Der Malerpoet

Lea Streisand aus Berlin ist die 25. Hausacher Stadtschreiberin. ©Claudia Ramsteiner
Lea Streisand lebt seit dem Hausacher Leselenz Anfang Juli als Leselenz-Stipendiatin und Hausacher Stadtschreiberin im Molerhiisle im Breitenbach. Sie wird nun jeden Mittwoch die Leser des Offenburger Tageblatts mit einem Eintrag ins »Stadtschreiber-Tagebuch« an ihrem Leben im Kinzigtal teilhaben lassen:
Letzte Woche waren wir im Molerhiisli. »Wieso müssen wir eigentlich unten in der Garage wohnen, wenn oben ein ganzes Wohnhaus leer steht?«, hatten Paul und ich uns gewundert, als wir in Hausach ankamen.
Das sei das Haus eines lokalen Malers und Mundartdichters, den heute keiner mehr kennt, hatte man uns erklärt. Und der habe testamentarisch verfügt, dass sein altes Wohnhaus nach seinem Tod an die Stadt übergeht. Aber es müsse ein Museum draus werden und es dürfe nichts verändert werden.
»Wann ist der Mann gestorben?«, fragten wir neugierig. »1979«, antworteten die Hausacher und verdrehten die Augen. »Da wurde ich geboren!«, freute ich mich. »Das war ja quasi gestern«, sagte mein charmanter Ehemann.
»Schaut euch das mal an!«, raunte meine Vorgängerstadtschreiberin Katharina J. Ferner mir während des Leselenz zu. Sie zwinkerte verschwörerisch. Und dann waren wir den Schlüssel holen. »Aber keine Partys!«, ermahnt uns Hartmut Märtin, der Kulturamtsleiter mit der Stimme, die so laut ist, dass er zum Telefonieren nur das Fenster aufmachen muss, dann hört ganz Hausach, was er zu sagen hat.
Staub von Jahrhunderten
Er erklärt uns, in welcher Reihenfolge wir die dreißig Vorhängeschlösser an der Eingangstür entriegeln und welche Zauberformeln wir dazu sprechen müssen, um nicht direkt beim Eintreten von der riesigen Kreuzspinne gefressen zu werden, die die gesammelten Schätze des »Malerpoeten« bewacht.
Als wir über die Schwelle treten, bekomme ich sofort einen Asthmaanfall. Ich bin doch auf Hausstaubmilben allergisch. Und hier liegt der Staub von Jahrhunderten. Auch der ideologische. Plüschkissen mit Kreuzstich und Knick in der Mitte. An allen Wänden fünfzig Jahre alte Hüte, auf deren einst roten Bollen sich der Staub der Jahrhunderte zu braunen Gebirgen aufgetürmt hat.
Eugen Falk-Breitenbach hieß der Mann und das hinter-... Entschuldigung!... das schwarzwäldlerische Brauchtum lag ihm sehr am Herzen.
»Dank ihm ist der Bollenhut heute als Wahrzeichen des Schwarzwalds«, entziffert Paul von einer allemannischen Wikipedia-Seite. »Was hat der Mann eigentlich im NS gemacht?«, frage ich und betrachte die Ölbilder mit Tannen in allen Formationen und Verwesungsgraden.
Das zweithäufigste Motiv sind Portraits des Künstlers höchstselbst in seinem Verfall, als junger, alter und mittelalter Mann. In Kohle, Foto und Bleistift. Von ihm selbst oder anderen geschaffen. Aber immer mit Hut mit breiter Krempe. »Was schon«, sagt Paul und zuckt die Achseln, »vorbildliches Parteimitglied. Und danach zurück in den Wald.« Das Baby in der Trage vor meinem Bauch kriegt eine Niesattacke. Es freut sich sehr darüber.
Geister in den Troddeln
Über jeder Tür im Haus hängt eine Hochzeitskrone, deren zugehörige Bräute wohl längst bei den Tannenwurzeln unter der Erde sind. Ich muss mich tief bücken beim Hindurchgehen, damit die Troddeln der Seidenschals weder mich noch mein Baby berühren. Wer weiß, welche von den Bräuten sitzen gelassen wurden, deren Geister jetzt in den Troddeln hocken und nur auf preußische Tölpel wie uns warten, um sie zu bespringen.
Als wir das Häuschen verlassen, die dreißig Vorhängeschlösser vor die Tür gelegt und mit den Zaubersprüchlein wieder verschlossen haben, als das Baby mir einen grauen Staubklumpen in den Ausschnitt gekotzt hat und die Sonne uns wieder auf den Pelz scheint, als wir unten im Garten sitzen und die frische Schwarzwaldluft atmen, sind wir unfassbar glücklich und dankbar, dass wir hier in Hausach im Molerhiisli unten in der Garage wohnen dürfen.
Oder wie der Malerpoet es ausdrückte:
»Wäär an siire Haimet hängt,
Un fiir si bädet, schafft un dänkt,
Säll’m git si alli Dääg zuem Glaid:
Lieb und Friide und Fraid im Laid.«