Vor 50 Jahren ersetzten Busse den "Enteköpfer"
Vor 50 Jahren beförderte die Mittelbadische Eisenbahn letztmals Passagiere von Bühl nach Kehl über Memprechtshofen und Freistett. Busse ersetzten den „Enteköpfer“.
Es ist kurz vor halb acht. Eine Gruppe Schüler aus Memprechtshofen ist auf dem Radweg von Memprechtshofen in Richtung Freistett zur Schule unterwegs. Getroffen hat man sich zuvor an der westlichen Ortsausfahrt von Memprechtshofen, beim ehemaligen Gasthaus „Schwanen“, wo gegenüber, allerdings vor 50 Jahren noch der Bahnhof von Memprechtshofen stand. Ob den Schülern bewusst ist, dass der jetzige Radweg entlang der L 75 (ehemalige B 36) früher einmal die Trasse der Mittelbadischen Eisenbahn war, vermutlich nicht.
Und auch vor über 50 Jahren war hier ebenso der Treffpunkt der einheimischen Schüler und Berufstätigen, um am Bahnhof das „Ziggel“, so eine der volkstümlichen Bezeichnungen für die Mittelbadische Eisenbahn, in Richtung Freistett und Kehl zu besteigen. Zum letzten Mal am 26. September 1970, also vor 50 Jahren.
Am Folgetag, zum Fahrplanwechsel, wurden erstmals Busse für die Personenbeförderung eingesetzt. Der Güterverkehr bestand zwar noch einige Zeit weiter, wurde aber dann ebenfalls eingestellt. Die Mittelbadische Eisenbahn, im Volksmund auch „Enteköpfer“ genannt, war damit Geschichte. Gerne erinnern sich viele der damaligen Passagiere an die ruckelige Fahrt mit dem „Enteköpfer“, das Knarren, Zischen und Quietschen der Waggonräder, an den markanten „Eisenbahngeruch“ und die Standprobleme im Mittelgang des überfüllten Waggons, wenn der „Enteköpfer“ knirschend eine Kurve nahm.
Schmale Klappsitze
Wer Glück hatte, konnte vorher noch einen Platz auf einer der harten, nicht gerade komfortablen Holzbänke ergattern oder einen der schmalen Klappsitze an der Seite. Dann war es immerhin möglich, bei Bedarf noch schnell den Rest seiner Hausaufgaben mit dem Kumpel abzustimmen und flott ins Heft zu kritzeln.
Viel Zeit war ja nicht zwischen Memprechtshofen und dem Bahnhof Freistett. Höchstens im Winter, bei vereisten Schienen. Da drehten die Räder vom „Enteköpfer“ an der Auffahrt zur Renchbrücke schon mal durch und die Fahrt dauerte etwas länger. Nur wer nach „Bische“ weiterfuhr, ans damalige Progymnasium, war etwas besser dran. Aber bei dem ständigen Geruckel und obligatorischen Zigarettenrauchnebel im Waggon war das Ergebnis im Heft auch keine „Schönschrift“ der „Alten Schule“ und die Lehrer wussten sofort, was Sache war. Am Bahnhof Freistett stand gegenüber auch das Gasthaus „Zur Lokalbahn“. Im Gegensatz zur MEG ist die Gaststätte „Lokalbahn“ auch heute noch geöffnet.
Die Geschichte der Mittelbadischen Eisenbahn, anfangs Lahrer Eisenbahngesellschaft, beginnt aber viel früher, im Jahr 1886. Mit der Übergabe einer Petition von 13 Gemeinden des Hanauerlandes an die 2. Kammer des Badischen Landtages wurde am 15. Februar 1886 der Grundstein für den Bau einer Straßenbahn von Kehl nach Bühl gelegt.
39 Kilometer lang
Für den Bau der Strecke erhielt die Straßburger Straßenbahngesellschaft den Auftrag, da man sich dadurch eine lückenlose Anbindung an das elsässische Straßenbahnnetz versprach. Anfang April 1891 wurde mit dem Bau der 39 Kilometer langen Strecke begonnen und bereits Ende des Jahres wurden die Stationsgebäude fertig gestellt.
Nicht dabei war neben Bodersweier übrigens auch die Gemeinde Linx, die sich gegen eine Bahnanbindung aussprachen. Zum Bestand gehörten anfangs vier Lokomotiven, zwölf Personenwagen und 22 Güterwagen. Die Fahrzeit von Bühl über Lichtenau nach Kehl dauerte rund zwei Stunden, bei einer Durchschnittsgeschwindigkeit von 20 Stundenkilometern. Am 4. Januar 1892 erfolgte die Einweihungsfahrt mit einem Sonderzug von Bühl nach Kehl. Anlässlich dieses Ehrentags nahm Großherzog Friedrich I. mit seinem Gefolge an der Einweihungsfahrt teil. Im Jahr 1902 wurden 459 448 Personen und 24 550 Tonnen Güter befördert. Nach dem Ersten Weltkrieg und den Bestimmungen des Versailler Friedensvertrags musste eine neue Gesellschaft gegründet werden. Dies geschah am 30. Juni 1923 mit der Gründung der „Mittelbadischen Eisenbahn AG“, der „MEG“, mit Sitz in Lahr und schließlich 1971 in die heutige SWEG übergegangen.
Sukzessive Umstellung
Seit 1934 wurden neben den vorhandenen Dampflokomotiven später vermehrt moderne Dieseltriebwagen eingesetzt. Schon Anfang der 1960er Jahre folgte sukzessive die Umstellung auf den Omnibusbetrieb, was in den Jahren 1966 bis 1968 zur Stilllegung des Schienenverkehrs zwischen Kehl und Freistett führte. Die endgültige Einstellung des Personenverkehrs zwischen Bühl und Freistett erfolgte am 26. September 1970 und eine Abschlussfahrt mit der historischen Dampflokomotive fand bereits am 19. September 1970 statt.