Pillenprozess mit Klägerin aus Willstätt auf 2016 vertagt
![Felicitas Rohrer (links) ist nach dem Prozess erleichtert und gibt verschiedenen Fernsehteams Interviews.](https://www.bo.de/sites/default/files/styles/688x384/public/field/image/file6nld8a0jf4nj4pwq4ob.jpg?itok=aCQ4Oca1)
Felicitas Rohrer (links) ist nach dem Prozess erleichtert und gibt verschiedenen Fernsehteams Interviews. ©Antonia Höft
Felicitas Rohrer reichte 2011 Klage gegen Bayer ein. Sie ist überzeugt, dass die »Yasminelle«-Pille des Konzerns ihre doppelte Lungenembolie ausgelöst hat. Gestern beim Auftakt des Zivilprozesses in Waldshut-Tiengen, forderte Bayer weitere Nachweise über die Krankengeschichte der Klägerin.
Mehrere Fernsehteams stehen vor dem Landgericht in Waldshut-Tiengen: ZDF, ARD, SWR, RTL und sogar das Schweizer Radio und Fernsehen (SRF) reißen sich darum, noch vor dem Prozess ein paar Worte mit Felicitas Rohrer zu wechseln. Die 31-Jährige erlitt am 11. Juni 2009 eine doppelte Lungenembolie und starb fast daran. Sie gibt dem Wirkstoff »Drospirenon«, den die »Yasminelle«-Pille von Bayer enthält, die Schuld an ihrem Schicksalsschlag. Auf dem Beipackzettel wurde das erhöhte Thromboserisiko nicht erwähnt. »Den habe ich gründlich studiert«, betont die gelernte Tierärztin, die durch den Vorfall nie in ihrem Beruf arbeiten wird. In der Beschreibung des Beipackszettels sei ein erhöhtes Risiko nur bei übergewichtigen und älteren Frauen aufgeführt. Beides traf nicht auf sie zu.
Felicitas Rohrer wollte sich auf keinen außergerichtlichen Vergleich einlassen.
Jeden Tag Medikamente
Rohrer muss ihre Geschichte vor Richter Johannes Daun erzählen. Sie spricht über ihre Beschwerden, ihre Nahtoderfahrung und ihre Narben, die für immer auf ihrer Brust und ihrem Bauch zu sehen sein werden.
Sechs Jahre nach der doppelten Lungenembolie hat Felicitas Rohrer immer noch mit Nachwirkungen zu kämpfen und muss jeden Tag Medikamente nehmen. Atemprobleme und Angstzustände seien nur einige Symptome. »Ich dachte, dass ich mit 29 Jahren Mutter werden könnte«, erzählt sie von ihrer Familienplanung. Dann stockt sie und bricht in Tränen aus. Durch die Lungenembolie müsse sie das Arzneimittel »Marcumar« einnehmen. Der Wirkstoff hemmt das Gerinnungssystem, wodurch sich die Zeit bis zur Gerinnung des Blutes verlängert. Dadurch sinkt die Gefahr der Bildung einer Thrombose. Durch die Einnahme des Wirkstoffs dürfe sie nicht schwanger werden – dies gefährde ihre Gesundheit. »Die Pille soll vom Markt genommen werden«, forderte Rohrer schon vor dem Prozess, da die Thrombose häufiger als erwartet auftrete. Die Klägerin sei überzeugt, dass die Nutzen-Risiko-Abwägung negativ ausfallen müsse.
Bayer weist die Forderungen von 200000 Euro zurück und sieht auch keinen Fehler in dem Arzneimittel, obwohl sogar in den USA mehrere tausend Frauen gegen den Pharmariesen klagten. Der Konzern schloss Anfang des Jahres 9000 Vergleiche in Höhe von insgesamt 1,9 Milliarden US-Dollar ab – die Verantwortung wollte Bayer nicht anerkennen. »Dass die Anti-Baby-Pillen immer ein Thromboserisiko birgt – ist bekannt«, so Bayer-Anwalt Henning Moelle. In den Augen der Klägerseite sei dies jedoch nicht Thema des Rechtsstreits, sondern vielmehr die fehlende Information zur erhöhten Thrombosegefahr.
Martin Jensch, Rohrers Rechtsanwalt, pochte penetrant darauf, noch weitere Auskünfte über das Arzneimittel »Yasminelle« einzuholen. Richter Daun vermerkte in Absprache mit Moelle und Jensch, dass der Pharmakonzern Bayer weitere Informationen und vorhandene Dokumente nachreichen müsse, wenn der Sachverständige dies verlangen sollte. »Ohne einen Sachverständigen kann kein Beweisbeschluss gefasst werden«, betont Richter Daun nicht nur einmal in der Verhandlung. Die Forderung von Bayer-Anwalt Moelle, weitere Nachweise über die Krankengeschichte der Klägerin einzuholen, wurde ebenfalls von Richter Daun als notwendig empfunden. Denn laut einem OP-Bericht hat Felicitas Rohrer eine geteilte Hohlvene. Diese Anomalie könne ebenso als Auslöser für den entstandenen Gesundheitsschaden in Betracht gezogen werden.
Erneut warten
Obwohl Richter Daun keine Auskunft zum nächsten Prozesstermin geben kann, wirkt Felicitas Rohrer nach vier Stunden Verhandlung erleichtert. Erneut tummeln sich Fernsehteams um sie. »Was bedeutet es für Sie, erneut zu warten?« Rohrer lächelt. »Ich habe nun mehr als vier Jahre auf den Prozess gewartet, da kommt es auf ein bis zwei Jahre nicht mehr an.« Auch ihr Anwalt ist optimistisch. »Wir haben unsere Forderung erfüllt bekommen.« Ein Gutachter muss bei den weiteren Verhandlungen hinzugezogen werden, um die Risiken des umstrittenen Wirkstoffs »Drospirenon« zu prüfen. »Wir sind nun endlich da, wo wir hinwollten.«