Mehr Suchtberatung in Kehl als im Vorjahr
Persönliche Beratungen mussten abgesetzt und Behandlungen verschoben werden. Die Nachfrage war unverändert groß.
Die Suchtberatung Lahr, deren Träger der AGJ-Fachverband für Prävention und Rehabilitation in der Erzdiözese Freiburg ist, betreibt auch eine Nebenstelle in Kehl. Aus dem jetzt vorgelegten Jahresbericht 2020 geht hervor, dass im Corona-Jahr bei der Hauptstelle in Lahr die Klientenkontakte zurückgegangen sind, in Kehl dagegen nicht – im Gegenteil: Sowohl die Beratungsgespräche als auch die begonnenen Behandlungen haben im Vergleich zu 2019 leicht zugenommen. Insgesamt haben sich die Kontakte von 246 auf 254 erhöht.
„Während des ersten Lockdowns im Frühjahr war es auch bei uns ruhiger“, berichtet Diplom-Sozialarbeiter Michael Frei. „Wir haben mit den Leuten telefoniert, aber das ist natürlich nicht dasselbe, wenn man sich gegenübersitzt.“ Im Sommer konnten unter strengen Hygienebedingungen wieder persönliche Beratungen stattfinden, zum Teil hat Frei auch Klientengespräche bei einem Spaziergang geführt. Während des zweiten Lockdowns hat er bei vielen Hilfesuchenden eine Veränderung der Grundstimmung hin zum Depressiven gespürt – und die Nachfrage nach Beratung zog an.
Internet-Spielsucht
Auch die Therapiegruppe wurde im Frühjahrs-Lockdown ausgesetzt, konnte aber ab Sommer unter den Sicherheitsauflagen weitergeführt werden, was rege genutzt wurde. „Der Bedarf scheint unter den schwierigen Corona-Bedingungen eher zuzunehmen“, sagt Michael Frei.
Die Nachfrage im Bereich Glücksspiel war 2020 etwas geringer als im letzten Jahr. „Ich habe Spieler, die sagen, es ist super, wenn alles geschlossen ist“, sagt Frei. „Allerdings habe ich den Eindruck, dass viele auch aufs Internet umsteigen.“ Und das sei weitaus gefährlicher, da immer und überall gespielt werden kann – und die Einsätze in Internetcasinos „jenseits von Gut und Böse“ seien. Etwa zehn Prozent der Kehler Klienten sind spielsüchtig. „Vor zehn Jahren waren es fünf oder sechs im Jahr, nun sind es zwischen 20 und 40“, so Frei. Seine Klienten haben im Schnitt einen Schuldenberg von 30 000 bis 40 000 Euro angehäuft.
„Für einen Spieler ist Geld das, was für einen Trinker der Flachmann ist“, sagt er – weshalb der Spielsüchtige das Finanzmanagement an einen Familienangehörigen abgeben und nur noch ein Taschengeld bekommen sollte. Wer das nicht schafft, hat die Möglichkeit, sich in stationäre Behandlung zu begeben.
Längere Wartelisten
Doch in diesen Corona-Zeiten wurden auch die Behandlungs- und Rehaplätze rar. „Beim ersten Lockdown habe ich große Mühe gehabt, jemanden in die Entgiftung zu bringen“, sagt er. Kliniken hatten auf Einzelzimmerbelegung umgestellt, eine Fachklinik am Kaiserstuhl wurde zur Corona-Klinik umfunktioniert. Inzwischen habe sich das mit Abstands- und Hygieneregeln und vielen Tests eingespielt, aber die Wartelisten seien länger geworden. Manche Klienten, vor allem ältere, hätten sich aber auch geweigert, eine Rehabilitation anzutreten – aus Angst, sich mit dem Coronavirus anzustecken.
Was komplett ausfallen musste, waren alle Veranstaltungen zur Prävention. Gerade in Kehl besteht mit der Kommunalen Kriminalprävention ein engmaschiges Netzwerk mit vielen Beteiligten. „Da konnte gar nichts stattfinden“, so Frei. „Aber die Probleme sind ja trotzdem da.“ Er fürchtet, dass die Auswirkungen der Pandemie erst in ein bis zwei Jahren in der Suchtberatung voll durchschlagen werden.