Gemeinschaftsschule entlässt erste vollwertige Realschüler
Im Herbst 2014 ging die Willstätter Gemeinschaftsschule an den Start. Nun verlässt der erste Jahrgang die Moscherosch-Schule mit einem vollwertigen Realschulabschluss.
Gelobt, gepusht, kritisch beäugt oder verlacht – es gab viele Stimmen, als im Land die Gemeinschaftsschule eingeführt wurde. Die Willstätter Haupt- und Werkrealschule war eine der ersten in der Region, die auf den neuen Schultypus umstellte. 43 Grundschüler aus Willstätt und Kehl traten im Schuljahr 2014/15 an, um auszuprobieren, wie das gemeinsame Lernen auf unterschiedlichen Niveaus funktioniert. Lehrerin Birgit Bläsi hat die Lerngruppe von Anfang an begleitet. „Kinder sind immer verschieden“, sagt sie. „Aber das Spektrum war schon breiter als in einer ‚normalen‘ Werkrealschulklasse.“
Prinzip heißt: „Schule für alle“
Das Prinzip heißt: „Schule für alle“. Es gibt natürlich gemeinsamen Unterricht, aber auch Still-, Gruppen- und Partnerarbeitszeit, in denen die Schüler je nach Leistungsstand und -fähigkeit Aufgaben bearbeiten. Der Lehrer hat dann die Möglichkeit, Einzelne gezielt zu fördern oder Schüler mit unterschiedlichem Wissensstand in Gruppen zu vermischen: „Ich habe den Eindruck, dass alle davon profitiert haben“, so Birgit Bläsi.
Verschiedene Zu- und Abgänge
16 Schüler aus diesem ersten Jahrgang haben nun den Realschulabschluss abgelegt, 36 hatten sich im letzten Jahr für den Hauptschulabschluss entschieden. Die Differenz kommt durch verschiedene Zu- und Abgänge von anderen Schularten: „In der 8. Klasse waren es zeitweise über 60 Schüler“, sagt Schulleiter Bertram Walter.
Für Carina Mühlbauer aus Neumühl war die Schulwahl „Familiensache“ – schon ihre Geschwister gingen nach Willstätt, als die Moscherosch-Schule noch eine Werkrealschule war. Sie konnte klar von dem Niveau-System profitieren: „Mit Deutsch und den Sprachen hatte ich meine Probleme, aber in Mathe war ich super“, erzählt sie. Dort konnte sie zeigen, was sie kann, in den anderen Fächern hat sie sich emporgearbeitet.
„Ich war kein Lernkind“
Vera Lutz aus Hesselhurst kam trotz Gymnasialempfehlung auf die GMS: „Ich war kein Lernkind“, sagt sie. Sie hat die ganze Schulzeit über das höchste Niveau gehalten – und wird jetzt auf dem sozialwissenschaftlichen Gymnasium in Achern das Abitur anstreben. Dion Katriu dagegen wechselte in der 7. Klasse vom Einstein-Gymnasium auf die GMS: „Es war mir zu stressig, außerdem musste ich immer so früh aufstehen“, sagt der Willstätter. Daran wird er sich nun wieder gewöhnen müssen: Er macht nach den Sommerferien auf dem Wirtschaftsgymnasium weiter, das bei den Beruflichen Schulen Kehl angesiedelt ist.
Vier machen eine Lehre
Fabian Fehl dagegen wird im Herbst eine Ausbildung zum Elektroniker beginnen. Insgesamt machen vier Schüler eine Lehre, zwei ein FSJ; der Rest wird weiter die Schulbank drücken: „Der Trend geht zu einer weiteren schulischen Ausbildung“, sagt Bertram Walter. Ein Grund sei, dass bei vielen Ausbildungsgängen im ersten Jahr das Berufskolleg steht – so wie bei Carina: Sie will Erzieherin werden.
Ruhige Prüfungsvorbereitung wegen Corona
Die Corona-Zeit haben die Schüler für die Vorbereitung eher als positiv empfunden, da sie das eigenverantwortliche Arbeiten gewohnt waren. „Ich konnte viel ruhiger lernen“, sagt Dion. Bearbeitete Aufgaben und Fragen konnten die Schüler ihrer Lehrerin jederzeit schicken – die Antwort kam postwendend. „So individuell hätte ich sie im normalen Unterricht nie vorbereiten können“, sagt Birgit Bläsi.
Feierlicher Abschluss
Nächste Woche stehen noch die mündlichen Prüfungen an; am Freitag, 24. Juli, findet die Abschlussfeier in der Hanauerland-Halle statt – im engeren Familienkreis. „Auch wenn es Beschränkungen gibt, wird die Feier einen festlichen Rahmen haben“, verspricht Bertram Walter.
Neue „Fünfer“ starten zweizügig
Im Herbst werden die neuen „Fünfer“ wieder zweizügig starten, nachdem es einige Jahre für drei Lerngruppen gereicht hatte. Grund ist die Korker Gemeinschaftsschule im Oberlin-Schulverbund, die seit letztem Jahr zwei Klassen bilden darf und so die Kehler Schüler „abschöpft“. Für Bertram Walter kein Problem – im Gegenteil: „Unsere Schulerweiterung ist auf eine Zweizügigkeit ausgelegt“, sagt er. „Mit drei Klassen in jeder Stufe bekämen wir ein Raumproblem.“ Für ihn ist die Gemeinschaftsschule mittlerweile nicht mehr aus der Schullandschaft wegzudenken.
Gemeinschaftsschule
In einer Gemeinschaftsschule werden die Schüler gemeinsam in Lerngruppen unterrichtet. Je nach Leistungs- und Wissensstand werden sie in verschiedene Lern-Niveaus eingestuft – das Grundniveau führt zum Hauptschulabschluss, das Mittlere Niveau befähigt zur Mittleren Reife und an das erweiterte Niveau kann die gymnasiale Oberstufe anknüpfen. Dabei kann der Schüler in verschiedenen Fächern auf unterschiedlichen Niveaus lernen oder sogar innerhalb eines Fachs, wenn er zum Beispiel Algebra gut versteht, mit der Geometrie aber seine Probleme hat. Erreicht ein Schüler am Ende der 8. Klasse überall das M-Niveau, bekommt er die Bildungsempfehlung für den Realschulabschluss – die aber wie die Grundschulempfehlung nicht verbindlich ist.
Sitzenbleiben gibt es in der GMS nicht, ebensowenig Noten. Die Beurteilung erfolgt mittels eines ausführlichen Lernstandsberichts in jedem Fach. Erst im Abschlussjahr gibt es eine offizielle Benotung. Wenn die Eltern es wünschen, kann aber auch schon in den unteren Klassen eine Note errechnet werden.