Tötungsanstalt

Kehler Gymnasiasten besuchen Grafeneck

Redaktion
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22. Mai 2018

Heute ist Grafeneck ein idyllischer Ort. 1940 war das jedoch anders: Tausende von Menschen wurden eingefahren und in der damaligen Tötungsanstalt vergast. ©Schule

An die vielen Morde in Grafeneck bei Gomadingen im Jahr 1940 erinnern heute eine Gedenkstätte und ein Dokumentations-Zentrum. Die Zeitzeugen-AG des Einstein-Gymnasiums in Kehl hat den Ort neulich besucht.

Wer den Hintergrund des Orts nicht kennt, könnte angetan sein von seiner ländlichen Idylle: Zwischen Blumenwiesen, Wäldern und kleinen Flüssen liegt das Schloss Grafeneck, bei Gomadingen auf der Schwäbischen Alb im Landkreis Reutlingen. Rechts und links von einer alten Allee stehen hier heute eine Reihe von Gebäuden, die für beeinträchtigte und psychisch erkrankte Menschen Lebensraum sind. 
Die Samariterstiftung, die das Grafeneck Stift noch heute trägt, hat den Komplex 1928 erworben und in dem Schloss bis zu 110 beeinträchtigte Männer betreut. Die Existenz des Heims in Grafeneck endete allerdings schlagartig im Oktober 1939, als das württembergische Innenministerium das Schloss beschlagnahmte und den Ort räumen ließ. 
In den folgenden Monaten firmierte er unter dem Namen »Landes-Pflegeanstalt Grafeneck«. Ein Standesamt wurde eingerichtet und eine Reihe von Um- und Neubauten in Sichtweite des Schlosses wurden vorgenommen. So baute man ein ehemaliges Back- und Waschhaus um, richtete es »zum Schein« mit Brauseköpfen, hölzernen Bänken und einem Sichtfenster zum verputzten Nebenraum ein. Schließlich fasste der Raum auf 48 Quadratmetern 75 Menschen – genau wie drei Busse, die ebenfalls angeschafft und grau angestrichen wurden.

Am 18. Januar 1940 begann das Morden in der Gaskammer in Grafeneck. Bis Dezember 1940 wurden aus Einrichtungen für Menschen mit Beeinträchtigung und psychischer Erkrankung mindestens 10 654 Bewohner mit den grauen Bussen hergebracht. Auf der Anhöhe angekommen, wurden die Menschen – überwiegend aus den Landkreisen Baden und Württemberg – direkt nach ihrer Ankunft vergast. Eine Unterbringung oder Pflege vor Ort war nicht vorgesehen. Es existierten ohnehin keine Gebäude hierfür: Grafeneck war im Rahmen des »Euthanasie«-Programms als reine Tötungsanstalt konzipiert. 

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Die Zeitzeugen-AG des Kehler Einstein-Gymnasiums besichtigte den Ort Ende April. Gedenkstättenbegleiter Dieter Reichhold, der die Gruppe durch das Dokumentations-Zentrum und über das Gelände führte, lenkte zu Beginn seines Vortrags den Blick auf den gesellschaftlichen Wandel und die Ursprünge des Verbrechens: »Das Gedankengut der ›Vernichtung unwerten Lebens‹ war bereits vor den Nationalsozialisten vorhanden.« 
Bei der Ermordung von mehr als 70 000 Menschen in sechs Tötungsanstalten – wovon Grafeneck die erste war und gleichsam den Prototyp lieferte – wirkten viele Personen und Stellen mit. So stellten zum Beispiel Mitarbeiter im eingerichteten Standesamt Sterbeurkunden aus und schrieben »Trostbriefe« für Hinterbliebene, in denen sie falsche Todesursachen und Sterbedaten der Opfer vermerkten. 

Ute Scherb, Leiterin von Archiv und Museum der Stadt Kehl, begleitete die Einstein-Schüler nach Grafeneck und  konnte in diesem Zusammenhang den Schülern verschiedene Schicksale von ermordeten Kehlern näherbringen.
Eine Gedenkstätte und ein Dokumentations-Zentrum einzurichten war ein langer Weg: Noch in den 60er Jahren wurde die ehemalige Gaskammer abgerissen, zwischen den heutigen Gebäuden erinnert hier lediglich eine verwitterte Tafel am Boden an die Lage. Eher abgeschottet leben wieder beeinträchtigte und psychisch kranke Menschen auf dem Gelände. Einer von ihnen schloss sich der Führung an. Dort läuft durch die Mauer hinter einem Altar aus blauem Granit ein tiefer symbolischer Riss. Das Dach darüber bildet ein Fünfeck – ein Hinweis auf das fünfte Gebot: »Du sollst nicht töten.«
 

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