Gedenken an französische Widerstandskämpfer in Kehl
Das Massaker an Angehörigen der französischen Widerstandsbewegung "Réseau Alliance" ("Netzwerk Allianz") am Kehler Rheinufer durch die Gestapo jährt sich heute, Samstag, zum 80. Mal. Zum Gedenken wird um 15 Uhr an der Grenzrose am Rhein in der Nähe der Brücke der zwei Ufer eine Feier abgehalten.
Zum 75. Jahrestag trug die ehemalige Leiterin des Stadtarchivs Kehl, Ute Scherb, die in diesem Jahr verstorben ist, die Geschichte der Opfer zusammen. Als alliierte Truppen am 23. November 1944 Straßburg von den Nazis befreiten, geschah auf der Kehler Rheinseite ein furchtbares Verbrechen: Drei Beamte der Straßburger Gestapo-Leitstelle suchten das Kehler Gefängnis auf und forderten die Herausgabe von neun Inhaftierten. Unter vorgehaltener Waffe zwangen sie die französischen Widerstandskämpfer zum nahe gelegenen Rheinufer, wo sie sich vollständig entkleiden mussten. Anschließend wurden sie per Genickschuss getötet und in den Rhein geworfen.
Wichtige Übermittler
Die neun ermordeten Fran-
zosen gehörten der Widerstandsgruppe "Réseau Alliance" an, einem Nachrichtennetzwerk, das sich bereits wenige Monate nach der deutschen Besetzung in Frankreich etabliert hatte. Gründer war der ehemalige Offizier und Verleger Georges Loustaunau-Lacau. Nachdem er im Mai 1941 von der Gestapo verhaftet worden war, übernahm Marie-Madeleine Méric (Fourcade) die Führung. Die Mitglieder lieferten dem britischen Geheimdienst kriegsrelevante Informationen. Daneben leisteten sie Fluchthilfe und unterstützten politisch Verfolgte. Das Netzwerk unterhielt sogar Beziehungen zu den Offizieren von Stauffenberg und kannte deren Attentatspläne.
Die wichtigsten Agenten trugen zur Tarnung Tiernamen: Léon Faye, der militärische Kopf des Netzwerkes, erhielt den Decknamen "Aigle" (Adler), dessen Nachfolger Paul Bernard "Martinet" (Mauersegler), André Coindeau "Urus" (Auerochse) und der ebenfalls in Kehl ermordete Hugues Monclin "Pingouin". Sich selbst nannte sie "Hérisson" (Igel). Die deutsche Abwehr gab daher dem Netzwerk, nach dem sie fieberhaft fahndete, den Namen "Arche Noah".
300 Mitglieder
Im Jahr 1943 gehörten dem Netzwerk 3000 Mitglieder an. Etwa ein Viertel davon waren Frauen. 436 Mitglieder mussten diesen Einsatz mit ihrem Leben bezahlen. Im Juni 1942 kam es zu ersten Festnahmen. Die neun, später in Kehl Inhaftierten wurden zwischen Dezember 1943 und März 1944 aufgespürt. Die meisten Réseau-Alliance-Mitglieder überstellte die Gestapo als sogenannte NN-Häftlinge in das Sicherungslager Schirmeck. Sie saßen hier in Isolationshaft. Als "Nacht und Nebel"-Häftlinge durften sie in der sonst so gründlichen deutschen Aktenführung keine Spuren hinterlassen. Nach der Landung der Alliierten deportierte die Gestapo in der Nacht vom 1. auf den 2. September 106 NN-Gefangene von Schirmeck ins KZ Natzweiler-Struthof, wo sie sofort erschossen wurden.
Wohl wegen Überfüllung des Lagers hatte die Gestapo 114 Männer und 14 Frauen des Réseau Alliance auf badische Gefängnisse verteilt. Die genannten Neun fristeten die letzten Monate ihres Lebens hinter Kehler Gefängnismauern. Nachdem am 1. April 1944 in Karlsruhe und am 21. August 1944 in Ludwigsburg zahlreiche Mitglieder erschossen worden waren, begann am 23. November in Kehl jene Mordserie, welche später als "Schwarzwälder Blutwoche" in die französische Geschichte eingehen sollte.
Weiße Holzkreuze
Erst 51 Jahre nach der Tat, am 23. November 1995, gedachte man in Kehl der Opfer. Die Kehler „Ärzte-Initiative“ stellte neun weiße Holzkreuze auf. Jedes trug ein Schild, auf dem das Wort „Alliance“ niedergeschrieben war. Nur wenige Tage später wurden die Erinnerungsmale teils gestohlen, teils zertreten. Ein Jahr darauf ließ die Ärzte-Initiative am Sockel der Europabrücke dann eine dauerhafte Gedenktafel anbringen.
2012 beschloss der Gemeinderat, ein noch deutlicheres Zeichen zu setzen. In Kehl wurden neun 40 Zentimeter große "Grenzrosen" aufgestellt, die auf das Versöhnungsprojekt des Essener Künstlers Thomas Rother zurückgehen.
Opfer des Massakers am Rheinufer
André Coindeau: Leiter des Kommandopostens des Réseau Alliance für die Sektion Bretagne; Marineüberwachung in Rochefort-sur-Mer
Louis Helault
Oscar Hosch: Oberwachtmeister des Flugwesens; Übermittler von Nachrichten des Funküberwachungsdienstes G.C.R.; Zivilingenieur des PTT; Lieutnant des Réseau Alliance
Joffre Lemeunier
Maurice Mandin
Hugues Monclin: Bote und Funker
Louis Proton: Kapitän in der aktiven Armee; Ingenieur in der Lyoner Zentrale; Mitglied der Résistance; sammelte alle Auskünfte aller West-Sektoren; wurde fälschlich verdächtigt, Mitglied des Réseau Alliance zu sein
Joseph Singer: Offizier aktive Luftwaffe; Funker beim G.C.R.; Zivilingenieur des PTT; Geheimdienst-Offizier im Rang eines Lieutnants im Réseau Alliance
Armand Troudet