Villa Europa eröffnet
In der »Villa Europa« in Kehl leben Deutsche und Franzosen Tür an Tür. Am Rande der Eröffnungsfeier wurde das Vorzeige-Projekt zwischen Kehl und Straßburg präsentiert – und auch die Schwachstelle.
über den Mauerfall, ein »Weinkurs« und »Europa ist tot, es lebe Europa« von Thomas Schmid: Ein Blick in den Bücherschrank von Enrico Prinz zeigt, welcher Geist im neuen Wohnprojekt »Villa Europa« in der Straßburger Straße herrscht. »So viele Menschen auf einmal habe ich nicht mal bei meiner Einweihungsparty gehabt«, scherzt der 39-jährige Vorzeige-Bewohner als er während im Rahmen der gestrigen offiziellen Eröffnung durch seine kleinen Wohnung führt. Der Angestellte der Straßburger Business School bewohnt seit kurzem eine der 48 Wohnungen in einem Haus, das in vielerlei Hinsicht einzigartig in Europa ist.
Einige Hürden
Auf Anregung des Straßburger Bürgermeisters Roland Ries im Jahr 2010 gestartet, hatte das Projekt zunächst einige Hürden zu überwinden. Zunächst hatte sich die Stadt Kehl am Kapital der Straßburger Wohnungsbaugesellschaft Habitation Moderne beteiligt. Damit sei die erste grenzüberschreitende Baugesellschaft entstanden, erinnert Philippe Bies, der Vorsitzende der Gesellschaft im Rahmen der Einweihung. 2011 antwortete die Gesellschaft dann auf eine Ausschreibung der Stadt Kehl. Doch damit habe das »Abenteuer Villa Europa« erst begonnen. Das Projekt habe so viele Jahre gedauert, weil von den deutschen und französischen Projektpartnern »Pionierarbeit« geleistet worden sei.
Virginie Jacob, Leiterin der Wohnungsbaugesellschaft, macht in ihrer Rede vier große Herausforderungen aus. Erstens habe es sprachliche Hürden gegeben, insbesondere bei technischen und juristischen Begriffen. Zweitens sei die Arbeitsweise der beiden Länder verschieden, drittens unterschieden sich die Gesetze in Deutschland mit Frankreich und viertens gebe es auch unterschiedliche Normen etwa bei den Türgrößen und bei den Steckdosen. Besonders die »extrem gute Umweltbilanz« hebt Jacob hervor. So hätten die Projektpartner etwa auf dreifach verglaste, schallisolierte Fenster und 15 Prozent erneuerbare Energie gesetzt.
Auch bei der Finanzierung des zweieinhalb Millionen Euro teuren Bauvorhabens wählten die Beteiligten einen ungewöhnlichen Weg: Zu 14 Prozent Eigentmitteln der nunmehr gemeinsamen Gesellschaft kommen Kredite der deutschen und französischen Sparkasse. Die 48 Mietwohnungen des Hauses haben jeweils eine Größe zwischen 40 und 118 Quadratmetern. 47 Wohnungen sind bereits vergeben – an 12 französische, 20 deutsche und 15 deutsch-französische Haushalte. Auch die letzte verbliebene Wohnung hat bereits einen Mieter. Außerdem haben sich im Gebäude im Erdgeschoss die Allgemeine Verbraucherschlichtungsstelle des Zentrums für Schlichtung ebenso eingerichet wie zwei Geschäfte und die Sparkasse mit einer neuen Filiale.
Kehls Oberbürgermeister Toni Vetrano betont, die »Villa Europa« trage ihren Titel zu Recht, schließlich sei sie an der Schnittstelle zwischen zwei Ländern entstanden. Mit der Tram »direkt vor der Haustür« könnten die Bewohner schnell nach Straßburg gelangen. In der Villa sollten sich künftig die beiden Kulturen mischen und so einen »Beitrag zum Abbau der Grenzen in den Köpfen« leisten. Auch sei die »Villa Europa« sicher nicht das letzte gemeinsame Bauprojekt. Die beiden Städte hätten schon einen Termin vereinbart, um über weitere Vorhaben zu sprechen, so Vetrano.
Großes Manko
Am Rande der Eröffnung ist allerdings auch eine deutliche Schwachstelle des Projektes zutage gekommen. »In dem Haus wohnen vor allem Menschen, die gut verdienen«, erzählt eine Vertreterin der Kehler Agentur City Immobilien Maio unumwunden während einer der Führungen. Für die »Spitzenklasse«-Wohnungen habe die Firma »mehr als fünfmal so viele Bewerber« gehabt. Insbesondere hätten sich viele geringverdienende Kehler beworben, sodass sich der Eindruck aufgedrängt habe, dass es in Kehl an Sozialwohnungen mangele. Bei der »strengen Auswahl« für die »Villa Europa« hätten sich die Mitarbeiter der Agentur dann aber für Menschen entschieden, die »ohne staatliche Unterstützung« auskommen.
Zwar liegen die Mietpreise in der »Villa Europa« mit 9,50 Euro pro Quadratmeter in etwa auf Kehler Niveau, allerdings hat die Immobilienfirma ein sonst nur in Frankreich übliches Kriterium bei der Mieterauswahl angewendet. Laut der Vertreterin wurden nur die Interessierten zu einem Besichtigungstermin eingeladen, die nachweisen konnten, dass sie mindestens dreimal so viel verdienen, wie ihre Wohnung an Miete kostet. Insgesamt seien vor allem junge Menschen verschiedener Nationalitäten, darunter auch viele deutsch-französische Paare und nur wenig Ältere in die Wohnungen eingezogen.
Das Fazit der Führerin ist eindeutig: »Es stimmt schon, sozialer Wohnungsbau ist das sicherlich nicht.«