Stahlwerk-Wiederaufbau unter neuer Führung
Im Rheinhafen Kehl steht das einzige Stahlwerk Baden-Württembergs. Willy Korf hat es vor 50 Jahren bauen lassen. Am 27. Oktober 1968 nahm es seinen Betrieb auf. In einer neunteiligen Serie beleuchten wir die bewegende Geschichte des Badischen Stahlwerks. Heute: Eigentümerwechsel.
Die Lehren aus dem Korf-Konkurs waren, dass neben unverhältnismäßig hohen Subventionen, die Korfs Konkurrenten erhalten hatten, auch viele interne Gründe zum Untergang der Gruppe geführt hatten. Willy Korfs Aufstieg war kometenhaft: Von 1970 bis Anfang der 1980er-Jahre gründete er in kurzer Folge ein Werk nach dem anderen. Und dies letztlich alles kreditbasiert. Dadurch war keine Substanz vorhanden, um Krisen zu überstehen. Darüber hinaus hat Korf die in Kehl erfolgreich praktizierte Technologie in anderen Werken nicht eingesetzt, da die Einsicht der dortigen Unternehmensleitungen fehlte. So gab es in der weltweit verstreuten Korf-Gruppe eine Vielzahl von Baustellen. Jede für sich hätte schon einen intensiven Einsatz aller verfügbaren Fachleute erfordert. Gleichzeitig konnte das nicht zum Erfolg geführt werden.
Für den erfolgreichen Abschluss des Vergleichs bei BSW waren viele Voraussetzungen bereits vor Eintritt der Korf-Insolvenz geschaffen worden. Hinzu kam der Erwerb der Aktienmehrheit durch die Neckar Drahtwerke. Während des ganzen Verfahrens stiegt die Begehrlichkeit Außenstehender, aber auch von Willy Korf, wieder Gesellschafter oder Aktionär zu werden.
Auch die Landesregierung, in Person von Ministerpräsident Lothar Späth, war daran interessiert, wem diese Gruppe letztlich eigentumsmäßig gehören sollte. Willy Korf versuchte indes, weiter an Bord zu bleiben. Und so war er im Jahr 1983 zunächst weiter Aufsichtsratsvorsitzender der Badischen Stahlwerke. Wie sehr seine Vorstellungen von denen der BSW-Geschäftsführung abwichen, zeigte folgende Begebenheit: Willy Korf kam von einer China-Reise mit Kanzler Kohl zurück und hatte eine Absichtserklärung für eine Großinvestment in China für 500 Millionen Dollar in der Tasche. Er drängte den Vergleichsverwalter und den Vorstand, wieder schnell ein Firmenflugzeug zu beschaffen. Korfs Haltung blieb Außenstehenden nicht verborgen.
Die Kreditversicherer drohten nach Vergleichsabschluss, die neue BSW-Gruppe nicht zu versichern, falls Willy Korf als Miteigentümer erneut Einfluss nehmen würde. Gleichzeitig hatten sich große Gruppen wie Krupp und Klöckner angedient, Mehrheitsgesellschafter zu werden. All das führte dazu, dass Vergleichsverwalter Ringwald eine Lösung präferierte, die Geschäftsführer Hans Seizinger und Horst Weitzmann in die Eigentümerrolle zu bringen. Für beide war es nicht einfach, den fälligen Kaufpreis zu schultern. Aber es fanden sich Lösungen, die auch tatkräftig vom stellvertretenden Aufsichtsrats- und Betriebsratsvorsitzenden Johannes Kämpfer präferiert und unterstützt wurden. So wagte man diesen Versuch ohne Willy Korf. Der wiederum unternahm einen unternehmerischen Neustart in Baden-Baden.
Nach 1986 setzte ein stürmischer Aufschwung der Unternehmensgruppe ein. Dafür sind drei Megatrends verantwortlich: Zum einen das Ende der Subventionen und des Quotensystems im Stahlbereich. Des Weiteren die Verpflichtung der EG-Kommission, bislang in staatlichem Besitz befindliche europäische Stahlunternehmen zu privatisieren. Und nicht zuletzt die deutsche Wiedervereinigung mit dem Aufbau Ost.
Enorme Chancen
Bei den Börsengängen von englischen, belgischen, französischen und italienischen Staatsunternehmen spielte die Fokusierung auf ertragreiche Produktbereiche eine erhebliche Rolle. In großer Zahl gaben diese integrierten Unternehmen die Produktion von Betonstahl und Walzdraht auf. Für die Badischen Stahlwerke in Kehl brachte das enorme Chancen, Marktanteile zu gewinnen. Die Gruppe konnte alleine in den Jahren von 1986 bis in die 2000er-Jahre hinein ihre Produktion in diesem Bereich nahezu verfünffachen. Allerdings erforderte dieses Wachstum vom Stahlwerk in Kehl ein gewaltiges Investitionstempo, verbunden mit dem Ausbau der hiesigen Kapazitäten.
Hinzu kam die Stahlfusion zwischen Thyssen und Krupp, die ein gemeinsames Unternehmen gebildet hatten. Vormals waren diese Unternehmen harte Konkurrenten von BSW. Nach der Fusion konzentrierte sich Thyssen-Krupp auf das qualitativ höhere Segment von Drahtprodukten und überließ BSW dadurch Marktanteile. Thyssen-Krupp trennte sich zudem von seinem quersubventionierten Bereich der Langprodukte. Die BSW konnten die große Drahtverarbeitungsgruppe »Baustahlgewebe« übernehmen. So konnten zum einen enorme Marktüberkapazitäten in der Mattenherstellung abgebaut werden. Zusätzlich verbesserte sich BSW durch den Zukauf in geografischer und produktmäßiger Hinsicht deutlich.
Der Fall des »Eisernen Vorhangs« hatte unter anderem dazu geführt, dass zusätzlich Walzdraht in die EU schwappte. Das Stahlwerk in Kehl war zu dieser Zeit nicht in der Lage, die frisch erworbenen Drahtbetriebe vollständig mit selbst hergestelltem Walzdraht zu versorgen. So ergab sich für BSW eine hervorragende Chance, dieses in die EU exportierte Material zu kanalisieren und in eigene Produkte umzuwandeln. Ein wichtiger Einschnitt, auch im süddeutschen Markt, war 1987 der Konkurs der bayerischen Maxhütte. BSW übernahm Bestände, half bei der Verwertung der Anlagen für Betonstahl und konnte somit die Marktstellung in Bayern ausbauen.
Ein eigenes Projekt war in Sachsen der Neubau eines Drahtverarbeitungsbetriebes in Glaubitz auf der grünen Wiese. Zusätzlich erwarb BSW von Ferrostahl das Werk in Hattersheim am Main mit Hafenanschluss und im bayerischen Dinkelscherben den bestehenden Baustahlmattenbetrieb. Mit einem guten »Financial Engineering«, das heißt dem Kauf von Firmenmänteln, konnte erworbener Verlustvortrag mit den profitablen Produktionsunternehmen verschmolzen werden. So gelang der weitere Aufbau von Eigenkapital, sodass die Gruppe vor der Lehmann-Krise 2008 die Schwelle von 500 Millionen Euro Eigenkapital erreichte und mit 60 Prozent Eigenkapitalquote bankenunabhängig wurde.