Buchrezension: Der ausgebeutete Kontinent von Angelika Nain
Afrika – der geheimnisvolle, schwarze Kontinent, voller exotischer, wilder Tiere und stolzer, naturverbundener Völker, so verklären ihn gerne die Bewohner der nördlichen Hemisphäre. Doch Afrika ist vor allem ein ausgebeuteter Kontinent, den die europäischen Kolonialmächte einst unter sich aufgeteilt und an dessen Ressourcen sie sich hemmungslos bereichert haben. Unter den Folgen haben die afrikanischen Länder und die dort lebenden Menschen noch immer zu leiden – und auch die Ausbeutung hält bis heute an. „Und immer noch…“ lautet denn auch der Titel des Buches der Künstlerin Angelika Nain aus Marlen, das mit finanzieller Unterstützung des Kulturamtes der Stadt Kehl entstanden ist.
Angelika Nain versammelt in diesem Buch 14 Druckgrafiken, die sie bereits 2017 für die Kolonialzeitliche Sammlung im Ritterhaus in Offenburg angefertigt hat, und einige auf einer Afrikareise entstandene Bleistiftskizzen, ergänzt durch Texte verschiedener Autoren. Unter Schlagworten wie traditionell, imperialistisch oder korrupt beleuchten die Bilder und Texte verschiedene Aspekte, die ihre Wurzeln im Kolonialismus haben: Die Ausbeutung der natürlichen Ressourcen und der Menschen als billige Arbeitskräfte, Sklaverei, Rassismus und Herrenmenschen-Denken, aber auch aktuelle Entwicklungen wie der hemmungslose Altkleider- und Textilmüll-Import nach Afrika, der die heimische Textilindustrie zerstört und die Umwelt verseucht, oder die Millionen Flüchtlinge, die auf der Flucht vor Hunger, Krieg und repressiven Diktaturen die gefährliche Reise über das Mittelmeer wagen. Angelika Nain hat selbst im Winter 2018/19 zwei Wochen auf dem Seenotrettungsschiff „Sea-Eye“ zugebracht und miterlebt, wie 17 Menschen aus hölzernen Nussschalen in der libyschen See gerettet wurden.
Im Buch beleuchtet Samantha Richardson das Schicksal der Afrikanerinnen, die über die Jahrhunderte bis heute versklavt, vergewaltigt und gedemütigt wurden, und fragt, wie viel Unabhängigkeit sie selbst als Nachfahrin hat; Wolfgang Reinbold berichtet von der wirtschaftlichen Ausbeutung der Länder, die einst im Namen der Religion ideologisch gerechtfertigt wurde und heute noch andauert. Otto Maier schreibt vom Kakaoanbau, von fünfjährigen Kindern, die schwere Säcke schleppen und mit gefährlichen Pestiziden hantieren müssen, damit uns Schokolade das Leben versüßt; Stefan Brocza von den durch fragwürdige Fischereiabkommen leergefischten Weltmeeren und Uwe Strähle vom Raubbau am Boden durch die industrielle Landwirtschaft, die nicht die Bedürfnisse der Bevölkerung deckt, sondern Tierfutter, Baumwolle und Biosprit für die reichen Industrienationen produziert.
Nicht zuletzt wird die Flüchtlingsproblematik thematisiert. Regine Gnegel und Gorden Isler berichten von Stacheldrahtzäunen, von Menschen, die im Mittelmeer ertrinken oder in der Wüste ausgesetzt werden, von einem reichen Europa, das sich abschottet vor den Menschen, deren Hoffnungslosigkeit und Armut letztlich auch von der gemeinsamen kolonialen Vergangenheit herrührt.
Doch es ist nicht nur ein Konstatieren, ein Anklagen. Die Beiträge zeigen die Missstände auf – aber auch, wie jeder Einzelne zu ein bisschen mehr Gerechtigkeit beitragen könnte. Klar ist aber, dass vor allem die „große“ Politik tätig werden muss, um die Profitgier der Konzerne zu zügeln und die Ausbeutung zu stoppen.
INFO: Das Buch „Und immer noch…“ von Angelika Nain ist in der Buchhandlung Baumgärtner in Kehl für 15 Euro erhältlich. Außerdem in der Buchhandlung Akzente in Offenburg, im Museum im Ritterhaus, im Weltladen "Regentropfen" und Bücher-Roth in Offenburg.