Fahr-Rad-Lesung

Joachim Zelter aus Tübingen ist der 21. Hausacher Stadtschreiber. ©Y. Beradi
Joachim Zelter lebt seit Mitte Februar bis Mitte Mai als Gisela-Scherer-Stipendiat und Hausacher Stadtschreiber im Molerhiisle im Breitenbach und schreibt jede Woche für die Leser des Offenburger Tageblatts eine Kolumne:
Die heutige Kolumne wird ungewöhnlich kurz sein. Ich schreibe sie schon gar nicht mehr an dem großen Schreibtisch im Zentrum des Moler-hiisles, da ich diesen bereits geräumt habe. Es beginnen die ersten Vorbereitungen für die Fahr-Rad-Lesung am kommenden Sonntag, die ja in verschiedenen Etappen stattfinden wird: von der Stadthalle (dem Treffpunkt um 14 Uhr) über das Gasthaus zum »Hirsch« in Hausach, über das Gasthaus »Zur Sonne« in Gutach bis zum Molerhiisle als dem Abschlussort dieser kleinen Lesereise.
All das wird (oder soll) mit dem Fahrrad gefahren werden. Nach meinen Berechnungen beträgt die Distanz insgesamt 8,1 Kilometer. Bislang sah ich all dem durchaus gelassen entgegen, doch könnten sich bei einer derart ungewöhnlichen Lesung auch Probleme auftun. Da ist zum Beispiel die Erwartung, dass ich als passionierter Rennradfahrer mit spielerischer Leichtigkeit meinen mitradelnden Zuhörern vorausfahre, vielleicht sogar noch nebenbei Goethe oder Shakespeare zitierend.
Lampenfieber?
Doch eine erste Probefahrt die Einbacher Straße hinauf Richtung »Hirsch« zeigten bei mir erschreckende Defizite an Kraft und Spritzigkeit. Mein Puls schoss nach oben. Ob nun aufgrund der unerwarteten Steilheit der Strecke − oder ist es bereits beginnendes Lampenfieber? Ich werde Matthäus Schmider (Matscher) bitten, die Strecke mit mir noch einmal abzufahren, auch um potenzielle Stellen zu eruieren, an denen mir ungeduldige oder gereizte Zuhörer ins Wort fallen könnten; oder an denen sie im Wiegetritt der Veranstaltung gleich ganz davonradeln, mit raumgreifenden Pedalumdrehungen hinauf zum Brandenkopf, um uns von oben zuzurufen: Hier sind wir. Holt uns doch.
Immer neue Gesichtspunkte, die sich im Hinblick auf die Fahr-Rad-Lesung auftun. Ein interessierter Mitradler fragte mich: Wer wird die Fahrräder bewachen? Während Autor und Zuhörer in den Gasthäusern bei den Lesungen sitzen, und all die Räder (Kostbarkeiten an Material und Technik) dann unbeaufsichtigt vor den Gasthäusern stehen. Zumal man Rennräder nur schwerlich abschließen kann.
Parkwächter oder Hofhund?
Und ich wusste darauf keine hinreichende Antwort: Vielleicht einen Parkwächter engagieren? Oder einen Hofhund oder Wachhund? Oder einen aufbrausenden Literaturkritiker? Fragen über Fragen. Die meisten Fragen betreffen jedoch den Abschluss der Lesetour im Molerhiisle. Gewöhnlich ist ein Autor bei einer öffentlichen Lesung immer auf der sicheren Seite. Es kommen nur ganz wenige Zuhörer. Allenfalls zwei oder drei gequält sitzende Gestalten. Lesungen gleichen Gottesdiensten. Jedermann glaubt, sie seien prinzipiell eine gute Sache – doch bitte ohne mich.
Bei einer Lesung im Molerhiisle könnte jedoch alles ganz anders sein. Was ist, wenn plötzlich zahleiche Menschen Einlass in die Wohnung begehren, allein nur deshalb, um sich diese Wohnung einmal von innen anzuschauen? Zumal es sich um eine Wohnung handelt, die sich ohnehin schon in einem Zustand schriftstellerischer Unordnung und Verzweiflung befindet. Ich könnte natürlich ankündigen, aus meinen langweiligsten Romanen zu lesen. Eine Liste derselben befindet sich im Netz und in jeder gut sortierten Buchhandlung. Doch was ist, wenn auch das nicht abschreckt?
Skeptiker und Bedenkenträger
Und schon beginne ich die ersten Möbel zu verschieben, den Schreibtisch in eine Ecke zu stellen, das Bett hochkant aufzurichten, die platzraubensten Möbelstücke in den Garten zu verlagern. Weshalb ich diese Zeilen nur noch ganz notdürftig auf einem Klavierschemel im Freien unter einem Apfelbaum sitzend schreibe, während das Telefon klingelt und klingelt und sich immer weitere Gäste für die Schlusslesung im Molerhiisle ankündigen. Sie sehen: Autoren sind unverbesserliche Skeptiker und Bedenkenträger.