Kehl

Serie zum Hanauerland (5): Originelles und Originale

Gerd Birsner
Lesezeit 6 Minuten
Jetzt Artikel teilen:
16. August 2017

(Bild 1/2) Wieviel Platz für heimische Kultur ist im »Hanauer Dickschäddl«? Wer sich wie dieser Zeitgenosse Zeit nimmt und gerne nahe an der heimischen Scholle ruht, kann hierzulande so maches Original bei originellem Tun entdecken. ©Gerd Birsner (Repro)

In einer elfteiligen Serie im Vorfeld des Hanauerland-Marktes am 30. September und 1. Oktober stellt die Kehler Zeitung das Hanauerland in all seinen Facetten vor

Gibt es ihn heute noch, den alten Hanauer mit dem Dickschäddl, der, wie »de Baase-Fritz« aus Linx gereimt hatte, »noch trutzt und bruddlt und huddlt«? Und »het er ebs in sinnem Schäddl, do git's nix, was ne schreckt…« – das wären doch beste Voraussetzungen für originelles hiesiges Sein. »Ein Original«, so definiert es Wikipedia, »ist eine Person, die durch unverwechselbares, zum Teil auch exzentrisches Auftreten, Verhalten oder andere Eigenschaften bekannt geworden ist. Dabei spielen die Faktoren, die ein Abweichen von der Allgemeinheit, ein Überraschungsmoment, etwas Seltsames und Wunderliches manifestieren, eine Rolle«. Und ist nicht gerade unser Fleckchen Erde, wo Eichen zu Königen, pensionierte, der heimischen Scholle verbundene Lehrer zu Dorfchronik-Autoren oder Gärtner zu Sängern wurden, nicht bestens geeignet als Nährboden für das Tanzen aus der Reihe? Bietet das Leben hier nicht genügend Platz für Ausgefallenes und Wunderliches gestern und heute?  

»Originell sin heißt andersch sin wie anderi« sagt Rolf Mattern, »einer, der grad so bliibt, wie er isch, der sich net anpasst, der geje de Strom schwimmt und somit au an die Quelle kommt«. 
Und da gehört er auch hin, denn er ist der Rheinauer Wassermeister. »Des isch originell«, grinst er. In der Tat ist er ein Original, für mich sogar so etwas wie der reinkarnierte »Alde Hanauer«: 56 ist er, wohnt der Liebe wegen »bi de Beseknewwler«, also in Zierolshofen. »Leider«, hadert er, ihn zieht es wieder ins geliebte Fischereck uff Diersche. 

Dass er das Alte, das Vergangene schätzt, sieht man auch an seinem Fuhrpark: »Ein betagter R4, historische Motorräder, e paar Bulldogs, und natürlich »e Quickly«. Ihn begeistert, dass das alde Zeug »noch so lang hebbt, au wenn ma ab und zu dran rumschruwe muss«. Und wenn irgendwo wie kürzlich in Eckartsweier ein Fest ist, holt er die alten »Schlörer-Knickerbocker«, die er sellemols 1991 sich zu »Diersche forever« hatte anfertigen lassen, aus dem Schrank und zeigt sich so stilgerecht und bewusst antiquiert auf dem jeweiligen Festtagsgelände. 

Klar, dass einer wie er dann auffällt. »Des ich originell«, grinst er sich eins in seinen Rauschebart. Einer wie er, der braucht kein Handy, (außer beruflich, falls mal ein Wasserrohr bricht oder ne Leitung eingefroren ist). Er hat noch nie Geld am Bankomat abgehoben, noch niemals  eine E-Mail geschrieben. Will aber nicht heißen, dass er sich gegen Fortschritt, gegen moderne Zeiten wehrt, aber er schätzt nun mal das Dagewesene. Und er ist glücklich dabei. 

Vor sieben Jahren hatte das SWR-Fernsehen Freiwillige gesucht, die in einem alten Forsthaus am Schluchsee leben sollten, um den Wald von seiner nicht wirtschaftlichen Seite zu zeigen. Das war genau das Richtige für einen wie ihn, der lieber rückwärts leben würde als sich in die Zukunft zu katapultieren. »Sellemols war's einfach schöner und ehrlicher«. Und genau so lebt er auch: einfach, ehrlich, erdverbunden.

Heimatverbunden
Reicht das denn schon aus, um ein Hanauer Original zu sein? »Hajo«, sagt er, »weil es vom allgemeinen Dasein abweicht, vom Hecheln nach Fortschritt, vom immer höher, schneller, weiter. »Des«, so Mattern, »macht net glücklich.« 
Einer wie er singt natürlich im Männerchor (in Diersche), er ist im passives Mitglied im Musikverein und bei der Feuerwehr. Und natürlich aktiv im Dierschemer Schlauchclub dabei, ein Verein mit ausschließlich männlichen Mitgliedern von denen aber keiner weiß, warum der Verein existiert.

Originell, gell? Und dennoch ist der Mattern-Rolf kein Vereinsmeier, eher eben ein Original, mit beiden Beinen im Leben stehend und vor allem aber mit sehr tief gehenden heimatlichen Wurzeln.
Ist unsere heimische Scholle nicht auch perfekter Nährboden für ein originelles Stück Hanauer Kultur? Kultur (von »colere«» also pflegen, verehren, den Acker bestellen«) »ist im weitesten Sinne alles, was der Mensch selbst gestaltend hervorbringt«. Zu solchen Menschen gehört bestimmt auch der 1601 in Willstätt geborene Johann Michael Moscherosch – genau so wie der, der ihn vor 16 Jahren beim großen Fest 2001 in Willstätt gespielt hatte: der singende Gärtnermeister  Werner Hetzel. 
Auf eine ganz andere Art originell war aber auch der früher sehr gefürchtete »Sassoklub« in Bodersweier, dessen Mitglieder einst an Rosenmontagen sich maskiert und mit Stroh ausgepolstert sich Fasnacht feiernd in vereisten Pfützen wälzten. Die zählen für mich genau so zu Originellem und einem Stück Hanauer Kultur wie der zu früh verstorbene Maler (und »Hufschmied«)Heinz Berger, der mit Wasser,  Farben und Pinsel heimelige Hanauer Ecken der Nachwelt erhalten hatte. 
Und wie wäre es  mit Klaus Maria Brandauer, der in unseren Breiten mit der Inszenierung des Borchert-Dramas »Draußen vor der Tür« (s)eine Weltkarriere startete?

- Anzeige -

Kultur ist Wandel und gleichzeitig Spiegelbild des hier sowohl in Kehl als auch im Hanauerland lebenden Menschenschlags, und somit kann eine solche Momentaufnahme  wie diese in keinster Weise einen Anspruch auf Vollständigkeit stellen. 
Zu heimischen Originalen kann man beruhigt auch »de Becke-Willi« aus Eckartsweier oder den mehr als textsicheren Neumühler Ortsvorsteher  Vogte-Fritz mit seinem bestimmt 1765 Liedern umfassenden Repertoire zählen, die allesamt mit ziehender Harmonika und »gfitze Sprüch« verdientermaßen im Hanauer Rampenlicht standen und stehen.

Freude machen

Originale gibt es hier genug. Sie sind Freuden- und Licht-ins-Lebensdunkelbringer wie zum Beispiel die Kopfe-Else, die in  brääädeschdem Dialekt  erklärt, wie man die Bolle zur Bollesupp rollt und im Advent  siebenunddreißig verschiedene Sorten »Winnachtsbreedle« backt. Nicht minder originell auch de Weige-Mannes, der mit freundlichen Menschen ein Lachen ins Gesicht seiner Mitmenschen zaubern und somit Fröhlichkeit in den immer grauer und komplizierter werdenden Alltag tragen möchte. 

Und unsere Hanauer Landfrauen? Sie sind und machen genau so in heimischer Kultur wie ihre Pendants, die Willstätter Landmänner, deren schollennahes Tun man getrost ebenfalls als »originell« bezeichnen kann. Zu originellem Tun kann man auch die zählen, die in alten Kirchenbüchern nach Ahnen anderer suchen, Flohmarkt orientierte Dachbodenentrümpler oder Kelsch nähende Mitglieder des örtlichen Heimatvereins und kreative Theaterspieler in Zierols- oder Odelshofen. Im Hubbes sini Kumbel, Martin Schütt, Zäpf, de »Bibs« aus Zierolshofen kümmern sich um musikalisch-Dialektisches und erhalten uns damit ein Stück weit die Sprache unserer Ahnen. 

Oder die Driese-Gretel, die Gedichte schrieb und mit Yvonne Schott oft auf den heimischen Bühnen gestanden hatte, oder das Buch »Onseri Heemetschbrooch« vom Korker Hans Hermann– auch das ist hiesige Kultur. 
Im Hanauer Dickschäddel ist also tatsächlich genügend Platz für eine gewachsene und immer wieder neu entdeckte  Kultur, die unseren Landstrich präsentiert und sowohl  eine Verbeugung vor der Tradition, aber auch ein Salut an die Moderne zu sein scheint. 

Es scheint eine gewachsene, sich immer wieder verändernde und doch äußerst heimelige Kultur, wo noch viele hier nicht genannte Individualisten wie der Korker Helmut Schneider versuchen, dem Nagen des Zahns der Zeit Einhalt zu gebieten und Vergangenes für die Zukunft zu bewahren. 

 

Weitere Artikel aus der Kategorie: Kehl

In der Iringheimer Straße, der Goldscheuerstraße sowie der Kanzmattstraße muss der Straßenbelag erneuert werden.
vor 14 Minuten
Sperrungen
Umweltschonend, wirtschaftlich und effizient: Drei Kehler Straßen werden ab dem kommenden Dienstag gesperrt, um den Straßenbelag zu erneuern.
vor 3 Stunden
Ortenau-Check
Schon fast 500 Bürger der Stadt haben am Ortenau-Check der Mittelbadischen Presse teilgenommen.
Das Ehepaar wurde festgenommen und in das Konzentrationslager Westerbork eingeliefert.
vor 3 Stunden
Serie Kehler Stolpersteine
In Teil 10 unserer Stolperstein-Serie stellen wir heute Josua und Regina Schwarzkachel vor.
Porträt / Klaus Körnich, Redaktionsleitung Kehler Zeitung
vor 5 Stunden
Kehl
Kiffen in Kehl, das KEL-Jubiläum und eine kleine Kollision: Das sind einige Themen des heutigen Kehler Stadtgeflüsters von Klaus Körnich.
Rund 30 Schausteller werden in diesem Jahr wieder beim Ostermarkt dabei sein. Neben dem charakteristischen Riesenrad wird es ein Kinderkarussell, Boxautos und viele weitere Fahrgeschäfte geben.
28.03.2024
Osterstimmung in Kehl
Ein farbenfrohes Programm bietet die Kehler Innenstadt an zwei Wochen rund um Ostern. Ein Highlight ist dabei mit Sicherheit der Ostermarkt vom 30. März bis zum 6. April.
Die in Warmhalteboxen verpackten Mahlzeiten werden ins Auto geladen. Unter dem Hauptgericht befindet sich eine erhitzte Metallplatte.
27.03.2024
Serie Senioren in Kehl (11)
Jeden Tag eine warme Mahlzeit frei Haus, das bieten die „Essen auf Rädern“-Dienste an. Wie das Ganze funktioniert, haben wir uns einmal angeschaut.
Erhabene Momente mit Varduhi Toroyan (Sopran), Qetoura Brinkert (Barockoboe) und Antoine Bergossi (Cembalo).
27.03.2024
Kehl
In der Kehler Christuskirche boten studierende Sänger Instrumentalisten des Conservatoire de la musique et de la danse und der Académie Strasbourg ein tolles Konzert mit Barockmusik.
Die Nominierungskandidaten der Freien Wähler Kehl (alphabetisch): Samuel Ackermann, Manuela Boesinger, Carlos De Oliveira Albuquerque, Juksel Dogan, Michael Eisenbeiß, Eva Erhardt, Robert Fautz, Anette Fien, Noor Halitim, Klaus Heidt, Markus Heidt, Horst Heitz, Kieffer Stephan, Markus Kleinhans, Kerstin Köbel, Gisela Kubitschek-Müller, Günter Predhel, Matthias Müll, Markus Murr, Sarah Parafinski-Grün, Kai Reimold, Diana Rupp, Jörg Schwing, Luca Senke, Martina Sommer-Müll und Willi Weißhaar.
27.03.2024
Kehl
"Für die am 9.Juni anstehende Kommunalwahl sind wir bestens vorbereitet", teilen die Freien Wähler Kehl mit, die nun ihre Liste mit Kandidaten für den Gemeinderat bekanntgegeben haben.
Am vergangenen Wochenende präsentierte die Theatergruppe aus Sand die Komödie "Hausarzt gesucht!" 
27.03.2024
Kultur
Die Theatergruppe Sand begeisterte mit neuem Stück: "Hausarzt gesucht!"
Lebensgroße Handpuppen in Tierform erzählten eine charmante Geschichte. 
27.03.2024
Kultur
Ortenauer Puppen-Parade: Ein volles Haus bescherte die charmante Komödie „Sag mal, geht’s noch?“ des Theaters Zitadelle dem Willstätter Bürgersaal.
Gründungsvorsitzende und Initiatorin des Clubs Ilse Teipelke begrüßte die Gäste zu deren Erheiterung als Voltaire verkleidet.
26.03.2024
Kehl
Im Kulturcafé wurde am Sonntag das zehnjährige Bestehen des Clubs Voltaires gefeiert. Zahlreiche Mitglieder erinnerten an die Anfänge der Gründung.
Matto Barfuss tauchte komplett ins Leben einer Gepardenfamilie ein. Seine Dokumentation  "Gepardenmensch" machte den Naturfilmer aus Freistetter berühmt.
26.03.2024
Kehl
Naturfilmer und Künstler Matto Barfuss begeisterte am Samstag im ausverkauften Theater der 2 Ufer mit seiner Multivisionsschau „Wild und weit – 30 Jahre Afrika“ das Publikum.

Das könnte Sie auch interessieren

- Anzeige -
  • HYDRO liefert etwa Dreibockheber für die Flugzeugwartung. 
    26.03.2024
    HYDRO Systems KG und Rhinestahl fustionieren
    HYDRO Systems KG und Rhinestahl schließen sich zusammen. Mit diesem Schritt befinden sich die Kompetenzen in den Bereichen Ground Support Equipment (GSE) und Aircraft- & Engine Tooling unter einem Dach.
  • Alle Beauty-Dienstleistungen bietet die Kosmetik Lounge in Offenburg unter einem Dach.
    26.03.2024
    Kosmetik Lounge Offenburg: Da steckt alles unter einem Dach
    Mit einer pfiffigen Geschäftsidee lässt Elena Plett in Offenburg aufhorchen. Die staatlich geprüfte Kosmetikerin denkt "outside the box" und hat in ihrer Kosmetik Lounge ein außergewöhnliches Geschäftsmodell gestartet.
  • Konfetti, Flitter und Feuerwerk beschließen die große Preisverleihung im Forum-Kino in Offenburg. Die SHORTS feiern 2024 ihr 25. Jubiläum. 
    26.03.2024
    25 Jahre SHORTS – 25 Jahre Bühne für künftige Filmemacher
    Vom kleinen Screening in 25 Jahren zum gewachsenen Filmfestival: Die SHORTS der Hochschule Offenburg feiern Jubiläum. Von 9. bis 12. April dreht sich im Forum-Kino Offenburg alles um die Werke junger Filmemacher. Am 13. April wird das Jubiläum im "Kesselhaus" gefeiert.
  • Das LIBERTY-Team startet am Mittwoch, 27. März, in die Afterwork-Party-Saison. 2024 finden die Veranstaltungen in Kooperation mit reiff medien statt. 
    22.03.2024
    Businessaustausch jetzt in Kooperation mit reiff medien
    Das Offenburger LIBERTY startet mit Power in die Eventsaison: Am Mittwoch, 27. März, steigt die erste XXL-Afterwork-Party mit einem neuen Kooperationspartner. Das LIBERTY lädt zusammen mit reiff medien zum zwanglosen Feierabend-Businessaustausch ein.