Kinzigtal
Eine beharrliche alte Dame
Petra Epting
18. October 2012
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»Sie streicheln mit den Augen«, ist ein
Ausspruch Ursula Krüger-Rogalls, die sich
seit Jahrzehnten um behinderte Menschen
mit Down-Syndrom kümmert und mit ihrem »Haus in der Sonne« jetzt 50-Jähriges feiert.
Sie lebe nach ganz einfachen Grundsätzen, bringt
es Ursula Krüger-Rogall auf den Punkt, und fügt einen ganzwichtigen Aspekt gleich hinzu: Disziplin – und dem Tag Strukturgeben, eine Aufgabe haben. Dann nämlich stehe man auchmorgens gern auf. Klingt eigentlich ganz einfach, und dochscheint genau das vielen nicht so richtig gelingen zu wollen.Bei Ursula Krüger-Rogall ist das anders, schlägt die preußischeArt durch und hat sie eine ganz eigene Beharrlichkeit.»Wenn ich etwas als richtig erkannt habe, bleibe ich dran«,stellt sie fest. Diese Charaktereigenschaft bringt ihr allerdingsnicht immer Freunde. Aber damit kann sie genauso gut leben,wie dass sie wegen ihrer forschen Art eher selten Komplimentebekommt. »Ich war schon emanzipiert, als es dasWort noch gar nicht gab«, so die 89-Jährige. Genau das ist es vermutlich, was manchen Leuten an ihr gelegentlich eher einenSchrecken einjagt. Dabei ist sie herrlich unkompliziert und derBesuch bei ihr ist eine wahre Kraftquelle. Die tägliche Gymnastikeinheit ist obligatorisch. »Ich hake immer alles im Kalender ab, und ich kann es partout nicht leiden, wenn ein Haken fehlt«, sagt sie bestimmt. Zu ihrem anpackenden Wesen passt da auch, dass sie dem Grund für den Stromausfall am Morgen des Besuchs selbst auf den Grund geht. Und klar hat sie die Ursache gefunden. Dass es daher in den Räumen erstmal etwas frisch ist, ist nun wirklich eine Nichtigkeit. Wofür gibt es Pullover – und die Besucherin behält den Mantel eben an.Was hat Ursula Krüger-Rogall an sozialem Engagementnicht schon alles auf die Beine gestellt? Ungezählt sind dieHandarbeiten, die sie auf den Märkten verkauft. Man kannsie dafür belächeln – oder vor ihren den Hut ziehen. Auf jedenFall bräuchte die Welt dringend mehr Menschen ihrer Gattung.Am Sonntag, 21. Oktober, feiert ihr »Haus in der Sonne«, in demsie jahrelang behinderte Menschen betreute, 50-Jähriges.Dafür hat Ursula Krüger-Rogall einige Gäste ins »LandhausLauble »eingeladen. 1955 arbeitete die gebürtige Berlinerin als Kinderkrankenschwester in einer Landeskinderheilstättefür Knochentuberkulose. Zu dieser Zeit, den Anfängen der Antibiotika, handelte es sich um das Streptomycin, das damals noch unter erschwerten Bedingungen mit Schutzkleidung verabreicht werden musste. In ihrem Saal mit zehn Buben im Alter von drei bis 14 Jahren war auch der zehnjährige Mathias mit Down- Syndrom. »Diese Menschlein wurden damals in Pflege- und Altersheimen versteckt und erhielten keinerlei Förderung«, erzählt Ursula Krüger-Rogall Nun hatte sie den Beweis: Auch diese Menschen sind bildungsfähig. Der Junge tat ihr leid, da er auch nicht zur Schule gehen durfte. So entschloss sie sich, dies zu ändern. Sie mobilisierte den Chefarzt, einen Professor, und den Rektor, Mathias wenigstensversuchsweise mit in die Schule nehmen zu dürfen. Als er das erste Mal den Anfangsbuchstaben seines Namens erkannte,hatte sie den Beweis, nach dem sie lang gesucht hatte: Auch diese Menschen sind bildungsfähig und müssen diese erhalten. Das nächste Ziel auf ihrem beharrlichen Weg war somit auserkoren: Ihr Traum war die Eröffnung einer Art Kinderdorfhaus. »Menschen mit Down-Syndromleiden häufig an einer Schleimhautschwäche«, erläutertUrsula Krüger-Rogall, weshalb ihr der Professor der optimalen klimatischen Bedingungen wegen zu einem Haus in einem Mittelgebirge riet. Einen ihrer nächsten Urlaube verbrachte sie im Schwarzwald und entschloss sich für Hornberg, wo es zunächst mit einem Bauplatz überhaupt nicht glattlief.Doch sie hatte die Frauen Moser und Röck hinter sich, dieschließlich die rettende Idee hatten: Sie setzten die couragierteDame »zum Eberhard« aufs Motorrad, übrigens die erste undeinzige Fahrt ihres Lebens, und meldeten sie bei den Hofbauernin Reichenbach an. Diese gaben ihr schließlich »ihr Wintersonnenplätzchen « in Erbbaurecht. Natürlich gab es weitere Stolpersteine. Aber sie setzte ihren Plan mit Architekt Fritz Wöhrle in die Tat um – und lernte als Aushilfsbedienungim »Mohren« die zukünftigen Nachbarn und die Reichenbacherkennen. »Vor allem lernte ich, ihre Sprache zu verstehen,was als Berlinerin nicht immer einfach war«, schmunzelt UrsulaKrüger-Rogall. Dem ehemaligen Bürgermeister Christian Brüstle ist sie heute noch für seine vielfältige Hilfe dankbar. Und sie erfuhr, weshalb ihre Anfrage nach Hornberger Bauplätzen abgelehnt wurde: Als aufstrebender Kurort wollte man diese Kinder nicht im Stadtbild haben. Das Landratsamt lehnte einst sogar einen Kredit ab und stellte ihr die Frage:»So unwertes Leben wollen Sie fördern?«. Dabei hat siein den vielen Jahren ihrer Arbeit die Erfahrung gemacht,dass sich Menschen mit Down- Syndrom nur in einem einzigenPunkt von den sogenannten normalen Menschen unterscheiden:in der sehr langen Reaktionszeit. »Doch sie haben ein so sonniges Gemüt und eine unbändige Lebensfreude«, bemerktUrsula Krüger-Rogall. Und für diese wertvollen Menschen wird sie weiterhin kämpferisch der Welt die Augen öffnen.»Wenn's Ihnen mal schlecht geht, dann kommen Sie zu mir,ich richte Sie wieder auf«, gibt sie zum Abschied noch mit aufden Weg – und das glaubt man ihr aufs Wort.