Wie ukrainische Kriegsflüchtlingen in Rheinau zurechtkommen
Rheinau. Es ist recht mühsam, wie sich Irina Zhabina durch das Anmeldeformular der Krankenkasse durcharbeiten muss. Das Dokument gibt es nur in deutscher Sprache, doch dank ihrer sehr guten Englischkenntnisse ist auch diese bürokratische Hürde zu überwinden, denn ihre Gastgeberin Heidrun Anthonj-Puchta kann ihr die wichtigsten Fragen übersetzen. Die 45-jährige Ukrainerin aus Dnipro flüchtete Anfang April vor dem brutalen Überfall der russischen Armee nach Deutschland.
In Helmlingen nahm die Familie von Heidrun Anthonj-Puchta die Lehrerin mit ihrer zehnjährigen Tochter Luba auf. Genau wie fünf andere Frauen aus der Ukraine, die mit ihren Kindern bei jeweils drei Familien in Helmlingen und Memprechtshofen eine vorübergehende Bleibe fanden.
Spontan entschieden
„Es war eine spontane Entscheidung angesichts der schrecklichen Bilder aus der Ukraine und dem Leid der Bevölkerung, dass wir irgendwie helfen wollten, und so hat es sich ergeben, dass Irina mit ihrer Tochter durch private Kontakte zu uns gekommen ist“, berichtet Heidrun Anthonj-Puchta. Da sie eine kleine Wohnung im Keller frei hatten, sei die Entscheidung, jemanden aufzunehmen, nicht schwer gefallen, meint sie. Erleichtert habe die Kommunikation und das erste Kennenlernen vor allem der Umstand, dass ihr Gast bestes Englisch spreche. Viele der Frauen sprächen aber meist nur Ukrainisch, so dass die Verständigung relativ schwierig sei, etwa beim Ausfüllen von Formularen, erklärt Heidrun Anthonj-Puchta.
Entsprechende Erfahrungen in Sachen Kommunikation hat auch Silke Parpart aus Memprechtshofen gemacht, die ebenfalls eine geflüchtete Frau mit ihren zwei Kindern im Alter von 6 und 9 Jahren aufgenommen hat. „Nachdem wir uns anfangs mit Händen und Füßen so gut es ging verständigt haben und sich auch langsam ein Vertrauensverhältnis aufgebaut hat, ist mittlerweile schon etwas Routine eingekehrt und die Selbstständigkeit im Alltag weitgehend vorhanden“, berichtet die Gastgeberin von ihren Erfahrungen. „Nicht ganz unproblematisch und zeitweise recht mühsam war anfangs auch die Bewältigung der Bürokratie, was einiges an Zeit und Nerven gekostet hat.“
Inzwischen habe man jedoch den bürokratischen Teil weitgehend abgearbeitet. Dazu gehörte die Anmeldung bei einer Krankenkasse. „Direkte Werbung für ein bestimmtes Unternehmen sollte man ja nicht unbedingt machen und die Frauen aus der Ukraine hatten so ihre Probleme mit der freien Wahl, die „richtige“ Krankenkasse für sich herauszufinden, da sie mit den hier gängigen Abkürzungen überhaupt nichts anfangen konnten“, berichten die Betroffenen übereinstimmend. „Bestens unterstützt wurden wir hier vor Ort zudem von der zuständigen Sachbearbeiterin bei der Stadt Rheinau, die uns sehr viel geholfen hat“, so der einhellige Tenor der Gastfamilien.
„Ich bin froh, dass wir nach unserer Flucht hier so freundlich aufgenommen wurden“, freut sich Irina Zhabina, „denn es war ja alles Ungewiss und wir hatten nur das Nötigste in einem Koffer und einem Rucksack schnell zusammen gepackt.“ Sie schaffte es über Polen mit Bus und Bahn nach Deutschland. Obwohl sie nun in Sicherheit ist, bleiben die Ungewissheit und Sorge um die Familie daheim, denn ihr Ehemann und die zwei Söhne, beide knapp über 20 Jahre alt, mussten zurückbleiben und wissen ebenfalls nicht, wie es weitergeht.
„Wir hoffen, dass der absolut sinnlose, blutige Krieg der Russen gegen die Ukraine schnellstens beendet wird und die Waffen schweigen, denn es gibt viele sinnlose Opfer auf beiden Seiten und schlimme Zerstörungen. Russland scheint aus dem vielfachen Leid des Zweiten Weltkrieges überhaupt nichts gelernt zu haben“, so die Ukrainerin.
Funkstille zu Russland
Während der Kontakt zum Ehemann und den Söhnen per Videotelefonie ganz gut klappt, ist die Kommunikation mit Verwandten in Russland abgebrochen. Die seien durch die dortige Propaganda total desinformiert und würden schlichtweg belogen, so Luba Zhabina.
„Gerne würden die Frauen eine Arbeit aufnehmen, denn sie wollen nicht nur auf fremde Hilfe angewiesen sein, doch die Sprachbarriere und die mangelnde Mobilität lassen das nicht zu“, erklärt Silke Parpart. Hier im ländlichen Raum ist man ohne Auto aufgeschmissen. Wichtige Termine bei Behörden, Einkäufe oder die Abholung von der Schule erfordern fast immer den Fahrdienst der Gastfamilien. „Immerhin können die schulpflichtigen Kinder die örtliche Schule besuchen, lernen gut deutsch und finden recht schnell Kontakt, doch mit Kindergartenplätzen sieht es schlecht aus, so wie im Fall meiner Flüchtlinge, die ich aufgenommen habe“, so Parpart.
Recht gut integriert hat sich in Helmlingen auch Luba Zhabina, die dort zur Schule geht, sich mit den Nachbarskindern angefreundet hat und das Handballtraining besucht, was ganz zur Freude von Heidrun Anthonj-Puchta, einst langjährige TuS-Chefin, ist. Sehr positiv haben die Kriegsflüchtlinge auch das Angebot eines Sprachkurses angenommen, der seit kurzem in Memprechtshofen angeboten wird.
Ein schönes Erlebnis für alle war das Treffen zu einer Grill-Party am See in Memprechtshofen, die von den sechs Gastfamilien organisiert und von örtlichen Geschäften unterstützt wurde - und den schrecklichen Krieg in der Heimat für kurze Zeit in den Hintergrund treten ließ.