Hausacher Stadtschreiber-Tagebuch (3)

Der glückliche Radfahrer Sisyphos

Joachim Zelter
Lesezeit 4 Minuten
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08. März 2017

(Bild 1/2) Joachim Zelter ist seit Februar Hausacher Stadtschreiber. ©Y. Beradi

Jochaim Zelter lebt seit Mitte Februar bis voraussichtlich Mitte Mai als Gisela-Scherer-Stipendiat und Hausacher Stadtschreiber im Molerhiisle im Breitenbach und schreibt jede Woche für die Leser des Offenburger Tageblatts eine Kolumne:

Keine zwei Tage war ich hier, da erreichten mich die ersten Mails meiner Tübinger Radsportfreunde. Sie hatten davon gehört, dass ich jetzt in Hausach lebe, und beglückwünschten mich. Sie schrieben die Worte Hausach und Kinzigtal wie radfahrerische Sehnsuchtsorte und überschütteten mich mit Tourenvorschlägen. Immer wieder fiel dabei der Name Kniebis. Unbedingt der Kniebis. Keine vernünftige Tour ohne den Kniebis. 
Also setzte ich mich aufs Rennrad und fuhr mit ruhigen Pedalumdrehungen Richtung Kniebis. Die ersten Kilometer erfolgten noch bei Sonnenschein. Angenehme Temperaturen, ja sogar Rückenwind, der mich das Tal hinaufschob. Nach Wolfach immer noch ein gutes Gefühl, jedenfalls im Großen und Ganzen. Ab Oberwolfach erste leichte Steigungsgrade und die beginnende Einsicht, dass ich nach einem langen Winter völlig untrainiert bin. Meine Beine ohne jede Grundlage. Nicht einmal Grundlagenkilometer auf der Ebene. Und ich bin hier umringt von Bergen, keine Tübinger Hügel, sondern steil hinaufragende Berge. Dies nur ein aufflackernder Gedanke. 

Mit jeder Pedalumdrehung spürte ich die Tatsächlichkeit dieses Gedankens. Puls bei 140. Obgleich die Steigung noch gar nicht wirklich begonnen hatte. Ein erster Radfahrer, der mich überholte. Ein Schatten aus dem Nichts – und vorbei war er. Und ein zweiter Fahrer. Er machte eine ausholende Armbewegung, als wollte er mich schieben. Das Ärgernis meines Radtrikots: RV Pfeil Tübingen. Ein weithin sichtbares Bild meiner Langsamkeit. 

Es beginnen die ersten Selbstgespräche. Man ringt um einzelne Worte. Jeder Kilometer ein neues Wort. Zum Beispiel das Wort Bußberg. So der Name eines Wanderwegs rechts neben mir. Ich sehe tatsächlich einen büßenden Wanderer. Er büßt, ich büße. Und warum büßen wir? Und wozu? Vielleicht, um mit Saint-Exupéry zu sprechen, weil wir vergessen wollen, dass wir uns schämen. Doch ich verwerfe diesen Gedanken. Vorbei an Schapbach. Kein Bußort, sondern ein aufmunternder Ort. Über 400 Höhenmeter. Das Schild eines Bärengeheges. Öffnungszeiten von 10 bis 18 Uhr. Ob das nun die Öffnungszeiten für Besucher sind, in dieses Gehege gehen zu dürfen? Oder die Öffnungszeiten der dort gehaltenen Bären, ihr Gehege vorübergehend verlassen zu können? Es sind jedenfalls Öffnungszeiten. 

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An meinem Hinterrad ein Schatten, kein Bär, sondern eine Radfahrerin. Sie lächelt mich an und zieht an mir vorbei. Einen schönen Tag noch. Puls bei 150. Hupende Autos und erste Konzentrationsprobleme. So gelange ich nach Bad Rippoldsau, in das immer enger und dunkler werdende Tal. Links und rechts verwaiste Geschäfte, leer stehende Hotels. Eine Aura von Verfall. Die Entsprechung meines eigenen Verfalls. In allen Körperteilen. Und schon beginnt am Ortsende die erste wirkliche Rampe. 

Wir haben nicht einmal wirklich angefangen. Das ruft mir diese Rampe zu. Ein Schlag ins Gesicht. Die Kette fliegt sofort aufs kleinste Blatt. Wie eine Kapitulationserklärung. Ich schalte und schalte bis kein Gang mehr übrig ist. Alle Gänge verbraucht. Und? Was nun? Keine Ahnung. Puls bei 180. Blutgeschmack im Mund. Der Schwarzwald jetzt tatsächlich schwarz, tiefschwarz, mit gelegentlichem Weiß. Schneeweiß, weil überall noch Schnee liegt. Diese Passage ist nur vorübergehend. So das Mantra der folgenden Meter. Nur vorübergehend. Doch sie geht nicht vorüber, sie bleibt. Sie geht weiter und weiter. Von Serpentine zu Serpentine sogar noch schlimmer werdend. Schweißbäche. Bei fünf Grad Außentemperatur. 800 Höhenmeter. 

Und plötzlich der Gedanke: Wir müssen uns Sisyphos als einen glücklichen Radfahrer vorstellen. Damit die nächsten dreihundert Meter. Und noch einmal dreihundert. Zeitlupenhaft. In Selbstgesprächen. Eher Wortgefechte als Gespräche. 830 Höhenmeter. Und Häuser. Zumindest andeutungsweise. Vielleicht sogar schon die ersten Anzeichen von Kniebis. Jedenfalls menschliche Behausungen. Der Anblick ist kaum zu glauben und zugleich unerreichbar weit. Die Häuser stehen in Schräglage. Als könnten sie jederzeit ins Tal rutschen. Und ich mit ihnen. 
Die Steigung geht weiter und weiter. Sie reizt jede denkbare Verlängerung ins Unendliche aus. Und noch eine Rampe. Und noch eine. Schlangenlinienförmig. So meine Fahrweise. In konvulsiven, allerletzten Aufbegehrungsversuchen. Mit aller Kraft am Lenker zerrend. Meter für Meter. Wir müssen uns Sisyphos als einen glücklichen Radfahrer vorstellen. Mit diesem Gedanken lege ich mich neben einer Bushaltestelle in den Schnee.

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