Hausacher Leselenz

Beklemmende Geschichte zum Start von »kinderleicht & lesejung«

Lesezeit 4 Minuten
Jetzt Artikel teilen:
08. Juli 2019

(Bild 1/2) Vor Neunt- und Zehntklässlern eröffnete Anja Tuckermann, Preisträgerin des Leselenz-Preises der Thumm-Stiftung für Junge Literatur, gestern in der voll besetzten Hausacher Stadthalle die Woche »kinderleicht & lesejung«. ©Claudia Ramsteiner

Rund 1400 Schüler aus der ganzen Ortenau begegnen in dieser Leselenz-Woche »kinderleicht & lesejung« Autorinnen und Autoren. Zum Start las gestern die Leselenz-Preisträgerin Anja Tuckermann vor Neunt- und Zehntklässlern aus ihrem Buch »Mano«.

Sieben Jungen versuchen, sich in klirrender Kälte dorthin durchzuschlagen, wo sie ihr Zuhause vermuten. Mano besitzt keine Schuhe, seine Füße sind geschwollen, seine Schienbeine voller Wunden. Es ist Kriegsende, der elfjährige Sinto-Junge kommt gerade aus dem KZ Sachsenhausen. 
Sie ist eine zierliche Person, die Leselenz-Preisträgerin Anja Tuckermann, mit ruhiger Stimme, mal lesend, mal erzählend, zieht sie die ganze Stadthalle voller Neunt- und Zehntklässler in ihren Bann mit der Geschichte des Sinto-Jungen Mano. Zunächst erläutert sie die Begriffe: »Sie nennen sich Sinti, international heißen sie Roma – und früher hat man Zigeuner gesagt. Sie mögen das nicht, weil dies das Wort ist, mit dem sie beschimpft und ermordet wurden.«

Wie einer überlebt, der überlebt hat

Jene, die sich Sinti nennen, leben vorwiegend in Deutschland, Polen, Vorderitalien und Frankreich, und »das Wichtigste, was ihr wissen müsst: Es sind Deutsche seit mehr als 600 Jahren!« Anja Tuckermann erzählt von den beiden alten Männern Mano und seinem Cousin Hugo, die viele Jahrzehnte die Geschichte ihrer Kindheit verdrängten, weil sie viel zu schrecklich war. Und die irgendwann beschlossen, sie nun doch zu erzählen – denn wenn sie stürben, wüssten die jungen Leute nicht, was geschehen ist. 

In »Denk’ nicht, wir bleiben hier« hat sie die Geschichte der Großfamilie Hellenreiner und die Zeit des jungen Hugo im KZ beschrieben. »Mano« ist quasi die Fortsetzung – wie es einem Sintojungen nach dem Krieg erging, wie »einer überlebt, der überlebt hat«. Anja Tuckermann erzählt, wie sie eineinhalb Jahre lang jeden Monat zu Mano gefahren ist, wie er manche Dinge immer wieder von vorn erzählt hat. »Er nahm immer wieder Anlauf, jedes Mal erzählte er etwas mehr, und es wurde jedesmal schlimmer und schmutziger.« Auch seine Frau und seine Tochter seien dabei gesessen und hätten dies alles zum ersten Mal gehört. 

- Anzeige -

Hölle im KZ

Einfühlsam und packend schildert die Autorin die Hölle, die der Junge mit der KZ-Nummer Z 3562 durchlebt hat und wie sie erst nach und nach in den Gesprächen mit dem heute 80-jährigen Mano Verhaltensmuster von damals verstanden hat. Warum er sich an jeden Teller klammerte – weil es im KZ überlebenswichtig war, seinen Napf nicht zu verlieren oder ihn sich stehlen zu lassen. Denn ohne Napf gab es nicht einmal die dünne Wassersuppe, die gerade mal so zum Überleben reichen musste. 

Oder warum er, nachdem er liebevoll von einer Familie in Frankreich aufgenommen worden war, aus einer Kapelle stürmte, als er dort das »Vater unser« auf Deutsch hörte. Nachdem Mano den Hass der Franzosen auf die Deutschen mitbekommen hatte, hatte er seine Herkunft unter Todesängsten verschwiegen. 
Von Mano und Hugo hatte Anja Tuckermann auch erfahren, wie das ist, wenn man hungert und sterben will. »Doch man stirbt nicht so einfach. Zuerst lässt das Augenlicht nach, dann das Kurzzeitgedächtnis.« Die Gesichter ihrer jungen Zuhörer sind unergründlich. Es ist still in der großen Halle. Aber es traut sich auch nach den aufmunternden Worten der Autorin niemand zu fragen. Möglicherweise bräuchte es dazu den intimen Rahmen eines Klassenzimmers und weniger Abstand zur Lesenden.

Briefe an Mano

Sie stehe aber gern auch danach noch für Fragen zur Verfügung, und sie könnten ihr diese auch schreiben. Anja Tuckermann ermunterte die Jugendlichen auch, Briefe an Mano zu schreiben. Er könne diese nicht beantworten, weil er selbst nie lesen und schreiben gelernt habe. Als Mano mit 13 Jahren zu seiner Familie zurückkehrte, gab es in den Schulen noch immer die alten Nazi-Lehrer, die Buben wie ihn nicht unterrichten wollten: »Aber die Familie liest im die Briefe vor und er freut sich sehr darüber!«

Stichwort

Leselenz heute

In dem neuen Format »Vers-Schmuggel« begegnen sich heute, Dienstag, um 20 Uhr in der Pizzeria »Schlossberg« die Lyrikerinnen Birgit Kreipe aus Deutschland und Božena Správcová aus Tschechien sowie der Sprachmittler und Interlinearübersetzer Markus Kratsch.  
 

Weitere Artikel aus der Kategorie: Kinzigtal

Viel erlebt haben Mario Volk und Maren Müller in Vietnam und Kambotscha.
vor 2 Stunden
Mühlenbach
Weltreise (4): Die Mühlenbacher Mario Volk und Maren Müller sind unterwegs auf Weltreise. Jeden Donnerstag berichten sie von ihren Abenteuern, heute aus Vietnam und Kambodscha.
Schüler der Berufsvorbereitungsklasse am Bildungszentrum haben am Workshop zum Filmprojekt "Don't stop Motion" teilgenommen. 
vor 5 Stunden
Haslach im Kinzigtal
Schüler des Heinrich-Hansjakob-Bildungszentrums haben ihre Erfahrungen auf der Flucht nach Deutschland in Kurzfilmen verarbeitet.
Markus Luy (links), hier mit dem Vorsitzenden des Kirchengemeinderats Holger Thoma, stellte sich am Sonntag als neuer Pfarrer in Kirnbach vor. 
vor 5 Stunden
Wolfach - Kirnbach
Markus Luy, aktuell in Schiltach tätig, stellte sich als vermutlich künftiger Pfarrer von Wolfach und Kirnbach vor. Heute entscheiden die Kirchengemeinderäte.
Die Hausacher SPD hatte die "Roten Socken", einen Projektchor der SPD Ortenau, zu ihrem Stand auf dem Hausacher Wochenmarkt eingeladen.
vor 8 Stunden
Hausach
Die Hausacher SPD hatte die "Roten Socken", einen Projektchor der SPD Ortenau, zu ihrem Stand auf dem Wochenmarkt eingeladen.
Durch verschiedene Leuchtsysteme ist eine teilweise Leistungsreduzierung schwer umsetzbar.
vor 10 Stunden
Schenkenzell
44 Leuchten müssen in der Gemeinde ausgetauscht werden.
Die vielen Kinder der Trachten- und Volkstanzgruppe zeigten beim Erntedankfest mit großem Eifer, was sie in den Proben gelernt haben. 
vor 20 Stunden
Hausach
Wie die Kinder- und Jugendarbeit der Trachten- und Volkstanzgruppe boomt, zeigte sich am Sonntag beim Erntedankfest. Dort kamen in der vollen Stadthalle "Stadt und Tal zusammen".
Viele wollten sich bei der Zugabe von dem exzellenten Konzert des Bundespolizeiorchesters München in der Hausacher Stadthalle ein Andenken mit nach Hause nehmen oder über die sozialen Medien andere daran teilhaben lassen. 
vor 20 Stunden
Hausach
Das Bundespolizeiorchester München setzte in der voll besetzten Hausacher Stadthalle einen grandiosen Schlusspunkt auf das Jubiläumsjahr des Blasmusikverbands Kinzigtal.
Hinter dem öffentlichen Spielplatz an der Manfred-Hildenbrand-Straße befindet sich der Schulkindergarten. 
03.10.2023
Haslach im Kinzigtal
Viel Unterhaltung für Kinder gibt es am Sonntag beim Herbstfest der Carl-Sandhaas-Schule. Außerdem wird an diesem Tag 50 Jahre Schulkindergarten gefeiert.
Die Vertreter der Gemeinde, Vereine und Kirchengemeinde würdigen Kooperator Klaus Klinger.  Edelgard Vollmer machte im Namen der Frauengemeinschaft den Anfang. 
02.10.2023
Mühlenbach
Kirchengemeinde und Vereinsvertreter feierten am Sonntag mit Kooperator Klaus Klinger sein Ortsjubiläum. Seit 25 Jahren wirkt er in der Seelsorgeeinheit.
Fast 70 4cross-Fahrer absolvierten die Rennstrecke am Jubiläums-Wochenende im Wolfacher Bike-Park. 
02.10.2023
Wolfach
Der Wolfacher Bike-Park feierte am Wochenende sein 20-jähriges Bestehen. Fahrer aller Altersklassen waren bei den Rennen hochmotiviert dabei. Auch das Gesellige kam nicht zu kurz.
Gabriele Schuller (links) und Beate Axmann haben ihre Gemeinschaftsausstellung im alten Kapuzinerkloster in Haslach eröffnet. 
02.10.2023
Haslach im Kinzigtal
Die Ausstellung ist noch bis zum 15. Oktober zu sehen.
Liedermacher Uli Führe beendet die Saison der Wolfacher Reihe "Mittwochs im Museum". 
02.10.2023
Wolfach
Der sechste und letzte Abend der Reihe "Mittwochs im Museum" verspricht für 4. Oktober kurzweilige, humorvolle Unterhaltung mit dem alemannischen Liedermacher Uli Führe.

Das könnte Sie auch interessieren

- Anzeige -
  • Gebäudeenergieberater Harald Schmidt ist bereits seit über 25 Jahren in der Fensterbranche für die Unternehmensgruppe Hilzinger tätig. Er berät zum Thema Fenster austauschen sowie zur Beantragung von Fördermitteln für neue Fenster.
    vor 14 Stunden
    Innovationsschmiede Hilzinger GmbH in Willstätt
    Moderne Fenster von Hilzinger schaffen einen echten Mehrwert: Sie tanken die Energie der Sonne, verbessern Wärmedämmung und Schallschutz und schrecken Einbrecher ab.
  • Mit diesem engagierten Team geht Verifysoft ins Jubiläumsjahr. 
    29.09.2023
    Software aus Offenburg sorgt weltweit für Sicherheit
    Die perfekte Tasse Kaffee, jedes deutsche Auto und der Mars-Rover haben etwas gemeinsam: Ihre Softwareprogramme wurden mit Programmen von Verifysoft geprüft. Das Offenburger Unternehmen bietet Tools für den Test von Software an – also Software, die Software testet.
  • Clever sparen: Mit einer Photovoltaikanlage lässt sich der Stromverbrauch drastisch reduzieren. 
    27.09.2023
    Sparkasse Offenburg/Ortenau: Photovoltaik und Förderungen
    Strom ist teuer und wird bestimmt noch teurer. Wer langfristig sparen will und etwas für die Umwelt tun möchte, sollte die Energie der Sonne nutzen. Als Partner auf dem Weg durch den Förderdschungel bieten sich die Profis der Sparkasse Offenburg/Ortenau an.
  • Finanzexperte Peter Schmiederer begegnet den Kunden auf Augenhöhe. Ganz gleich, wie hoch das Vermögen auch ist. Gemeinsames Ziel ist immer, es zu sichern und zu mehren.
    26.09.2023
    Lohnende Geldanlagen trotz Inflation
    In Krisenzeiten wie diesen hat das Sparbuch wieder Hochkonjunktur. Doch wer das Geld parkt, erleidet durch die Inflation einen Verlust. Vermögensbetreuer Peter Schmiederer weiß, welche Geldanlage sich jetzt lohnt.