Ein Poetry Slam der Superlative im Kehler Kulturhaus
Kehl. Bekanntlich gilt die deutschsprachige Poetry-Slam-Szene als eine der größten der Welt und wurde 2016 in das Bundesweite Verzeichnis des immateriellen Kulturerbes der UNESCO aufgenommen.
Die in Kehl vom Kulturbüro und dem baden-württembergischen Vizemeister 2018 in Poetry-Slam, Marius Loy, organisierten Dichterwettstreite im Rampenlicht – denn das bedeutet, etwas vereinfacht, Poetry-Slam – haben sich hier auch seit ein paar Jahren etabliert und sind zur Publikumsattraktion geworden.
Die vier Slampoeten, die am Donnerstag auf der Bühne des Kulturhauses mit ihrem literarischen und schauspielerischen Können um die Gunst des Publikums wetteiferten, könnten nicht unterschiedlicher sein: Cäcilia Hufnagl und Marie Lemor - mit Tiefgang, existentiellen Themen und Universalität – versus Jonathan Löffelbein und Moritz Konrad – Wortakrobaten mit plastischem Situationshumor und einer ziemlich großen Portion an Skurrilität und Schrägheit. Sie lieferten zusammen mit ihrem Witzbold-Moderatoren Loy eine sehr lebhafte Show, bei der das Publikum – das als Jury ins Slam-Geschehen miteinbezogen wird und durch Applaus und Zujubeln den Sieger auserkort – stets vor Begeisterung tobte.
Dichterwettstreit
Der Dichterwettstreit, bei dem man ohne Requisiten performativ die eigenen Texte in einer bestimmten Zeit vorträgt – an dem Abend waren es jeweils sieben Minuten – verlangt alles von den Slampoeten ab. Sie sind meistens auch exzellente Schauspieler und können mit atemberaubender Geschwindigkeit rappen, wie Cäcilia Hufnagl, die mit ihren Texten „Meine Brüste“ und „Der Puls der Zeit“ eine unerschrockene Direktheit und kritischen Geist bewies. Sie setzte dabei ihren Körper ein und rappte schwindelerregend schnell. Die Thematisierung der Körperwahrnehmung von Teenagerzeit bis zur Mutterschaft sprengt die eigene Subjektivität und spricht alle Frauen an: Feminität und die weiblichen Brüste – welche gesellschaftlich abnorm sexualisiert wurden. Das gelingt der Slampoetin ohne eine Spur von Vulgarität. Cäcilia Hufnagl und Marie Lemor sind entwaffnend ehrlich und das macht, vielleicht, ihre Texte so schön.
Die Auswahl des Siegers fiel dem Publikum erneut schwer. Diesmal war es Marie Lemor, deren Dichtung und Themen universelle Züge trägt. Unter die Lupe die generelle Nörgelei und toxische Negativität unserer Gesellschaft nehmend, „befiehlt“ die Dichterin, mehr Sozialcourage, „mehr Flausen im Kopf“, „mehr Rabauken“, mehr Romantik, „mehr Kerzenschein“, das Leben wild feiern, mehr Ausgelassenheit und Liebe zueinander. Im Hier und Jetzt leben wie die Kinder, die Schönheit dieser Welt wahrnehmend, und nicht nur als kleinkarierte, graue Nummer das Leben verschwenden - die Botschaft traf wie ein Blitz das Auditoriums, das am Ende „den Befehl“ bekam, „freiwillig“ jemanden im Saal zu Küssen. Und viele taten es, wirklich freudvoll und freiwillig, zur allgemeinen Erheiterung.
Nur noch Nuancen
In der zweiten Runde ging es nur noch um Nuancen – Konrad gewann mit seinem skurrilen Humor und sehr plastischen Beschreibungen knapp vor Hufnagl. Eigentlich hätte man beide in die letzte Runde aufnehmen können. Oder alle vier Dichter zum Sieger erklären: Sieger gegen Kleinkariert und Negativität, Musketiere der Schönheit.
Auf die Frage „Warum schreiben Dichter noch?“ antworteten sie im Gespräch mit der Kehler Zeitung: „Weil wir es anders nicht können. Es muss sein.“ Marie Lemor antwortete mit einem Zweizeiler: „Vielleicht ist ja das ganze Schreiben/ ein leiser Kampf um ganz zu bleiben.“