Opulenter Bildband über das Straßburger Münster
Der Historische Verein Kehl hat einen Bildband über die Baumeister des Straßburger Münsters unterstützt, an dem die Kehlerin Sabine Bengel (Straßburger Münsterbauhütte) mitgewirkt hat.
2014 ist im Straßburger Verlag La Nuée Bleue unter dem Titel „Bâtisseurs des cathédrales“ ein umfangreicher Bildband über das Straßburger Münster erschienen, von dem 2019 unter dem Titel „Erbauer einer Kathedrale. 1000 Jahre Straßburger Münster“ eine deutsche Übersetzung, ebenfalls in dem genannten Verlag, herausgebracht worden ist. Ein umfangreiches, großformatiges, üppig mit prächtigen Farbaufnahmen ausgestattetes Werk ist entstanden. Sehr viele der herrlichen Abbildungen nehmen eine volle Buchseite ein.
Die fünf Autoren, von denen insbesondere Sabine Bengel, die Leiterin des Archivs des Frauenwerks (Fondation de l’Œuvre Notre-Dame), der die Unterhaltung des Münsters sichernden Stiftung, die Kunsthistorikerin Marie-José Nohlen und der Architekt Stéphane Potier hervorzuheben sind, sind ausgewiesene Fachleute und haben einen alle Forschungsergebnisse zum Münster berücksichtigenden Text vorgelegt.
Von Potier stammen die eindrucksvollen computergenerierten Bilder, die die einzelnen Bauphasen darstellen. Diese Simulationen stellen dem Leser sogar zeitweilige Bauplanungen, die gar nicht durchgeführt worden sind, perspektivisch-dreidimensional vor Augen. Ein besonderer Schatz des Frauenwerks sind 210 Schwarzweißaufnahmen vom Münster, deren Herstellung 1897 die Preußische Meßbildanstalt veranlasst hat und von denen mehrere in dem Buch abgebildet werden.
Die Gliederung
Das Buch gliedert sich in fünf Hauptteile: 1. 1015–2019 (Chronik der Baustelle), 2. Das Werk Unser Lieben Frau im Mittelalter, 3. Die Bauleute des Mittelalters, 4. Material und Technik, 5. Das Werk Unser Lieben Frau im 21. Jahrhundert. Die wohl gewichtigsten Teile sind die Teile 1 und 4.
Teil 1 zeichnet die Geschichte des Münsters über 1000 Jahre nach. Er beginnt mit dem Bau des Bischofs Werner, zu dem 1015 der Grund gelegt wurde und auf dessen Fundamenten alle späteren Neubaumaßnahmen entstanden, stellt die spätromanischen Umbauten im Bereich der zwei Querhäuser und der Vierung dar, dann den Bau des zwischen 1235 und 1270 erbauten hochgotischen Langhauses. Es schließt sich die Darstellung des Baus der Westfassade an.
Das Glockenhaus errichtete nach 1371, nach Gerlachs Tod, Michael von Freiburg, ein Angehöriger der Familie Parler, Ulrich von Ensingen ab 1392 das Octogon des Nordturms, Johannes Hültz von 1419 bis 1439 den genial erdachten kunstvollen Helm. Ein Simulationsbild zeigt völlig „lebensecht“ den Helm, wie er aussähe, wenn er nach Ulrichs Plänen errichtet worden wäre. Er ähnelte dann dem durchbrochenen Helm des Freiburger Münsters. Ein geplanter zweiter Turm ist niemals gebaut worden.
Frauenwerk verwaltet
Teil 2 zeichnet die Geschichte des noch heute von der Stadt Straßburg verwalteten Frauenwerks nach, der das Münster als Bauwerk tragenden Stiftung, in der schon im 13. Jahrhundert die Stadt Straßburg gegenüber den Geistlichen die Oberhand gewonnen hatte, wohingegen in den meisten anderen Dom- und Stiftskirchen die „Kirchenfabrik“ ein Amt des Kapitels blieb.
Die 1795 in der Französischen Revolution vorgenommene Verstaatlichung der Stiftung wurde 1803 rückgängig gemacht, nicht jedoch die 1789 verfügte Verstaatlichung des Münsters. Es ist bis heute Eigentum des französischen Staates, der deshalb Bauherr aller am Münster vorzunehmenden Arbeiten ist, sie aber durch das von der Stadt verwaltete Frauenwerk durchführen lässt.
Dieses Kapitel schildert aufgrund archivalischer Quellen, wie im Spätmittelalter der Bau des Münsters finanziert wurde.
Baubetrieb am Münster
Teil 3 beschreibt, sich auf Quellen stützend, den Baubetrieb am Münster.
Der Leser erfährt viel über die Tätigkeiten des Werkmeisters, des Parliers, des Steinbruchmeisters, der Steinmetzen, über ihre Namen und ihre Entlohnung, auch über die Maurer, Dachdecker, Zimmerleute, Glasmacher und Glockengießer.
In Teil 4 wird dargestellt, wie die Baupläne entstanden, wo im Elsass und wie der Sandstein abgebaut, wie er transportiert und wie und mit was für Werkzeugen er bearbeitet wurde. 70 verschiedene Steinmetzzeichen lassen sich im Münster nachweisen.
Erklärt wird, wie man Ziegelsteine und Holz beschaffte, wie man Hebewerkzeuge und Seile einsetzte, wie man Gerüste errichtete, wozu man Eisen und Stahl benötigte und wie man diese Metalle erwarb, wie die herrlichen Glasfenster entstanden.
Teil 5 beschreibt die derzeitige Arbeit des Staates und des Frauenwerks am Münster. Das Frauenwerk erzielt aus seinen Liegenschaften jährlich 700 000 bis 800 000 Euro, fast genausoviel aus dem Eintritt für den Besuch der Münsterplattform, nämlich 600 000 Euro (2013).
Die Stadt Straßburg überweist dem Frauenwerk jährlich etwa 1,2 Millionen Euro. Insbesondere werden die Grundsätze dargelegt, gemäß denen die ständigen Restaurierungsarbeiten heute erfolgen.
Südturm nie erbaut
Ein Schlusswort widmet sich – vor allem vor dem Hintergrund der Tatsache, dass ein Südturm niemals gebaut wurde – der Frage, ob und ab wann die Straßburger ihr Münster als „vollendet“ angesehen haben.
Die Frage, ob jemals an die Ersetzung des noch romanischen Chors durch einen gotischen gedacht gewesen sei, wird leider nicht aufgeworfen. In Metz wurde in den Jahren 1487 bis 1520, 100 Jahre nach der Vollendung des Domlanghauses, das Querschiff und der Chor, beides aus ottonischer Zeit stammend, durch einen in gotischen Formen gehaltenen Neubau ersetzt. Und in Freiburg wuchs nach dem Abschluss des Langhausbaus ab 1354 ein neuer, gotischer Chor in die Höhe, der einen um 1200 entstandenen Chor ersetzte. Ähnlich verhielt es sich bei der Nürnberger Lorenzkirche. In Straßburg behielt man den ottonischen Chor bis heute bei.
Eine Bibliographie schließt das wertvolle Buch ab. Die Übersetzung der Texte ins Deutsche ist gelungen. Man kann das Buch allen an Baugeschichte und allen Freunden Straßburgs und des Elsass empfehlen.