Pestizide bedrohen Insekten

Der Umwelttoxikologe Uwe Strähle referierte über die Gründe des Insektensterbens. ©Nina Saam
2017 schreckte die „Krefeld-Studie“ nicht nur die Fachwelt auf: Im Zeitraum von 27 Jahren ist die Biomasse der fliegenden Insekten in Naturschutzgebieten um 76 Prozent zurückgegangen. Weitere Studien bestätigen, dass weltweit quer durch die Insektenwelt ein massiver Rückgang des Bestands zu verzeichnen ist.
Insekten sind die artenreichste Gruppe der Tierwelt. Rund eine Million Arten sind weltweit bekannt, rund vier Millionen könnten es sein. Andere Schätzungen gehen von bis zu 6,8 Millionen Arten aus. Insekten gibt es auf der Erde, seit es Landpflanzen gibt, seit etwa 380 Millionen Jahren. Ob Fliege, Hummel, Käfer oder Schmetterling – die enorme Vielfalt ist atemberaubend. Insekten können Staaten bilden, betreiben Brutpflege, können miteinander kommunizieren. Es gibt Ameisen, die sich Blattläuse als „Melkkühe“ halten, Schmetterlinge, die über Generationen Tausende von Kilometern wandern, Wespen, die viel größere Insekten mit einem Stich lähmen und sie langsam parasitieren.
Rückgang der Vögel
70 Prozent unserer Nahrungspflanzen werden von Insekten bestäubt. Forscher haben errechnet, dass die globale Wertschöpfung durch Honig- und Mauerbienen und Hummeln bei 350 Milliarden Dollar liegt – im Jahr. Insekten sind auch ein essenzieller Teil der Nahrungskette: Mit dem Schwund der Sechsbeiner ist auch der Bestand an insektenfressenden Vögeln enorm zurückgegangen, von der Nachtigall bis zum Neuntöter.
Den Grund für den starken Rückgang sieht Uwe Strähle, Professor für Umwelttoxikologie an der Uni Heidelberg, vor allem in der industrialisierten Landwirtschaft und der massiven, weltweiten Anwendung von Pestiziden. „Die heutigen ‚Agrarsteppen‘ bedeuten einen riesigen Verlust an Lebensraum“, sagte er. Blühstreifen am Ackerrand und isolierte Biotope seien zwar nett, würden aber ohne Vernetzung oft zur „Todesfalle“ für die Kerbtiere, die auf die Monokulturen hinausflögen und dort keine Blühpflanzen und damit keine Nahrung mehr fänden.
Besonders aber seien es die ausgebrachten Pflanzenschutzmittel, die unseren sechsbeinigen Mitgeschöpfen im großen Stil den Garaus machen. Und zwar nicht nur den unerwünschten wie der Blattlaus oder dem Maiszünsler: „Die meisten Insektizide gehen auf Zielproteine in der Nervenleitung. Sie sind wenig spezifisch und rotten auch die Nützlinge aus“, so Strähle. Zwei Drittel der auf den Äckern ausgebrachten Giftstoffe seien Unkraut-Herbizide – wie beispielsweise Glyphosat: „Die Mais- oder Sojapflanzen werden dagegen resistent gemacht und alles andere wird eliminiert“, so Strähle. 2014 seien weltweit 825.000 Tonnen Glyphosat ausgebracht worden: „Jeder Hektar Ackerland der Erde hat ein halbes Kilo abgekriegt.“
Glyphosat blockiert die Synthese bestimmter Aminosäuren in Pilzen, Pflanzen und Bakterien – und schädigt die Darmflora, was sich bei Bienen mit einer erhöhten Krankheitsanfälligkeit äußert. Der Stoff, um den die Experten schon lange streiten, steht zudem in Verdacht, beim Menschen das Non-Hodgkin-Lymphom und Autismus zu fördern. Studien gibt es viele – seltsamerweise kommen sowohl die industriefinanzierten wie die der Behörden mehrheitlich zu dem Schluss, dass Glyphosat unbedenklich sei, während die der unabhängigen Organisationen zum gegenteiligen Ergebnis kommen. „Das ist die völlige Inkompetenz der Personen, die dafür zuständig sind“, so Strähle.
1995 seien in Deutschland 220 Pestizide zugelassen gewesen, von denen die Hälfte bis 2019 wieder die Zulassung verloren haben – und heute seien wieder 250 Mittel erlaubt: „Das Spiel geht weiter“, sagte er. Es gehe vor allem ums Geld, was sich auch daran zeige, dass viele der in der EU mittlerweile verbotenen Mittel im globalen Süden munter weiterverkauft würden.
„Wir zerstören massiv die Biodiversität und das ökologische Gleichgewicht und damit unsere eigene Lebensqualität“, so der Umwelttoxikologe. Es brauche dringend alternative Wege der Landwirtschaft - ein Thema, das er zu einem späteren Zeitpunkt in einem weiteren Vortrag im Salon Voltaire beleuchten wolle.