60 Jahre Kehler Kino: Interview zum runden Geburtstag
Dienstag, 11. Juli: Auf den Tag genau feiert das Kehler Kino sein 60-jähriges Bestehen. Im Interview blickt Joachim Junghans auf seine Zeit als Kinocenter-Betreiber zurück und erklärt, wie sich die Branche im Lauf der Jahrzehnte verändert hat.
Herr Junghans, das Kehler Kino ist genauso alt wie Sie selbst. Zu Ihrer Geburt flackerten noch Schwarz-Weiß-Filme über die Leinwand, der Ton war analog und der Film kam von der 35-mm-Rolle: Verfallen Sie bei dieser Vorstellung nicht in Nostalgie?
Joachim Junghans: Ja und nein. Ich erinnere mich sehr gerne an die Zeit. Meine Eltern hatten schon ein Kino, als ich auf die Welt kam, und ich habe alles von der Pike auf mitbekommen. Trotzdem liebe ich auch die aktuelle digitale Projektion, die vieles einfacher aber auch komplizierter macht. Manchmal vermisse ich aber die Laufstreifen und die Bildhüpfer, wenn der gerissene Film zusammengeklebt wurde. (lacht)
Wenn Sie 1957 bereits im Geschäft gewesen wären, mit welchem »Sommer-Blockbuster« hätten Sie seinerzeit eröffnet?
Junghans: 1957 kamen »Die Brücke am Kwai«, »Sissi – Schicksalsjahre einer Kaiserin«, »Zeugin der Anklage« und »Die zwölf Geschworenen« ins Kino – von Blockbuster war da noch nicht die Rede. Jeder wollte ins Kino, und das konnte man schon für eine Mark.
Im kommenden Jahr haben Sie seinen weiteren runden Kino-Geburtstag zu feiern: Da ist es 40 Jahre her, dass Sie die damaligen Kammerlichtspiele übernommen haben. Wissen Sie noch, mit welchem Film Sie damals ins Geschäft gestartet sind?
Junghans: Es waren »Die Chorknaben« von Robert Aldrich, und in der Spätvorstellung kam ein Bruce-Lee-Film in der Doppel-Nacht.
Wie lief’s für Sie?
Junghans: Es war ein verhaltener Start in die Selbstständigkeit, die ersten großen Erfolge waren, meine ich, »Grease« mit John Travolta sowie die Terence Hill/Bud Spencer- und Louis-de-Funès-Filme.
Was war der mit Abstand kassenträchtigste Film, an den Sie sich erinnern können, welches – finanziell gesehen – der größte Flop?
Junghans: »Titanic« und »Titanic«. 1997 lief »Titanic« fast ein ganzes Jahr bei uns im Kino, wir haben ihn auch in der spanischen, italienischen und in der Original-Versionen gezeigt. Wir hatten über 20 000 Besucher nur mit diesem Film, und 2012 kam er dann in 3D in die Kinos und war einer der größten Flops der Filmgeschichte.
Wie haben sich die Ansprüche des Kino-Publikums in den Jahrzehnten verändert?
Junghans: Das Publikum wurde viel kritischer. Früher gingen die Leute ins Kino, egal in welchen Film – im Notfall saß man auch auf Cola-Kisten. Heute geht man zwar immer noch gerne ins Kino, aber nur in den Film, den man auch wirklich sehen will, und man will eine perfekte Filmprojektion.
Und wie hat sich die Situation der Kino-Betreiber verändert?
Junghans: In den 90ern kamen die ersten Multiplexe, da sind schon einige kleinere Kinobetriebe umgefallen. Es werden immer weniger Kinobetreiber, aber viele Kinomacher haben immer mehr Kinos.
In den 80er-Jahren kam VHS auf, in den 90ern dann die DVD, inzwischen – Sie haben es bereits angesprochen – entstehen überall Multiplexe: Wie hat sich all das auf die Besucherzahlen niedergeschlagen?
Junghans: Am Anfang wollten die Besucher für Filme, die es schon auf Video gab, keinen Eintritt mehr bezahlen. Aber die Produzenten haben dadurch mehr Geld verdient, und es kamen immer mehr Filme auf den Markt. Früher gab es vier bis fünf Blockbuster im Jahr. Heute kommen die bald wöchentlich. Der Filmbesuch hat sich in Deutschland bei 125 bis 150 Millionen Besucher im Jahr eingependelt, davon gehen circa 45 bis 50 Prozent in die Multiplexe.
Wie reagieren Sie als Geschäftsmann auf diese Entwicklung?
Junghans: Dabeibleiben. Wenn man von dem Stress mit den Filmverleihern absieht, macht es immer noch sehr viel Spaß!
Apropos Filmverleiher: Bei den diesjährigen Filmfestspielen von Cannes war erstmals ein Film im Rennen, der nicht speziell für die große Leinwand, sondern für einen Internet-Streaming-Dienst produziert wurde – das sorgte bei Cineasten für Empörung. Deutet sich hier das lang prophezeite Ende des Kinos an?
Junghans: Das Kino wurde schon so oft für tot erklärt, ich kann es mir nicht vorstellen. Schön finde ich es natürlich nicht, wenn große Schauspieler und Regisseure am Kino vorbei arbeiten.
Was glauben Sie: In welche Richtung wird sich Kino in Zukunft weiterentwickeln?
Junghans: Es wird immer bequemer – mit Luxus-Sesseln und Bedienung, wie wir es in den 80er hatten. Technisch wird nicht mehr projiziert, der Film wird dann auf Display übertragen. Spannend wird es, was mit den VR-Brillen passiert. Die Besucher können Einfluss auf die Handlung nehmen, und wer weiß, was denen noch alles einfällt.
Sie sind jetzt 60 Jahre alt: Wie lange werden Sie das Kinocenter Kehl noch führen?
Junghans: Fühle mich aber wie 40, also schon noch ein paar Jahre.
Und danach: Sind Sie bereits auf der Suche nach einem Nachfolger?
Junghans: Nachfolger? Was ist das?
Historie
◼ 11. Juli 1957: Die Kehler Kammerlichtspiele eröffnen mit »Wem die Stunde schlägt«. Pächter ist Erwin Ludwig, dem auch das Regina-Theater gehört (heute »Bolero«).
1960er-Jahre: Beide Häuser werden vom Franzosen Nicolas François betrieben.
◼ 1978: Der Karlsruher Joachim Junghans übernimmt beide Kinos, schließt aber bald das »Regina«, in dem zuvor vor allem Erotikfilme gelaufen waren.
◼ 1980: Die Kammerlichtspiele werden zum Kino-Center umgebaut. Aus einem Saal mit 600 Plätzen werden drei mit heute insgesamt 350 Plätzen. Das Kino 1 bietet eine Bar, Lampenschirmchen bei den Sitzen und die Möglichkeit, per Knopfdruck eine Bedienung zu rufen.
◼ 1988: Junghans gründet die Programmfilmreihe »Charlot«, die in der Folge immer wieder Auszeichnungen erhält.
◼ 1990er-Jahre: Alle Säle werden mit einem Dolby-Digital-Tonsystem ausgerüstet. Das Kino 1 wird umgebaut: Die ursprünglich vorhandene Bar wird zunächst verkleinert und verschwindet dann komplett. Lampenschirmchen und Bestellknöpfe verschwinden mit einer neuen Bestuhlung. Bald darf auch nicht mehr geraucht werden.
◼ 2010: Nach dem Film »Avatar« halten digitales Bild und 3D Einzug.