Rezension über Buch von Stefan Woltersdorff aus Kehl
In "Grenzüberschreibungen" von Stefan Woltersdorff wird die literarische und kulturelle Geschichte der beiden Städte Straßburg und Kehl am Rhein beleuchtet, die durch ihre geografische Lage sowohl Trennung als auch Verbindung symbolisieren. Der Autor beginnt mit der historischen Bedeutung der Rheingrenze, die älter ist als beide Städte und deren Entwicklung maßgeblich beeinflusst hat.
Das Buch gliedert sich in verschiedene Kapitel, die sich mit unterschiedlichen Epochen und literarischen Strömungen befassen. Woltersdorff thematisiert die Rolle bedeutender Schriftstellerinnen und Schriftsteller, die über Jahrhunderte hinweg den Dialog zwischen den beiden Städten und ihren Kulturen gefördert haben. Dabei werden nicht nur literarische Texte betrachtet, sondern auch die Beiträge von Publizisten, Druckern und Verlegern zur lokalen Büchergeschichte.
Fragen nach Identität
Die Reise durch die Literaturgeschichte beginnt in der gallo-römischen Zeit mit klassischen Autoren wie Caesar und Ovid, deren Werke bis heute das Bild des Rheins prägen. Im Mittelalter entwickelt sich der Raum Kehl-Straßburg zu einem literarischen Zentrum, in dem neben lateinischen Texten auch mittelhochdeutsche Stimmen Gehör finden. Die Renaissance bringt eine Verschiebung hin zu städtischen Themen und einer intensiven Auseinandersetzung mit Fragen nach Identität und Glauben.
Der Dreißigjährige Krieg hinterlässt eine literarische Leere auf der linken Rheinseite, während barocke Autoren neue Ausdrucksformen finden. Mit dem Aufkommen der Aufklärung wird ein politischer Graben zwischen Kehl und Straßburg sichtbar, der jedoch zunehmend durch Literatur überbrückt wird. Ab 1770 erlebt die deutsche Sprache in Straßburg ein Comeback, während Kehl als literarisches Zentrum blüht.
Im vorletzten Kapitel reflektiert Woltersdorff über den Untergang des "Freiheitshafens" in Kehl und das Ende des Freiheitsfestes in Straßburg unter der Jakobinerherrschaft. Die Reaktionen auf diese turbulente Zeit leiten teilweise zur Romantik über.
"Grenzüberschreibungen" ist ein eindringliches und nachdenklich stimmendes Werk, das sich mit den komplexen Themen von Identität, Migration und den oft unsichtbaren Grenzen auseinandersetzt, die unser Leben prägen. Dem Autor gelingt es, durch eine geschickte Verknüpfung von Erzählungen und theoretischen Überlegungen, die Leser in die vielschichtigen Erfahrungen von Menschen einzuführen, die zwischen verschiedenen Kulturen und Ländern navigieren.
Emotionale Tiefe
Woltersdorff verwendet eine klare und zugängliche Sprache, die es dem Leser ermöglicht, sich leicht in die Thematik hineinzuversetzen. Besonders beeindruckend sind die Geschichten aus der Literatur, die er erzählt – sie verleihen dem Buch eine emotionale Tiefe und machen die abstrakten Konzepte greifbar.
Insgesamt bietet "Grenzüberschreibungen" einen facettenreichen Blick auf die deutsch-französischen Beziehungen durch die Linse der Literaturgeschichte und zeigt, dass Straßburg und Kehl weit mehr sind als nur Nachbarstädte – sie sind Brücken zwischen Kulturen und Zeiten. Woltersdorffs Werk ist sowohl informativ als auch berührend – eine Lektüre, die lange nachhallt. Das Taschenbuch mit Unterstützung des Historischen Vereins Kehl ist im Conte Verlag erschienen und für 17 Euro ab August im Buchhandel erhältlich.
Zum Autor:
Stefan Woltersdorff ist leidenschaftlicher Reisender und Literaturwissenschaftler mit einem Studium in Toulouse und München. Er hat an verschiedenen Schulen in Europa unterrichtet, darunter in Ungarn, Deutschland und Frankreich. Nach seiner Promotion über den elsässischen Dichter René Schickele leitete er die deutsch-französische UP Pamina VHS in Wissembourg von 2001 bis 2013. Zudem qualifizierte er sich als Gästeführer und übernahm 2016 die Leitung der Kehler Gästeführer. In Straßburg führt er Gruppen im Europäischen Parlament, im Münster und in der Mikwe. Als Inhaber des französischen Berufsausweises eines "Guide-Conférenciers" ist er berechtigt, in Museen und Denkmälern zu führen. Der Schwerpunkt seiner Arbeit liegt auf Elsass und Lothringen, über die er zahlreiche Artikel und Bücher veröffentlicht hat. Sein Projekt "Literaturlandschaften am Oberrhein" wurde 2002 ausgezeichnet, und sein Buch "Literarisches Lothringen" erhielt 2014 den Literaturpreis "Georges Sadler". 2024 wird ihm der Eurodistrikt-Preis verliehen, was ihn besonders freut, da alle drei Auszeichnungen aus Frankreich stammen.
Buchhandel
Ab August 2024 ist das Sachbuch mit 162 Seiten zum Thema „Literarische Spurensuche zwischen Straßburg und Kehl“ aus dem Conte-Verlag im Buchhandel erhältlich, ISBN: 978-3-95602-272-2