Ella Diepen berichtet über das amerikanische Schulwesen
Seit fast einem Jahr lebt unsere »Korrespondentin« Ella Diepen nun in den USA. Heute schreibt sie ihren letzten Bericht aus Michigan – dieses Mal geht es um das amerikanische Bildungswesen. Ende dieses Monats wird sie aus ihrem parlamentarischen Austauschjahr wieder nach Gutach heimkehren und dann ein Praktikum in unserer Lokalredaktion absolvieren.
Spinde in langen Fluren, jubelnde Schüler auf der Tribüne während eines Footballspiels, ein Schulmaskottchen – so stellen wir Deutschen uns eine typische amerikanische High School vor. Und – so ist sie tatsächlich. Ich gehe hier in den Vereinigten Staaten auf eine High School des US-Staats Michigan. Die Grosse Pointe South High School hat etwa 1600 Schüler und eine Menge Klassen, Clubs und andere Aktivitäten zu bieten.
Der größte Unterschied zwischen einer deutschen und einer amerikanischen Schule ist vermutlich der Spaßfaktor. Veranstaltungen rund um die Uhr, Schulausfall, die Möglichkeit, unterhaltsame Kurse oder unter einem großen Angebot an Sportarten zu wählen, Clubs und vieles mehr machen den amerikanische Schulalltag unterhaltsamer als den deutschen. Schulstolz und Zusammenhalt spielen eine wichtige Rolle, besonders, weil es im Sport einen großen Wettbewerb mit anderen Schulen gibt.
Was das Lernen angeht, habe ich den Eindruck, gute Noten erfordern eher Fleiß und die Fähigkeit, Anweisungen auszuführen, als Intelligenz und kritisches Denken. In vielen Klassen bekommt man ein A (eine Eins in deutschen Noten) nur dafür, dass man seine Hausaufgaben macht, komplett ohne Rücksicht auf die Qualität, allein für die Worte oder Zahlen auf dem Papier.
Arbeitsblätter sind meist sehr einfach auszufüllen und erfordern zwar Zeit, aber kein großartiges Denken
Den amerikanischen Schülern wird nicht viel Eigenverantwortung zugetraut. Alles wird sehr eindeutig und oft doppelt und dreifach erklärt und wiederholt. Die meisten Lehrer stellen in den Klassenzimmern Stifte, Papier und sogar Taschentücher, Cremes und Desinfektionsmittel zur Verfügung. Arbeitsblätter sind meist sehr einfach auszufüllen und erfordern zwar Zeit, aber kein großartiges Denken. Generell ist das Lerntempo und der Anspruch an die Schüler in amerikanischen Schulen meiner Meinung nach sehr viel niedriger als in Deutschland. Zumindest in regulären Klassen wird überhaupt kein Vorwissen vorausgesetzt. Die mündliche Mitarbeit wird in vielen Klassen nicht benotet und wenn, dann ist Quantität wichtiger als Qualität.
Das Bildungswesen der Vereinigten Staaten ist unterteilt in Elementary School von Klasse eins bis vier, Middle School für die Klassen fünf bis acht, und in der High School werden die Klassen neun bis zwölf absolviert. Alle öffentlichen Schulen sind Gesamtschulen, wobei sogenannte AP (Advanced Placement) Klassen auf College Niveau und Honors Kurse für begabte und motivierte Schüler angeboten werden, die ein schnelleres Lerntempo und höheres Niveau haben. Reguläre Klassen sind vergleichbar mit dem Anspruch und Lerntempo unserer deutschen Hauptschule. Viele Schüler haben verschiedene Kurse mit unterschiedlichen Niveaus.
Kritik und Hinterfragen der Lehrer wird als sehr unangebracht und respektlos angesehen
Kritik und Hinterfragen der Lehrer wird als sehr unangebracht und respektlos angesehen. Das hängt auch stark mit der etablierten Altershierarchie in den USA zusammen. Diese äußert sich auch darin, dass die »Seniors« (Zwölft-Klässler) bevorzugt werden und besondere Events für sie stattfinden wie beispielsweise den Abschlussball Prom.
Klassen wie wir sie aus Deutschland kennen, also eine Gruppe an Schülern, die den Großteil der Kurse zusammen hat, gibt es hier nicht. Jeder Schüler hat einen individuellen Stundenplan und meist ist jeder Kurs mit komplett verschiedenen Leuten, oft auch aus anderen Stufen, besetzt. Die Lehrer unterrichten nur in ihrem eigenen und selbst eingerichteten Klassenzimmer, und die Schüler bewegen sich zwischen den Kursen von Raum zu Raum. Amerikanische Lehrer sind viel persönlicher mit ihren Schülern als wir es aus Deutschland kennen. Oft wird Smalltalk gehalten, persönliche Fakten preisgegeben, und es kommt nicht selten vor, dass Lehrer uns Schülern sagen wie sehr sie uns »lieben«. Während Amerikaner das als vollkommen selbstverständlich und freundlich empfinden, würden wir Deutschen es vermutlich als unprofessionell und übergriffig abstempeln.
Neben Clubs, vergleichbar mit unseren AGs, verschiedenr Themenbereiche von Kunst über Musik und Sprachen zu Politik werden eine Menge Sportarten, wie beispielsweise American Football, Baseball, Basketball, Fußball, Leichtathletik und viele weitere angeboten.
In jedem Klassenzimmer hängt eine US-Flagge
Der Nationalstolz unter den Amerikanern ist sehr groß. In jedem Klassenzimmer hängt eine US-Flagge, der man sich mit der Hand auf dem Herz zuzuwenden hat, sobald man die sogenannte »Pledge of Allegiance« (Treueschwur zum Land) hört, die an meiner Schule täglich vor den Durchsagen mit News Ankündigungen gemeinsam gesprochen wird.
Durch die bundesweit verbreitete Angst vor Terror haben die meisten amerikanischen Schulen sehr strenge, in meinen Augen etwas übertriebene, Sicherheitsmaßnahmen. Die Eingangstüren sind verschlossen, Besucher müssen sich einen Besucher-Sticker am Eingang abholen, Aufsichten halten sich kontinuierlich im Flur auf, um nach dem Rechten zu schauen.
Wir hatten drei sogenannte »Lock down drills«, also Proben für den Fall einer Schießerei oder eines Überfalls und zwei echte Lock downs. Grund war einmal ein Schüler, der spaßeshalber sagte, er hätte eine Waffe in seinem Rucksack, und ein andermal ein alter Mann, der das Gebäude betrat um schwimmen zu gehen. Beide Male also komplett ungefährliche Zustände, jedoch wurde große Aufregung und Angst geschaffen und alle Schüler in ihren Klassenzimmern eingeschlossen. Obwohl es bestimmt Vorteile hat, auf Angriffe oder Amokläufe vorbereitet zu sein, fühle ich mich in Deutschland sicherer, da all die Verbrechen und der Terrorismus weniger präsent sind. Andererseits haben die USA und Deutschland natürlich auch eine andere Vergangenheit, und durch das Waffengesetz ist die Wahrscheinlichkeit eines Vorfalls in den USA weitaus größer.
Das Handy wird vorausgesetzt. Schüler und Lehrer sind über eine Google-Mail-Gruppe verbunden
Im Schulalltag wird sehr viel mehr Technik benutzt als in Deutschland. Während deutsche Lehrer im Unterricht ab und zu den Tageslichtprojektor oder Beamer benutzten, wird das Handy in den USA teilweise zur Mitarbeit im Unterricht vorausgesetzt. Alle Schüler und Lehrer sind über eine eigene Google Mail Gruppe miteinander verbunden und kommunizieren viel über Mails. Viele Hausaufgaben müssen online abgegeben werden. Noten, Abwesenheiten und vieles weitere sind von Schülern und Eltern kontinuierlich online abrufbar.
Alle Regeln sind eindeutig festgelegt. Wenn man während der Klassenzeit im Flur ist, ob um zu seinem Schließfach zu gehen oder an einem Projekt außerhalb des Klassenzimmers zu arbeitet, muss man immer eine schriftliche Erlaubnis des Lehrers mit sich haben. Wenn man nach einem Kurs mit einem Lehrer spricht und dadurch zu spät zur neuen Stunde kommt, muss man ebenfalls eine Notiz für den nächsten Lehrer mit sich tragen, da man sonst als »Tardy« markiert wird.
Wer die Pflichtkurse schon in drei Jahren erfüllt hat, kann in seinem letzten Jahr nur spaßige Klassen wählen
Einige Pflichtkurse muss man in den vier Jahren High School absolvieren, zum Beispiel vier Mathematikkurse für je ein Jahr, drei einjährige Kurse in Naturwissenschaften, vier Englischkurse, zwei Fremdsprachen und einige mehr. Hier haben die Schüler sieben Schulstunden täglich und müssen die Anforderungen auf die vier Jahre an der Schule aufteilen.
Wer sie schon nach nur drei Jahren vervollständigt hat, kann dann schon die Schule abschließen oder in seinem letzten Jahr nur spaßige Klassen wählen. Diese Anforderungen lassen den Schülern eine Menge Freiraum, andere Klassen zu wählen. Meine Schule bietet viele Kurse in schreibenden sowie darstellenden Künsten und verschiedene Sportklassen an.
Das amerikanische Schulleben ist definitiv sehr intensiv. So war auch mein Schuljahr, in dem auch tragische Zwischenfällen vorkamen: Ein Mitschüler beging Selbstmord und der Schulleiter wurde wegen sexueller Belästigung angezeigt.
Obwohl ich den unterhaltsamen amerikanischen Schullalltag sehr erfrischend finde, schätze ich die Lerneffizienz in Deutschland sehr.