Oscar-Kandidat: Cineastisches Juwel in Achern vorgestellt
Im Acherner Tivoli wurde in einer Sondervorstellung der Spielfilm „Wir könnten genauso gut tot sein“ gezeigt. Zu den Gastgebern gehörte neben dem Kommunalen Kino die Baden-Badener Eberhard-Schöck-Stiftung. Die vor 30 Jahren gegründete Institution zählt zu den finanziellen Förderern des auf einer Auswahlliste für den Oscar stehenden Langfilmdebüts Natalia Sinelnikovas (33). „Leider musste die Regisseurin ihren Besuch in Achern aus familiären Gründen kurzfristig absagen“, erklärte Kristin Bischoff, die Projektleiterin der Stiftung. An ihrer Stelle beantworteten Julia Wagner, die Produzentin des Films und die 18-jährige Nachwuchsschauspielerin Pola Geiger die Fragen des Publikums. Dabei fiel leider zwangsläufig manch spannender Aspekt unter den Tisch.
Offene Fragen
So hetzt zum Beispiel am Anfang des Films ein mit Äxten bewaffnetes Ehepaar mit ihrem an beiden Händen vorwärts gezerrten Sprössling durch ein düsteres Waldgebiet. Gerne hätte man die Regisseurin gefragt, wer sie auf die Idee gebracht habe, diese verstörende Schlüsselszene mit einem mitreißenden, hintersinnig konstruierten musikalischen Ohrwurm zu begleiten.
Zur Melodie des traditionellen ukrainischen Neujahrslieds „Shchedryk“, dessen vokal-choristische Bearbeitung 1916 in Kiew Premiere feierte, ersann Komponistin Maxi Menot den neuen, auf den Inhalt des Films zugeschnittenen Text „Intra Muros Tuti Sumus“. Dabei wurde die ursprüngliche, ein glückliches Auskommen prophezeiende Bedeutung des Volkslieds, außer Acht gelassen. Während es in der westlichen Welt unter den Namen „Carol of the Bells“ zu den weihnachtlichen Stimmungsklassikern gehört, heißt es bei Menots auf Latein von der Berliner Gruppe „Byrdland“ gesungenen Choral „Innerhalb der Mauern sind wir geschützt“. Damit ist ein mächtiges, im Mittelpunkt des Films stehendes Hochhaus gemeint, auf das die panisch durch den Wald jagende Kleinfamilie zustrebt. In diese, mit einem dichten Drahtverhau umzäunten Festung suchen gut betuchte Zeitgenossen Schutz vor einer scheinbar gänzlich aus den Fugen geratenen Welt. Dabei gerät das Motto des Hauses „Hauptsache, wir sind sicher“ schon bald gewaltig ins Wanken.
Die an einen Alptraum Kafkas erinnernde Dystopie fesselte das Acherner Publikum. „Ob uns am Ende der Humor rettet oder alles noch schlimmer kommt, bleibt offen. Gewissheiten gibt es in diesen Film keine“ erklärte Kristin Bischoff. Es bleibt zu hoffen, dass dieses zutiefst spannende, perfekt in die von Untergangsvisionen gepeinigte Gesellschaft passende cineastische Juwel im Kommunalen Kino noch häufiger gezeigt wird. Das bewegende Spiel der Hauptdarstellerin Ioana Iacob und ihres großartigen Kollegen Jörg Schüttauf und des bis in seine kleinsten Nebenrolle bestens besetzten Ensembles überzeugten. Und Stoff zum Nachdenken und Diskutieren liefert der Film ebenfalls genug, wie die in Achern ausgiebig genutzte Fragestunde demonstrierte.