Kriegs »Visuelle Symphonie«

(Bild 1/2) Nur noch bis zum kommenden Freitag ist »Metropolis« in der Kirche St. Johannes Nepomuk in Kehl zu sehen. ©Ellen Matzat
Noch bis Freitag ist die sehr außergewöhnliche visuelle Symphonie »Metropolis« von Tilmann Krieg in der Kirche St. Johannes Nepomuk zu sehen. Sie endet am 28. November mit einer Finissage.
»Visuelle Symphonie« hat der international renommierte Fotograf und Künstler Tilmann Krieg seine Foto-, Video- und Soundinstallation genannt. Dabei handelt es sich nicht nur um eine kirchenraumfüllende Bildprojektion aus fünf Beamern, sondern um ein komplexes, symphonisches Werk in zwölf Sätzen. Mehr als 1200 Besucher haben die allabendlichen Aufführungen in St. Johannes Nepomuk bisher bewundert. Noch bis nächsten Freitag laufen die Vorstellungen jeden Abend ab 19 Uhr (außer heute) und enden am 28. November mit einem Abschlusskonzert (mit dem Organisten Thomas Strauß aus Oppenau und dem Percussionisten Daniel Schay aus Offenburg).
»Ein guter Erfolg, mehr als ich gedacht habe«, freut sich Tilmann Krieg. Besucher kommen von weit her, etliche Kulturmanager und Kuratoren waren hier, es gab einen Rundfunkbeitrag in SWR-Kulturradio sowie einen Fernsehbeitrag in der »Landesschau Baden-Württemberg«.
»Ich hatte die Vision, einen so großen Raum, wie die St.-Johannes-Nepomuk-Kirche-mit meinen Bildern zu füllen«, erklärt Krieg den Start des Projekts. »Zuerst hatte ich eine Aufführung unseres Projekts ›Klangbilder‹ vorgeschlagen, ein Abend mit den Musikern Thomas Strauß, Daniel Schay und Peter Erdrich.« Pfarrer Thomas Braunstein wünschte sich hingegen eine eigenständige Arbeit des Künstlers Tilmann Krieg – »etwas, das die Kirche füllt«.
So entstand die Idee einer »Visuellen Symphonie«, die den Künstler besonders in den vergangenen vier Monaten intensiv beschäftigte. »Das Projekt wurde immer komplexer. Wenn man so etwas anfängt, tun sich immer mehr Türen auf, was man noch alles in das Projekt integrieren wollte«, so Krieg.
Allein bei der Bildauswahl aus über 400 000 Fotos aus aller Welt musste er sehr diszipliniert vorgehen. In der Projektion laufen in 57 Minuten auf fünf Projektoren rund 7000 Bilder durch den Kirchenraum. Manche verweilen, manche sind kaum wahrnehmbar. Bilder und Architektur gehen eine Verbindung miteinander ein und lösen sie wieder auf. Flüchtiges setzt das Festgefügte in Bewegung, während es andererseits von der Räumlichkeit in einem gewissen Rahmen gehalten wird.
»War das inhaltliche Konzept die eine Herausforderung, so war die technische Umsetzung die weit schwierigere«, sagt Krieg. Zu sechs Kapiteln hat er die Sounds selbst gemacht, die anderen teilweise mit klassischen Musikstücken oder moderner Experimentalmusik von Michael Vierling unterlegt.
Die zwölf Kapitel unterscheiden sich stilistisch und inhaltlich. Dabei spannt der Künstler einen Bogen vom Anbeginn der Welt bis in eine Zeit nach unserer Existenz. Dazwischen entfaltet sich das bunte, faszinierende oder manchmal auch erschreckende Kaleidoskop unseres modernen, menschlichen Lebens. »In dem Stück hat alles eine Bedeutung«, betonte Krieg »es ist gefüllt mit Bezügen auf unsere weltanschauliche, religiöse und philosophische Kultur«.
Metropolis
Dunkel beginnt im ersten Satz das »Chaos«, bevor »Desert« einen unwirtlichen Empfang bereitet. Die Erde ist wüst und leer. Dann klingt Musik von Mendelsohn – farbige Bilder fliegen vorüber, Urwald, Blumen, Vögel. »Creation« – Schöpfung – heißt das Kapitel, erinnert an das Paradies, bis am Ende der Hahn dreimal kräht.
»Work« spricht eine ganz andere Sprache: Die Soundcollage vermittelt Industriehallenatmosphäre, Maschinen stampfen, Stahl kocht – durch Verfremdung entstehen faszinierende grafische Effekte. »Meine Arbeit bezieht sich bewusst auf den gleichnamigen Film von Fritz Lang aus dem Jahr 1921.Wie sich damals die Menschen den Herausforderungen der Industrialisierung stellen mussten, ist heute das große gesellschaftliche Thema die Globalisierung mit ihren Chancen, aber auch Gefahren.« Auch zu Goethes Faust stellte Krieg einen Bezug her, »dem Drang des Menschen seine Welt zu gestalten aber auch sie auszubeuten«.
Nacheinander entwickeln sich die einzelnen Sätze der »Visuellen Symphonie« und bestechen durch präzise Abgrenzung, sowohl inhaltlich, als auch in ihrer Stilistik: »Pride« handelt von Vergnügen und Stolz, »Metropolis« zeigt Weltstädte mit ihren Hochhauslabyrinthen, unterlegt von geheimnisvollen Klängen. Im Kapitel »War« zerstört sich der Mensch selbst – zu den wunderschönen Klängen des Agnus Dei von Jacques Loussier. Die Musik endet wie ein Schrei zu Gott: »Dona nobis pacem! – Gib uns endlich Frieden«. Es folgt Stille, bevor ein kleiner Totentanz das Kapitel »Spirituality« einläutet.
Dann regt sich wieder Leben: in den Katakomben der Metrostationen. Menschen hasten durch die Gänge, Züge kommen an, fahren ab – für Krieg die Reise des Lebens – platonisches Höhlengleichnis in moderner Interpretation.
»Reflections« meint den geistigen Überbau des Menschen, Kultur Kunst, Philosophie. Symmetrische Bilder, fast wie Mandalas schweben über der Kirchendecke. In der klanglichen Kommentierung – wieder von Michael Vierling – hört man, wie Glas zerschlagen wird, erst vorsichtig, dann immer heftiger. Die Bilder beginnen zu zittern, der Zuschauer merkt, wie fragil unsere Existenz und unsere Kultur sind. Dann beginnt die Musik aus »La Mer« von Debussy. Gesichter scheinen auf, fliegen vorbei, immer schneller. »Das Leben des Menschen ist wie eine Blume in der Wüste – wenn der Wind darüber hinweggeht, findet man ihre Stätte nicht mehr.« Wolken ziehen auf, Regen fällt, Wasser stürzt von Wänden und Decke, der Ozean ergießt sich in den Raum. Der Kreis schließt sich. Ein kosmischer Stern strahlt im Dunkel – etwas Neues beginnt.