Kofferträger vom alten Schlag am Bahnhofsvorplatz
Der Spaziergang zu den öffentlich zugänglichen Skulpturen der Gegenwartskunst in der Hornisgrindestadt endet am Bahnhof. Wer dort über einen menschenleeren Vorplatz schreitet, ist dennoch nicht allein. Da ist noch der schnauzbärtige Dienstmann Bolian, der vor dem Eingangsbereich stehend auf seine Taschenuhr in der linken Hand schaut. Dem schrulligen Alt-Acherner Original hat Walter Gerteis (1921-1999) ein lebensgroßes Bronzedenkmal gesetzt. Es entstand 1993 im Zuge der Neutrassierung der Rheintalbahn und dem Bau des neuen Bahnhofs.
Der gebürtige Freiburger, 1962 als Kommandant des Bundeswehr-Standorts nach Achern gekommen, ist mit einer Reihe von Kunstwerken im Stadtbild vertreten, insbesondere bei der Fassadengestaltung zweier Gasthäuser und mehrerer Geschäfte. Nach seiner Pensionierung 1978 hatte sich Gerteis ganz der Kunst zugewandt, in seinem Atelier in Sasbach führte er vor allem Auftragsarbeiten aus.
Den Traum eines Künstlerdaseins hatte er sich erst spät erfüllen können. Er war zur falschen Zeit und in eine mörderische Diktatur geboren. Statt der Bildhauerei wartete der Kriegsdienst auf den Jugendlichen, lediglich ein Studienurlaub 1941 war ihm vergönnt. An der Karlsruher Kunsthochschule fand er sein Schlüsselerlebnis in der Meisterklasse des Professors Otto Schießler. Ein Genesungsurlaub zwei Jahre später führte ihn kurzzeitig an die Dresdner Kunstakademie. Danach versank Nazideutschland in Schutt und Asche.
In französischer Gefangenschaft verdiente sich Gerteis mit seinen kunstfertigen Händen Naturalien zum Überleben. 1948 bis 1951 wurde Professor Albert de Jaeger am Baden-Badener „Centre d‘études et realisiation artistique“ sein Lehrmeister, ein Schüler des berühmten Meisters Auguste Rodin. 1950 erhielt er die ersten öffentlichen Aufträge, unter anderem vom damaligen Südwestfunk. Doch seine finanziellen Verhältnisse blieben bescheiden, weshalb er sich entschied, zur Bundeswehr zu gehen. Seine Freizeit, die Wochenenden und seine Urlaube gehörten aber weiterhin der Kunst. Beim Wettbewerb „Soldat und Hobby“ gewann er einen ersten Preis.
Ohne die Requisiten
Der Bolian ist eines seiner markantesten Werke. Zur Skulptur zählten ursprünglich auch ein Handgepäckwagen nebst Koffer. Die Bahn räumte diese Requisiten vor Jahren weg, nachdem sie mehrfach Ziel von Vandalen waren. Ein weiteres Attribut versteckt der Dienstmann mit der rechten Hand hinter seinem Rücken: eine Flasche Borbel. Bolians Trinkfreudigkeit ist Legende, seine Schlagfertigkeit ebenfalls. Als er einmal einen Ochsen führte, soll er angegangen worden sein: „Wo geh’n ihr zwei Ochse na?“ Antwort: „Am dritten vorbei.“
Abschließend lohnt es sich, am Bolian vorbei in die Unterführung zu den Bahnsteig-Aufgängen zu gehen, wo Gerteis zahlreiche, ebenfalls sehenswerte Backstein-Reliefs geschaffen hat, die sich vor allem der Eisenbahngeschichte widmen. Weitere Wandplastiken finden sich an den Bahnunterführungen der Kirchstraße sowie in Fautenbach und Önsbach.