Neue Kirche mit langer Historie
Oppenau-Lierbach. Heute, am Nikolaustag, ist es genau 50 Jahre her, dass die neue Kirche in Allerheiligen geweiht wurde. Das Werk der Prämonstratenser war in neuer Form auferstanden. Dazwischen lagen rund 150 Jahre wechselvoller Geschichte im einstigen Klosterbezirk (siehe Hintergrund). Im Oktober 1947 hatte der Caritasverband der Diözese Mainz in Allerheiligen die beiden Gästehäuser erworben, um hier, in der Notzeit nach dem Zweiten Weltkrieg, den Kindern einen Ort zur Erholung zu schaffen. Gottesdienst wurde in der Hauskapelle, die in der Gaststätte untergebracht war, gefeiert.
Heimischer Sandstein
Später kaufte das Bischöfliche Ordinariat Mainz vom Staat einige Grundstücke, um eine Kapelle, ein Gästehaus und eine Liegehalle auf eigenem Grund und Boden erbauen zu können. Geplant wurde das neue Gotteshaus »Allerheiligen« vom Mainzer Diözesanbaumeister Karl Dieke, die Ausführung lag in den Händen des Ottenhöfener Architekten Franz Fuchs. Der heimische Sandstein fand als Baustoff wie einst in der Gotik Verwendung. Die Gotik sowie die ebenfalls nach oben strebenden Bäume der Umgebung waren, gleichsam alte und neue Zeit verbindend, Vorbilder der neuen Kirche. Sie ist rund 22,50 Meter lang und 9,50 Meter breit und bietet etwa 150 Personen Platz. Ein Dachreiter krönt das Satteldach.
Wie einst das Werk der Chorherren wurde auch die neue Kirche unter den Schutz »Aller Heiligen« gestellt und ihnen anvertraut. Sichtbar wird der Gedanke »Allerheiligen« im Altarbild. Aus der großen Schar der Heiligen wurden solche ausgewählt, die zu den alten wie den neuen Aufgaben der Weltkirche eine Beziehung haben. Im Mittelpunkt des Bildes befindet sich die Gottesmutter Maria, die wie in früheren Zeiten eine besondere Patronin der Kirche ist.
Maria ist auch am linken Seitenaltar dargestellt. Das Relief zeigt sie als Schutzmantelmadonna mit dem Jesuskind. Unter ihrem Mantel finden fünf Kinder, welche die fünf Erdteile symbolisieren, Zuflucht und Geborgenheit. Im Relief über dem rechten Seitenaltar ist Norbert von Xanten (gestorben 1134), der Gründer des Prämonstratenserordens, im Kreise seiner ersten Mönche Hugo von Fosses, Godefried von Ilbenstadt und Evermod, Apostel der Wenden, dargestellt.
Uralte Technik
Alle drei Altarbilder sind in Ton gebrannt. Der Künstler, Adam Winter aus Mainz-Kastell, benutzte hier die uralte Technik der Griechen und Römer, die anderthalb Jahrtausende lang vergessen war. Das Kreuz über dem Hochaltar wurde am 14. September 1974, dem Fest der Kreuzerhöhung, geweiht. Es wurde von einem norddeutschen Künstler aus altem Eichenholz gefertigt. Die Balken sind mit Kupfer überzogen. Außerdem zieren das Kreuz rotweiße Kristalle.
HINTERGRUND
Aus der Geschichte: Die »kirchenlose Zeit« in Allerheiligen
Nach der »Civil-Besitzergreifung des Gotteshauses Allerheiligen« am 29. November 1802 durch den badischen Markgrafen, der das Prämonstratenserkloster aufhob und mit all seinem Besitz zum Staatseigentum erklärte, war das »Münster«, wie die Prämonstratenser ihre Klosterkirche nannten, zunächst als Pfarrkirche für das hintere Lierbachtal und das hintere Achertal vorgesehen. Zu den Besonderheiten Allerheiligens gehört, dass zwei Kapuzinermönche die Seelsorge inne hatten.
Bis 1814 wurden noch Gottesdienste gehalten, dann setzte ein rascher Zerfall ein. Es wurde die endgültige Entscheidung getroffen, als Ersatz für Allerheiligen in Ottenhöfen eine Kirche zu bauen. Die Steine sollte die Klosterkirche liefern. Damit war der Abbruch des einstigen »Münsters« besiegelt. 1824 gestattete die badische Regierung außerdem, dass es zum Bau der Pfarrkirche in Achern als Steinbruch genutzt wurde.
Ab 1840 sorgte Forstaufseher Ernst Ludwig Mittenmaier, der zwei Jahre zuvor nach Allerheiligen gekommen war, für die Erhaltung der Ruine und für die Erschließung der Wasserfälle. Nach der Erlangung der Wirtsgerechtigkeit baute seine Familie in den nächsten Jahrzehnten zwei Gästehäuser und machte Allerheiligen zu einem bekannten Kurort, den 1878 auch Mark Twain besuchte. 1915 vollendete der Wiener August Neidhardt, der später in Berlin als Dramaturg tätig war, dort den Text zur bekannten Operette »Schwarzwaldmädel«.
Von 1929 bis 1947 war die Familie Nassoy im Besitz der Gästehäuser und verkaufte sie dann an die Caritas der Diözese Mainz, die 1960 die neue Kirche errichtete. Neues geistliches Leben regte sich in den Ruinen von Allerheiligen erst wieder ab 1990, als die kirchlichen Gebäude der von Malta kommenden katholischen Missionsorganisation ICPE (Internationales Katholisches Programm für Evangelisation) überlassen wurden. Diese erste Niederlassung in Deutschland, gleichzeitig internationale Zentrale, weihte der Mainzer Weihbischof Franz Eisenbach am 8. Dezember 1990, dem Fest der unbefleckten Empfängnis, in einem mehrsprachigen Gottesdienst ein. 2009 verließ ICPE Allerheiligen wieder.