Flüchtlingsrat sucht Familienpaten
In der Flüchtlingsunterkunft in der Iringheimerstraße geht es lebhaft zu: Kinder spielen auf den Gängen, die Erwachsenen kochen, waschen ihre Wäsche oder stehen in kleinen Gruppen beisammen; es wird gelacht und viel geredet. Doch in einer Unterkunft, in der 91 Menschen aus verschiedenen Herkunftsländern auf engstem Raum zusammenleben, können auch Probleme auftreten. Deshalb hat sich dort auf Initiative der Integrationsbeauftragten der Stadt Kehl, Raya Gustafson, ein Flüchtlingsrat formiert, der auf die Anliegen und Bedürfnisse der dort lebenden Flüchtlinge eingehen und mögliche Probleme bewältigen möchte. Außerdem wollen sich die Ratsmitglieder auf die Suche nach weiteren, dringend benötigten Familienpaten konzentrieren. Diese werden auch von der Stadtverwaltung gesucht, weil der Bedarf an ehrenamtlichen Helfern für die knapp 480 in Kehl lebenden Flüchtlinge weiterhin sehr hoch ist.
Sechs Männer und Frauen sind es, die von den anderen Flüchtlingen aus der Gemeinschaftsunterkunft in der Iringheimerstraße zu ihrem quartiersbezogenen Rat gewählt worden sind. Bei einer offiziellen Wahl konnte jeder dort lebende Asylbewerber zwei Stimmen für seine jeweiligen Favoriten abgeben. »Es wollten sich sehr viele zur Wahl aufstellen lassen«, berichtet Raya Gustafson. Es sei sogar eine so große Anzahl an Bewerbern gewesen, dass sie die sechs zu vergebenen Posten zusätzlich in »Helfer« und »Sprecher« eingeteilt habe, um mehr der Migranten in den Rat integrieren zu können.
Sprachrohr
Der Flüchtlingsrat soll als Sprachrohr dienen – nicht nur für die Anliegen und Probleme aller Bewohner der Gemeinschaftsunterkunft in der Kernstadt, sondern auch für die des angrenzenden Viertels der Kreuzmatt. Dafür treffen sich die Ratsmitglieder alle zwei bis drei Wochen. Gemeinsam wollen sie beispielsweise schwierige Situationen, die in der Unterkunft durch das gemeinschaftliche Wohnen entstehen, in kleiner Runde besprechen und Lösungen erarbeiten.
Koordiniert werden die Sitzungen von Raya Gustafson. Sie gibt Denkanstöße und bespricht mit den Flüchtlingen, ob und wie die entwickelten Lösungsansätze realisierbar sind. Welche Themen sie als erstes in Angriff nehmen wollen, haben sich die Gewählten bereits genau überlegt: den deutschen Wohnungsmarkt verstehen zu lernen, die Flüchtlinge in der Unterkunft besser über Beratungsangebote zu Arbeit, Ausbildung und Gesundheitsfragen zu informieren sowie über die Möglichkeit, sich sportlich zu betätigen oder Vereinen beizutreten, stehen ganz oben auf der Agenda.
Ein wichtiges Anliegen des Rates ist es außerdem, mehr ehrenamtliche Familienpaten zu finden. Diese stehen einzelnen Flüchtlingen oder ganzen Flüchtlingsfamilien bei Fragen und Problemen zur Seite, helfen ihnen beim Einkaufen, begleiten sie zu Arztterminen oder unterstützen sie bei der Wohnungssuche. Viele der Flüchtlinge wünschen sich jemanden, mit dem sie auch außerhalb des Sprachkurses Deutsch sprechen können. Andere benötigen konkrete Hilfe wie beispielsweise beim Lesen von Briefen und Formularen. »Wenn ich jemanden kennen würde, der Deutsch spricht, könnte er wenigstens den Brief lesen und mir sagen, worum es darin geht, das würde mir schon ausreichen«, erklärt der 29-jährige Afghane Bashir Azizi.
Doch die Asylbewerber in der Iringheimerstraße wünschen sich nicht nur einen Ansprechpartner, der ihnen hilft, wenn sie etwas nicht können oder verstehen. Abdusharif Sharifi, der im Oktober 2015 nach Deutschland gekommen ist, wünscht sich einen Paten, um endlich Kontakt zu Deutschen aufzubauen. Dadurch erhoffe er sich, die für ihn so fremde Kultur besser kennen lernen und verstehen zu können. Ihm sei es sehr wichtig, mehr über Deutschland sowie über die Menschen, die hier leben, zu erfahren, betont der 39-jährige Afghane.
Freundschaften
»Familienpatenschaften sind auch Freundschaften, damit ist nicht nur die reine Hilfe gemeint«, erklärt Raya Gustafson. Viele der Flüchtlinge fänden sich inzwischen halbwegs zurecht, sie wüssten beispielsweise, wo die Tafel und andere wichtige Anlaufstellen in Kehl seien, würden aber unheimlich gerne einmal den Schwarzwald sehen oder generell ihre neue Heimat kennen lernen.
Den meisten sei es außerdem wichtig, ihren Paten auch etwas zurückgeben zu können und nicht immer nur diejenigen zu sein, die Hilfe in Anspruch nehmen. Dies sei aber nur möglich, wenn man sich auf gleicher Augenhöhe befände. Eine Freundschaft zu ihren Paten aufzubauen, sei vielen der Asylbewerber daher sehr wichtig.
So geht es auch der 19-jährigen Zara Abbasi aus Afghanistan. Sie wünscht sich einen Freund und Begleiter, der Zeit mit ihr und ihrer Familie verbringt und ihnen die deutsche Kultur erklären kann. Wichtig sei ihr auch, so viel wie möglich mit Deutschen zu sprechen, um die Sprache schneller zu erlernen. Die ehrgeizige Afghanin bemüht sich sehr, sich hier so zügig und so gut wie möglich zu integrieren. Ohne Ansprechpartner sei das jedoch »sehr schwer«.
Nach einem Praktikum in der Diakonie Kork macht sie momentan ein weiteres im Kehler Krankenhaus, im Juli wird sie voraussichtlich ihren Hauptschulabschluss absolvieren. Danach möchte Zara Abbasi eine Ausbildung als Krankenschwester beginnen und ihre Mutter und die Geschwister nach Deutschland holen. »Ich weiß aber nicht, wie ich das machen kann«, sagt sie verzweifelt. Ihre Mutter sowie ihre vier Schwestern seien während der gemeinsamen Flucht an der iranischen Grenze von der Polizei festgenommen worden, erzählt die Afghanin.
Nur sie, ihr Vater und ihre zwei weiteren kleinen Geschwister hätten die Weiterreise geschafft. Deshalb sei es momentan sehr schwer für sie, erklärt die 19-jährige. Sie müsse jetzt praktisch die Mutterrolle für ihre beiden kleinen Geschwister übernehmen, putzen und kochen – und nebenher die Berufsschule besuchen und ihre Praktika absolvieren. Das alles in einem fremden Land und ohne die Sprache vollständig zu verstehen. Auch deswegen wünscht sich Zara Abbasi einen Paten, mit dem sie sich unterhalten kann und der ihr dabei hilft, sich im fremden Land zurechtzufinden und zu integrieren.
Dass es in Kehl an Familienpaten mangelt, weiß auch Raya Gustafson. Nur die wenigsten Flüchtlinge hätten das Glück, einen deutschen Begleiter an ihrer Seite zu wissen. Auch von der Stadt werden daher weitere ehrenamtliche Helfer dringend gesucht.