenszeichen. Tochter Mathilde herrschte den Kreisleiter an: »Sie können mich auch verhaften wie meinen Vater, mir ist alles egal.« Direktor Schmidt wandte sich an die Partei. Viele Glasbläser seien bei der Wehrmacht. Die Glashütte könne keine Arbeitskraft mehr entbehren. Viele Kollegen unterschrieben das Gesuch. Nach drei Wochen kam Hermann Neuchel wieder heim; abgemagert, zu Tode erschöpft und äußerst schweigsam. Nach Riga deportiert Am 12. Januar 1941 wurde Hannelore Hammel von Stuttgart aus nach Riga deportiert. Ihre Spur verliert sich im KZ Stutthof bei Danzig. Ein erschütternder Augenzeugenbericht ihrer grauenvollen Gefangenschaft blieb in den »Acherner Profilen« von Gerhard Lötsch erhalten. Die Eltern entkamen der »Vorhölle zu Auschwitz«. Vor ihrer Emigration nach Amerika kehrten sie im Februar 1947 noch einmal nach Achern zurück. Kurz vor der Abreise sagte Max Hammel seinem Freund Hermann Neuchel: »Ich weiß, dass ich Hannelore nicht mehr finde. Ich kann nicht in Deutschland bleiben.« 2007 beantragte die Acherner Bürger Liste, unter dem Eindruck eines von Gerhard Lötsch anlässlich der an ihn verliehenen Bürgermedaille gehaltenen Vortrags, eine Straße nach Hannelore Hammel zu benennen. Der Gemeinderat stimmte zu.

Weitere Artikel aus der Kategorie: Achern / Oberkirch

Zur Kommunalwahl am 9. Juni sind die Wähler landauf, landab wieder zu den Urnen aufgerufen.
vor 2 Stunden
In Appenweier und Renchen
Welche bisherigen Gemeinde- und Ortschaftsräte treten in Appenweier und Renchen nicht mehr an? Diese und weitere interessante Antworten liefern die frisch bewilligten Wahllisten.
Wenn „es Katzen hagelt“ sind die Kinder im „Bauwagen“, ansonsten am liebsten draußen.
vor 5 Stunden
Naturgruppencheck
ARZ-Naturgruppencheck: Der Naturkindergarten Guckinsdorf in Oppenau bietet Platz für 20 Kinder über drei Jahren. Wiese und Wald machen die Natur im Jahreszeitenverlauf erlebbar.
Am Amtsgericht Achern schilderte ein Mann sein Leben in Sucht.
vor 6 Stunden
Amtsgericht Achern
Ein 41-Jähriger hatte morgens um acht schon 1,25 Promille, als ihn die Polizei auf einem E-Roller kontrollierte. Kein Wunder, der Mann hat eine lange Gewöhnung an starken Alkoholkonsum hinter sich. Jetzt schilderte er vor dem Amtsgericht seinen Weg aus der Sucht.
Keine leichte Arbeit hatte die Jury beim Auswerten des Rheinauer Mal- und Zeichenwettbewerbs.
vor 7 Stunden
Jury bestimmt die Sieger
Das Spiel und das Spielen stehen beim Mal- und Zeichenwettbewerb der Stadt Rheinau unter dem Motto „Rheinau – alles ein Spiel“ facettenreich im Vordergrund. Jetzt ist die Jury am Zug.
Bereits barrierefrei umgestaltete Bushaltehaltestellen, wie hier in Lautenbach-Winterbach, sind optisch leicht an den Aufmerksamkeitsfeldern und Leitstreifen zu erkennen.
vor 14 Stunden
Situation im Renchtal
Der barrierefreie Umbau von Bushaltestellen schreitet voran. Allerdings deutlich langsamer, als der Gesetzgeber das ursprünglich vorgesehen hat. Das Renchtal bildet da keine Ausnahme.
Die Bushaltestelle "Schlatten" in Bottenau wurde vom Kreis priorisiert umgebaut.
vor 14 Stunden
Oberkirch
Die Kommunen wollen den barrierefreien Umbau von Bushaltestellen genau prüfen. Denn abseits der finanziellen Herausforderungen, ergibt ein Umbau nicht an jeder Haltestelle Sinn. So sehen es zumindest die Verantwortlichen.
Anja Bauer (62), Leiterin der Abteilung für Schule und Bildung im Regierungspräsidium Karlsruhe, wohnt in Achern und wurde nun auch zur Vorsitzenden des Hochschulrats der PH Karlsruhe gewählt.
vor 16 Stunden
Anja Bauer beschreibt Problematiken und Chancen
Anja Bauer aus Achern ist die neue Vorsitzende des Hochschulrats der Pädagogischen Hochschule Karlsruhe. Die Schulexpertin leitet auch die Abteilung für Schule und Bildung im RP Karlsruhe.
Im Rathaus Stadelhofen wurde über die neue Hauptsatzung diskutiert.
vor 17 Stunden
Neue Hauptsatzung
Die Ortschaftsräte möchten der Oberkircher Verwaltungsspitze die Möglichkeit geben, Bürokratie abzubauen. Dennoch gibt es große Bedenken wegen der neuen Hauptsatzung.
Wie kaum ein anderer Journalist erlebte Kai Diekmann die Mächtigen der Welt hautnah, mit Putin fuhr er Jetski im Schwarzen Meer. Kai Diekmann wurde im Josefshaus von Julius Geier (rechts) interviewt. 
vor 17 Stunden
Achern
Der frühere "Bild"-Chefredakteur Kai Diekmann stellt im Josefshaus bei der Jungen Union seine Memoiren vor. Er gibt Einblicke in die Welt der Mächtigen.
Oberbürgermeister Gregor Bühler (rechts) und Fachbereichsleiter Mathias Benz (links) begrüßten die Heimattage-Organisatorin Gabriele Schindler.
vor 21 Stunden
Planungen für Großevent werden forciert
Die Heimattage Baden-Württemberg 2026 in Oberkirch nehmen an Fahrt auf: Mit der Besetzung der Geschäftsstelle der Heimattage durch Diplom-Kulturwirtin Gabriele Schindler fällt der Startschuss für die Planungsphase des Eventjahrs.
Die Franz Rapp Schule Oppenau trauert um ihren langjährigen Kollegen Axel Pfundstein. 
18.04.2024
Franz-Rapp-Schule
In den Osterferien ist ein Lehrer der Franz-Rapp-Schule in Oppenau völlig überraschend verstorben. Er war seit 2002 an der Schule tätig.
Beim Wasserverkauf für 2022 gibt es ein Defizit.
18.04.2024
Investitionen in die Wasserversorgung
Bad Peterstal-Griesbach steht vor einer Erhöhung der Wassergebühren. Im Gemeinderat ging es am Montag zunächst um das erhöhte Defizit im Jahresabschluss 2022, das ausgeglichen werden muss.

Das könnte Sie auch interessieren

- Anzeige -
  • Alles andere als ein Glücksspiel: die Geldanlage in Aktien. Den Beweis dafür tritt azemos in Offenburg seit mehr als 20 Jahren erfolgreich an.
    17.04.2024
    Mit den azemos-Anlagestrategien auf der sicheren Seite
    Die azemos Vermögensmanagement GmbH in Offenburg gewährt einen Einblick in die Arbeit der Analysten und die seit mehr als 20 Jahren erfolgreichen Anlagestrategien für Privat- sowie Geschäftskunden.
  • Auch das Handwerk zeigt bei der Berufsinfomesse (BIM), was es alles kann. Hier wird beispielsweise präsentiert, wie Pflaster fachmännisch verlegt wird. 
    13.04.2024
    432 Aussteller informieren bei der Berufsinfomesse Offenburg
    Die 23. Berufsinfomesse in der Messe Offenburg-Ortenau wird ein Event der Superlative. Am 19. und 20. April präsentieren 432 Aussteller Schulabsolventen und Fortbildungswilligen einen Querschnitt durch die Ortenauer Berufswelt. Rund 24.000 Besucher werden erwartet.
  • Der Frühling steht vor der Tür und die After-Work-Events starten auf dem Quartiersplatz des Offenburger Rée Carrés.
    12.04.2024
    Ab 8. Mai: Zum After Work ins Rée Carré Offenburg
    In gemütlicher Runde chillen, dazu etwas Leckeres essen und den Tag mit einem Drink ausklingen lassen? Das ist bei den After-Work-Events im Rée Carré in Offenburg möglich. Sie finden von Mai bis Oktober jeweils von 17 bis 21 Uhr auf dem Quartiersplatz statt.
  • Mit der Kraft der Sonne bringt das Unternehmen Richard Neumayer in Hausach den Stahl zum Glühen. Einige der Solarmodule befinden sich auf den Produktionshallen.
    09.04.2024
    Richard Neumayer GmbH als Klimaschutz-Pionier ausgezeichnet
    Das Hausacher Unternehmen Richard Neumayer GmbH wurde erneut für seine richtungsweisende Pionierarbeit für mehr Klimaschutz und Nachhaltigkeit ausgezeichnet. Die familiengeführte Stahlschmiede ist "Top Innovator 2024".