Achern / Oberkirch
Die Hölle auf deutschem Boden
Wolfgang Winter
22. Oktober 2010
Zusatzinhalte nur mit verfügbar - jetzt informieren
Max Hammel, seine Ehefrau Johanna und ihre 1923 geborene Tochter Hannelore bildeten die letzte in der Zeit des nahenden Holocausts in Achern lebende jüdische Familie. Dr. Gerhard Lötsch erforschte ihre Geschichte. Der nachfolgende Text beruht auf seinen Aufzeichnungen.
Achern. Der 1895 in Freistett zur Welt gekommene jüdische Vieh- und Brennholzhändler Max Hammel wohnte mit seiner Familie in der Fautenbacher Straße 8. Sie waren eng mit ihren Nachbarn, der Familie des Glashüttenarbeiters Hermann Neuchel befreundet. Tochter Hannelore kam 1927 in die Acherner Volksschule und nahm in Bühl am jüdischen Religionsunterricht teil.
1933 wurde die zwei Häuser entfernt gelegene Brauerei vom Reichsarbeitsdienst besetzt. Die Zwangsverpflichteten verkehrten im Restaurant »Tivoli« gegenüber. Der Kommandant stellte die Wirtin zur Rede, weil bei ihr ein »Judenmädchen« (Hannelore) verkehrte. Wenn das nicht aufhöre, werde er seinen Leuten den Besuch des »Tivoli« untersagen.
NSDAP griff ein
1937 studierte Hannelores Klasse zur Schulentlassfeier Goethes Schauspiel »Hermann und Dorothea« ein. Für ihren Lehrer stand außer Frage, dass Hannelore mitwirkte, ein Befehl der NSDAP wusste dies zu verhindern. Das Mädchen bekam ein gutes Zeugnis, fand aber keine Stelle.
Im Sommer 1937 sollte sie im »Hanauer Hof« anfangen. Kreisleiter Rothacker, der im Lokal verkehrte, verlangte, dass Hannelore den Judenstern tragen müsse. Und weil man Deutschen ein von einer Jüdin bereitetes Essen nicht zumuten könne, sei sie zu entlassen. Die Wirtin, eine Tochter Neuchels, wagte es, sich beim Stellvertreter Rothackers zu beschweren »Juden sind Menschen wie du und ich. Ich brauche jemanden, der mir zuverlässig hilft«, erklärt sie. Der Einspruch hatte keinen Erfolg. Ein Schild mit der Warnung »Juden haben keinen Zutritt« musste am »Hanauer Hof« angebracht werden.
In der Nacht zum 10. November 1938 brannte die Bühler Synagoge. Die Hammels mussten ihre Wohnung räumen. Der hilfsbereite Max Früh verschaffte ihnen eine Unterkunft in der Spitalstraße und Glashütten-Direktor Schmidt stellte den unter Berufsverbot stehenden Max Hammel als Hilfsarbeiter ein. Tochter Hannelore zog am 28. 2. 1940 nach Stuttgart.
Ein Tag der Trauer
In der Nacht zum 22. Oktober 1940 wurden Max und Hanna Hammel jählings aus dem Schlaf gerissen. Eigentlich wollten sie an diesen Tag den Abschluss des Laubhüttenfestes feiern. »Fröhlich sollst du an deinem Fest sein«, heißt es im fünften Buch Moses. Es sollte ein Trauertag werden.
Die Hammels wurden nach Gurs verschleppt. Ihr armseliges Gepäck, der höchstens 50 Kilogramm schwere Koffer, eine Wolldecke und ein wenig Geschirr landete wie das ihrer Leidensgenossen in dem vom Regen aufgeweichten Schlamm der Lagerstraße.
In Achern fragte Hermann Neuchel einen Parteibonzen: »Wo habt ihr den Hammel-Max hingebracht?« Wenig später wurde Neuchel in der Glashütte verhaftet. Ein Kollege brachte der Ehefrau die Nachricht: »Den Hermann haben sie abgeholt.« Die Gestapo durchsuchte die Wohnung, beschlagnahmte das Radio. Die Familie erhielt kein Lebenszeichen. Tochter Mathilde herrschte den Kreisleiter an: »Sie können mich auch verhaften wie meinen Vater, mir ist alles egal.«
Direktor Schmidt wandte sich an die Partei. Viele Glasbläser seien bei der Wehrmacht. Die Glashütte könne keine Arbeitskraft mehr entbehren. Viele Kollegen unterschrieben das Gesuch. Nach drei Wochen kam Hermann Neuchel wieder heim; abgemagert, zu Tode erschöpft und äußerst schweigsam.
Nach Riga deportiert
Am 12. Januar 1941 wurde Hannelore Hammel von Stuttgart aus nach Riga deportiert. Ihre Spur verliert sich im KZ Stutthof bei Danzig. Ein erschütternder Augenzeugenbericht ihrer grauenvollen Gefangenschaft blieb in den »Acherner Profilen« von Gerhard Lötsch erhalten.
Die Eltern entkamen der »Vorhölle zu Auschwitz«. Vor ihrer Emigration nach Amerika kehrten sie im Februar 1947 noch einmal nach Achern zurück. Kurz vor der Abreise sagte Max Hammel seinem Freund Hermann Neuchel: »Ich weiß, dass ich Hannelore nicht mehr finde. Ich kann nicht in Deutschland bleiben.«
2007 beantragte die Acherner Bürger Liste, unter dem Eindruck eines von Gerhard Lötsch anlässlich der an ihn verliehenen Bürgermedaille gehaltenen Vortrags, eine Straße nach Hannelore Hammel zu benennen. Der Gemeinderat stimmte zu.