Serie

Ein Jesus mit acht Zehen und zwei linken Füßen

Gerd Birsner
Lesezeit 6 Minuten
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14. September 2017

(Bild 1/4) Kuh-lantes Land: Mit diesen interessiert dreinblickenden Charloais-Rindern, im elsässischen Teil des Hanauerlandes, dem »Pay de Hanau« fast allerorten zu finden, muhen imaginär auf der Webseite unserer linksrheinischen Namensvettern. ©Gerd Birsner

Dass drüben im »Pay de Hanau«, also im elsässischen Teil des Hanauerlandes. die Zeit im Sauseschritt vorbeigerauscht – und sich gleichzeitig hier aber auch etwas verharrt und ausgeruht haben muss, ist absolut keine Katastrophe. Viel frische Luft, verschwiegene Auen, naturbelassene Wälder: Eine ungeschminkte Schönheit, eingehüllt in eine grüngefleckte Samtdecke, leicht zusammengeschoben zu sanften Hügeln, faltenfrei, ausgeruht, friedlich schlummernd – so präsentiert sich diese Region vor den Höhen der Nordvogesen. An einem Aussichtspunkt öffnet sich ein freier Blick in die Rheinebene. Genau hier also, wo alles begann, findet sich der Bauchnabel des Hanauerlandes: Die Burg Lichtenberg, über dem lauschigen Lichtenberg thronend. Das »jumeliert« mit Lichtenau, dem nördlichsten Zipfel des Hanauerlandes auf unserer Rheinseite. 

Hier herrschten sie also, die Grafen von Hanau-Lichtenberg, deren Atem man hier immer noch leicht im Nacken  spürt. Und den Odem der Hexen auf dem Bastberg oder der Freskenmaler von Weiterswiller auch. 
Wer will, kann sich hier auf die Spuren von Märchen und Sagen machen, im Staub der Geschichte kramen und sich begeistern am Reichtum an Ungewohntem, Nicht-Alltäglichem und manchmal sogar (wie im Museum Lalique) an gläsern Schillerndem der Gegend hier in der ehemals stolzen  Grafschaft.
Selbst die jungen Ureinwohner redde dort zwischen Wingen sur Moder und Pfaffehoffe noch elsässisch. Céline, 38,  Chefin vom Hotel Restaurant »L‘Aigle« in Wimmenau ist stolz: »Minni Buwe – vier und elf – redde noch Elsässisch«. Barbara, 29, steht hinter dem Zapfhahn, aus dem natürlich noch »Meteor« schäumt, Bier von hier im Elsass also, nickt zustimmend. Au sie redd Elsässisch: »Un so muss es sin!«, schallt es unisono aus Madame-L‘Aigle-Mund.
Ins »Pays de Hanau«, das elsässische Hanauerland, verirren sich (gottlob) nur wenige Touristen. Hier ist ein kleines, grünes  Refugium gewachsen, dem Zahn der Zeit trutzend, mit teils engen Straßen und noch kleineren Kreisverkehren als der in Neumühl.

Ein Flickenteppich

Ein zusammenhängendes Gebiet war das lsässer Hanauerland nie, eher ein Flickenteppich auf der Landkarte, der aus vielen einzelnen Gemeinden, seinerzeit »Ämter« genannt, bestand, zwischen denen sich dann auch Gemeinden tummelten, die zu anderen Grafschaften gehörten. 
Boux-, Ing-, Neu-, Weiterswiller, Pfaffenhoffen, Wimmenau sind Hanauerland. Und Wingen-sur-Moder. Auch wenn hier die Moder plätschert, vermodert ist hier nix. Bis an die Vogesenhänge schmiegt sich hier ein frisch-grünes Meer aus Feldern und Weiden. Jetzt, im langsam Herbst werdenden Land, malt die Natur alles viel schöner. Kirchturmspitzen lugen neugierig  aus nebulösen Talsenken, weiße Charolais-Rinder grasen auf saftigen  Weiden, und Hühner scherren nicht nur im Sand, sondern auch auf Ortsschildern. 
Eric Constans, hier geborener Jetzt-Straßburger Pensionär, ist »Pays de Hanauer«er. Er krabbelt mit mir auf den Bastberggipfel, den Blocksberg des elsässischen Hanauerlandes. 326 Meter hoch mitten in einer bemerkens- und schützenswerten Flora und Fauna, in Sichtweite des Galgenbergs, hausen – dreimal schwarzer Kater – die Hanauer Wetterhexen, und im Bastberger Stuewel gibt es danach den Sud im passenden Hexenteller.
Die Bastberghexen haben wohl – Abra-Makabra – im nahen 500 Einwohner zählenden Weiterswiller das Geld aus  dem Gemeindesäckel weggehext. Folge: Die Weitersweiller Kirchturmuhr hat lediglich einen einzigen Zeiger, der zeigt, wann und wem die Stunde schlägt. Nicht so wichtig, denn hier, wo die Gelassenheit der Abgeschiedenheit herrscht, spielt Zeit nicht unbedingt die überragende Rolle. 
Der längst berentete Monsieur Dorschner scheint Fresken zum Fressen gern zu haben. Nicht nur, dass er ganze Sonnund Werktage in dieser Kirche verbringt mit dem Ansinnen, Fremdlingen wie mir alles zu erzählen, was er über die aus dem 15. Jahrhundert stammenden und erst 1906 entdeckten beeindruckenden Wandmalerein weiß. Das kann dauern, denn er weiß alles. 

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Zwei linke Jesus-Füße

Zum Beispiel, dass Fresken immer von mehreren Malern gemalt wurden: Der Meister malt Kopf und Haltung, der Lehrbub Füße und Arme. Und so hat der Jesus nicht nur jeweils vier Fußzehen, sondern auch noch zwei linke Füße. Und der Dorschner, der übrigens erst dreimal in seinem langen 74-jährigen Leben aus Weiterswiller weg war, hat Ärger mit seiner Frau. Die beklagt, dass Kirche nebst Fresken Dorschners  Zweitfrau sei.

»Hanauer Blau«

Um im elsässischen Hanauerland sein blaues Wunder zu erleben, muss man nicht unbedingt eine Kirche als Zweitfrau haben. Da reicht auch ein Besuch in Uttenhoffen gleich um die Ecke bei Pfaffenhoffen (und damit kurz vor dem Pay de Hanau). Hier findet man wunderschöne fachlich gewerkte Häuser im »Hanauer Blau«. Eines davon gehört Jean-Louis Cura, der Besitzer des »Jardin De La Ferme Bleue«, ein wunderschöner intensivgrüner (und der Öffentlichkeit zugänglicher) Garten, der bestens mit dem Blau des Fachwerkhauses korrespondiert. Der hatte nicht nur sein Haus ins Blau getunkt, sondern auch gleich die Nachbarn zum Anstrich im Hanauer Blau animiert. 
Ursprünglich waren die kobaltblauen Häuser im elsässischen Hanauerland ein Hinweis auf arme Hugenotten, denen das Grafengeschlecht der Hanau-Lichtenberger Zuflucht bot. Die Hugenotten konnten sich oft das bei den wohlhabenden Elsässern beliebte teure Weiß und Ocker nicht leisten und griffen daher zur blauen Putzfarbe, ein billiges Abfallprodukt der Bleiherstellung in Bouxwiller, schwärmt Christel Plasa in ihrem Blog »Country-Charme«.
Knallrot, kobaltblau, ocker- oder grellgelb, lindgrün, mausgrau – die Fachwerkhäuser im Elsass sind durch die Bank weg gelinde gesagt etwas farbenfroher als hierzuland. 
Die aus dem 16. Jahrhundert stammenden Wandteppiche in der gewaltigen Abteikirche in Neuwiller, über die Küster Damien Fink alles weiß, das Hanauer Meusum in Bouxwiller, natürlich die Burg Lichtenberg, all das sind Ausflugsziele, die sich mehr als lohnen. Und essen kann man hier überall hervorragend.
Und falls Ihnen jetzt die Zähne lang gemacht wurden, fahren Sie mal hin. Oder besuchen Sie den »Hanauer Owe« am 30. September in der Stadthalle Kehl  Dort werden sie das just Gelesene in bewegten Bildern sehen, denn nach der Pause wird sich dort alles ums »Pays de Hanau« drehn.

Info

Liederliches

»Lieder im Hanauerland« – so lautet der Titel eines heimatlichen Liederbuchs, das Anfang der siebziger Jahre des letzten Jahrhunderts der Linxer Redakteur und Heimatdichter Fritz Baas im Auftrag des letzten Landrats des Landkreises Kehl, Walter Schäfer, zusammengestellt hatte. Herausgegeben hatte es der Landkreis Kehl. Davon existieren noch etliche Exemplare, und viele 
Besitzer passen auf auf 
dieses kleine Buch wie auf ihren eigenen Augapfel. 
Einige von den Liedern aus diesem Buch werden am großen Hanauer Owe am 
30. September in der Stadthalle Kehl dann auch von räächte Hanauer zu Gehör gebracht. Ein darf also auch ein bisschen Schmalz sein.Schmalz mit viel Inbrunst– aber immer noch ganz schön authentisch!!
»Kàltehüse«
Ich wodd so gern uff 
Kàltehüse – sin Briggel un sin Bierebaum, Ich wodd so gern uff Kàltehüse, des isch schun längschd min schönschder Traum.

In Hauenau am Hopfefeschd e nettes Maidel in mim Arm, e kühles Bier, e Päärle Würschdle, un d‘Owesunn, no net ze warm. 

Uff em Odilieberij sitze, uff Ottrott dann de Waldweij gehn, im Eberhard sin Kohle Kitsche – un Strooßburij dann vun Widdem sähn…

Ich woddso gern uff 
Kàltehüse – sin Briggel un sin Bierebaum: ich wodd so gern uff Kàltehüse, des isch schun längschd min schönschder Traum.

…s erscht Mol es isch net widd vun dhaim …
Abgeleitet hat Dede Flick aus Obersolutzbach im elsässischen Hanauerland sein Lied »Kàltehüse« vom Chanson »Syracuse«, den  Henri Salvador geschrieben hatte, ein poulärer französischer Chansonnier, Gitarrist und Fernseh-Moderator, der 2008 91-jährig gestorben ist. Dede Flick hat aus »Syracuse« »Kàltehüse« gemacht, ein kleiner Ort bei Hagenau an der Moder – also fast schon wieder hier bei uns im Hanauerland. Im alten, ausrangierten  Bahnhof von Obersoultzbach lebt der »Elsässer Cowboy« und der leicht schräge Sänger und Texter, der bald 80 wird, sich aber immer noch wie 18 fühlt. 
Wir freuen uns sehr, dass er am 30. September beim »Hanauer Owe« in der Kehler Stadthalle dabei sein und dort unter anderem mit diesem Lied »Kàltehüse« auftreten wird.
 

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