Kehl
Was macht eigentlich Georg Nückles
Gerd Birsner
21. November 2011
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Ruhig ist es geworden um sie, die einst im Rampenlicht, im Mittelpunkt des Interesses standen. Sie hatten Ungewöhnliches geleistet, etwas bewegt, hierzulande Spuren hinterlassen. Den Spuren sind wir nachgegangen und haben gefragt: »Was macht eigentlich Georg Nückles?
Die BMW im Hof hat schon ein paar Jährchen auf dem Buckel. Und die, die er in der Scheune vor allzu neugierigen Blicken versteckt, noch ein paar Jährchen mehr. Der Nückles-Schorsch hat, seit er im Vorruhestand ist, ein spritziges, ratterndes Hobby entdeckt: seine BMWs. Putzig sind sie, denn der Nückles-Schorsch hat viel Zeit, und er wienert die Maschinen, sobald auch nur das kleinste Körnchen Schwarzwaldhochstraßen-Staub drangekommen ist.
Der Schorsch ist ein echter Sundheimer. Am Steinlöchel wohnt er, hier engagiert er sich in der 1979 gegründeten Interessengemeinschaft Steinlöchel, und er war vom ersten Steinlöchelfest an dabei. Schließlich ist er als »Knäckes« hier schon Schlittschuh gelaufen, wenn Väterchen Frost das Gewässer mal wieder zufrieren hat lassen.
Hier blitzblankt es in allen Ecken. Hinten im Schopf, in dem noch die Maiskolben wie damals zum Trocknen hängen, weist ein ellenlange Läufer den Weg in den Wintergarten des Schnellläufers. Damals hat Georg Nückles sie alle abgehängt. Zumindest bei den Leichtathletik-Hallen-Europameisterschaften 1972 in Grenoble. Über 400 Meter flach. Und weil damit nicht genug war, findet sich in seiner Medaillensammlung gleich auch noch eine silberne, denn schließlich war es nicht mehr als recht, dass der frischgebackene Hallen-Europameister auch als Schlussläufer der deutschen 4x400-Meter-Staffel den Stab ins Ziel bringt. Damit noch lange nicht genug: Bei den Olympischen Spielen in München schaffte er es immerhin bis ins Semifinale. Die rannte er in 46,13 Sekunden, nur zwei Hundertstel langsamer als seine Bestleistung. Und der Schorsch war nie einer, der sich nach dem Gewinn einer Goldmedaille das Trikot zerreißt. Bescheiden war er, und er ist es bis zum heutigen Tag.
Am 12. Juli dieses Jahres feierte der im Februar 1948 geborene Georg Nückles Silberhochzeit. Wer da nachrechnet, stellt fest, er ist ein »Späthochzitter«. »Ich hab halt lang gewartet, bis die Richtige kumme isch«, grinst er. Gefeiert haben sie ihre Silberhochzeit in Singapur. Schließlich hat der Schorsch »dort au schun emol gschafft.«
Von 1976 bis ’79 war er dort. Für die Firma Pittler in Offenburg, bei der er auch als Maschinenschlosser in die Lehre gegangen war, nachdem er in Gaggenau den Maschinenbautechniker gemacht hatte. »Ich hab halt mol gucke welle, was sich dort verändert het.« Das war aber nicht der einzige Grund: Eine seiner drei Kinder, Andrea, hat als Studentin für das Lehramt – auf den Spuren des Papa – in Singapur ein halbes Jahr Praktikum absolviert. Bis 2009, zum Schritt in die vergnügliche Altersteilzeit hat der Nückles-Schorsch bei der RMA in Rheinbischofsheim gearbeitet. Ins Hanauer-
land zieht es ihn auch heute noch gern. Auf seiner BMW schaukelt er durch Auene, Litze, Diersche. »Ich mag halt die schöne alte Hanauer Fachwerkhiisle«.
Als Ur-Steinlöchler hat er als Kleinkind schon anfangen, auf dem zugefrorenen Steinlöchel Schlittschuh zu laufen. Und dann, nach seinen tollen Leichtathletikerfolgen, kam der Eisschnelllauf-Verband auf ihn zu. »Die hen mich welle umbiegen«, aus einem 400-Meter Hallen-Europameister einen damals 27-jährigen Eisschnelllauf-Sprinter machen. Da war er dann immerhin drei Wochen in Inzell. Dorthin hätte er umziehen sollen. Aber: »En rechter Hanauer will nicht nach Bayern.« Und so endete die Eisschnelllauf-Karriere des Sundemer Nückles-Schorsch, noch bevor sie angefangen hatte. Im angebauten Wintergarten lagern alle Alben. Fotos, die meisten in Schwarz-Weiß, Schorsch in London, Helsinki, Venedig, Moskau. Immerhin hat er 14 Länderkämpfe mitgemacht, und »da kommsch halt in de Weltgschicht rum«.
Dies alles zu verdanken hat
der Ex-Europameister seinem
späteren KFV-Trainer Hans Hess. Dem Altersspeck begegnet
er, indem er eine kleine Leichtathletikgruppe trainiert: sechs Buben, hauptsächlich Sprinter.
Und was macht der Nückels-Schorsch, wenn – wie im August – die Leichtathletik-WM übertragen wird? »Klar, ich schau sie mir an«, sagt der Ex-Intensiv-Amateur, »ich glaub aber nicht mehr, dass die dort gezeigten Leistungen ehrlich sind.« Vielmehr vermutet er, dass manche Verbände ihre Athleten vor Doping-Kontrollen schützen, und das, so die ehrliche Sportlerhaut, mache die Leichtathletik von heute unglaubwürdig. »Denk doch mal an Jamaika. Als ich gesehen habe, wie weit die bei der 4 x 100-Meter-Staffel vorauslaufen… Das kann nicht sein!«
Und er bedauert Christina Obergföll: »Sie tut mir leid, denn sie kann vom Leichtathletikverband zu jeder Tages- und Nachtzeit überprüft werden. Bei anderen Verbänden ist das ganz anders.« Und dann die vielen Vorbereitungen: Trainingslager, Höhentraining, Kraftraum, Kondition bolzen – der Schorsch hat nie so intensiv trainiert wie heutzutage. Vier bis fünf Trainingseinheiten pro Woche. »Des het glangt«, sagt der Leib- und Seelen-Leichtathlet. Seine Motorrädle zur Ausfahrt putzen – in diesem Jahr schon mehr als 4000 Kilometer –, Hund Dara, die belgische Schäferhündin ausführen, und sich um die Familie kümmern – der Nückles Schorsch hat keine Langeweile. »Hier am Steinlöchel, in ruhiger Umgebung mit sehr guter Nachbarschaft, do bin ich dheim.«
Das Telegramm, mit dem ihm der Schäuble zum Gewinn der Hallen-EM gratuliert hat, das hat er immer noch. Und den vor ein paar Wochen eingegangenen Autogrammwunsch aus Schweden nimmt er nicht so wichtig. »Vorbei isch vorbei«.
Nächsten Montag in der Kehler Zeitung:
Was macht eigentlich Willy Muley, spät berufener ehemaliger Seelsorger von Eckartsweier?«