Badische Verfassung war ein Meilenstein der Geschichte

Ralf Bernd Herden, Jurist, Historiker und ehemaliger Bürgermeister von Bad Rippoldsau-Schapbach, spricht morgen, am Tag der Deutschen Einheit, über die Badische Verfassung, die in diesem Jahr ihr 200. Jubiläum feiert. ©Freilichtmuseum Vogtsbauernhof
Vor 200 Jahren entstand die Badische Verfassung. Das ist morgen, am Tag der Deutschen Einheit, Thema der Heubodenakademie im Freilichtmuseum Vogtsbauernhof. Der Jurist und Historiker Ralf Bernd Herden aus Bad Rippoldsau-Schapbach wird dabei auf die Vorgeschichte, die Rahmenbedingungen und die Folgen eingehen. In einem Interview mit dem Offenburger Tageblatt macht er schon mal Lust auf die Veranstaltung.
Die Badische Verfassung gilt als eine der ersten und liberalsten in Deutschland. Warum waren die Badener die schnellsten?
Ralf Bernd Herden: Es war einerseits eine staatsorganisatorische Entwicklung, welche über die Organisationsedikte (1803) und die Konstitutionsedikte (1807) zur Notwendigkeit einer staatlichen Neuorientierung geführt hat. Dies war das kontinuierliche Element der Entwicklung. Hinzu kam aber als treibender Faktor die blanke Not: Die Kriegslasten der napoleonischen Kriege, das Jahr ohne Sommer 1816, massive Auswanderungen. Und ein möglicherweise drohender Zerfall des Landes.
Welche Motive hatte Großherzog Karl, die Verfassungsgebung einzuleiten?
Herden: Ob Karl Motive hatte, bezweifle ich. Eher ist der kranke und schwache Großherzog motiviert worden. Von Ministern und Beamten, welche die vier Kernprobleme erkannt hatten: Die familiär-dynastischen Gefahren (Sicherung der Erbfolge der morganatischen Hochberg-Linie), die finanziell-fiskalischen Gefahren (Leere Kassen, drohender Staatsbankrott), die patriotisch-nationalen Notwendigkeiten (Baden musste auf den Weg zur Nation, zur Einheit, gebracht werden) und schließlich international-existenzielle Gründe (Gefahr der Zerstückelung, Begehrlichkeiten der Nachbarn, Pufferstaatsituation).
Gab es da auch Gegenwind?
Herden: Eigentlich nicht, im Gegenteil. Es gab 1815 sogar eine Art Verfassungsbewegung – zu der Adel, Ritterschaft und Bauern sowie Professoren gehörten. Der einzige klar erkennbare Verfassungsgegner war der Onkel Karl Friedrich Ludwigs und spätere Großherzog Ludwig I., der als preußischer General, früherer badischer Kriegs-, Finanzminister und Forstminister seines Vaters Karl Friedrich sehr wohl wusste, wo die Harke hängt und welche Bindungen ihm die Verfassung seines Neffen auferlegt hat. Er hat mehrfach versucht, die Kammern »auszutricksen«. Die Verfassung aufzuheben, das war ihm klar, hätte er nicht wagen können. Sie galt ja übrigens bis zur Abdankung Großherzog Friedrichs II. am 22. November 1918.
Die Badische Verfassung bestand aus 83 Paragrafen. Was war daran wegweisend?
Herden: Sie ist eigentlich die Begründerin des Parlamentarismus in Deutschland. Die klare Positionierung der beiden Kammern war für ihre Zeit einmalig. Und auch die Zusicherung staatsbürgerlicher und politischer Rechte an die Badener war wohl der erste, umfangreichste Grundrechtskatalog in Deutschland. Wobei man die Grundrechte damals mit den heutigen Grundrechten nicht vergleichen kann, und die Auslegungen schon gar nicht. Und nie zu vergessen: Die Verfassung gewährte Karl, von Gottes Gnaden – nicht das badische Volk.
Die Württembergische Verfassung entstand ein Jahr später. Waren die Badener dafür die Wegbereiter?
Herden: Die Württemberger hatten ja bereits 1514 den Tübinger Vertrag, der eine ständische (auch nicht demokratische) Mitbestimmung vorsah. Da waren sie Baden weit voraus. Doch kann man sicher sagen: Die süddeutsche Verfassungsbewegung jener Zeit – auch in Bayern – ging sicherlich auf gemeinsame Wurzeln zurück: Dies waren vor allem die Folgen der napoleonischen Kriege.
Aber nicht nur die Frauen, sondern auch die Unterschicht war gar nicht wahlberechtigt?
Herden: Wahlberechtigt war der »Zahlberechtigte«, das heißt, der vermögende Steuerzahler. Um dessen Zustimmung zum Staat ging es in erster Linie, nicht um demokratische Erwägungen im heutigen Sinn. Nur rund 20% der badischen Bevölkerung waren wahlberechtigt. Demokratische Gedanken spielten erstmals rund dreißig Jahre später eine Rolle – in der Revolution von 1848. Dort trat auch der Gegensatz zwischen monarchistisch-konstitutionellen Liberalen und republikanisch-radikaldemokratischen Linken erstmals zu Tage.
Ihm sollte rund fünfzehn Jahre später das Aufkommen der Arbeiterfrage folgen – Lassalle und Marx betrachten das ja auch differenziert. Die Frage der Suffragetten (des Frauenwahlrechts) und der Emanzipation der Frau kam dann im Zuge der Arbeiterbewegung ins öffentliche Bewusstsein – erst ab dem Ende des 19. Jahrhunderts.
Was ist mit dem blutigen Ende der Revolution 30 Jahre später? War das nicht ein schrecklicher Rückschritt?
Herden: Es war ein schreckliches Ereignis, trotzdem war es kein Schritt zurück: 1848 war ein Meilenstein auf dem Weg zur Demokratie. Die Badener waren da meist noch human und boten verurteilten Revolutionären die Wahl: Zuchthaus oder Auswanderung. Die meisten Todesurteile fällten preußisch dominierte Militärgerichte, die Preußen blieben als Besatzer ja bis 1851. Der Badener galt noch 1870 als »unsicherer Kantonist«: Oberkommandierender der Belagerung von Straßburg war der preußische General von Werder, der badische Kriegsminister von Beyer musste das Feld räumen. Beyer war selbst preußischer General, er war 1867 als preußischer Militärbevollmächtigter nach Karlsruhe gekommen und war dann 1868 zum badischen Kriegsminister ernannt worden.
INFO: Die Heubodenakademie zu 200 Jahren Badische Verfassung beginnt morgen, Mittwoch, um 11 Uhr, im Freilichtmuseum Vogtsbauernhof.